Forscherin: Mehr Antisemitismus im Netz
30. Juli 2014Deutsche Welle: Frau Professor Schwarz-Friesel, stellen Sie angesichts des Gaza-Konfliktes eine Explosion des Antisemitismus im Netz fest?
Monika Schwarz-Friesel: Ja, auf jeden Fall. Das ist so ungewöhnlich nicht, weil wir ja in den letzten zehn Jahren solche Wellen und Fluten von Verbal-Antisemitismus immer wieder gesehen haben, wenn es Krisen in Nahost gab. Aber zurzeit übersteigt doch das Maß - sowohl quantitativ wie auch qualitativ - das, was wir in den letzten Jahren gesehen haben. Insbesondere ist die Hemmschwelle deutlich gesunken, sofort und auch sehr aggressiv verbale Antisemitismen niederzuschreiben.
Wie äußert sich das? Können Sie uns Beispiele nennen?
Wir müssen unterscheiden: Sind es Social Media? Oder sind es Kommentarbereiche? Unser Projekt hat ja gerade erst angefangen. Wir arbeiten aber repräsentativ mit riesigen Mengen an Texten. Das sind immer wieder hunderttausende von Texten aus dem Internet. Hier haben wir verschiedene Dynamiken. Zum Beispiel: Es gibt einen Artikel in einer Online-Zeitung. Und dann kommen innerhalb weniger Minuten und Stunden hunderte von Kommentaren, die in der Regel sehr stark antisemitisch sind. Immer wieder wird behauptet, es gebe ein Meinungsdiktat, das von einer jüdischen Verschwörungsclique käme. Man dürfte Israel im öffentlichen Diskurs nicht kritisieren.
Wir haben aber auch ganz klassische Stereotype, dass Juden beispielsweise als Fremde oder Ausländer betrachtet werden, auch in Deutschland. Deutsche Juden als Fremde! Wir haben eine große Spannbreite von Äußerungen, die brisant sind und die letztendlich judiophobes Gedankengut transportieren.
Israel ist der Feind bei Antisemiten - auch außerhalb des Kreises von Antisemiten?
Nein, hier kommen wir ja auf diese vieldiskutierte Debatte: Was ist legitime Kritik an Israel? Die möchte niemand verhindern. Die wird auch nicht aus der Antisemitismus-Forschung kritisiert. Aber sehr viele Antisemiten, Menschen mit einem Feindbild Israel im Kopf, produzieren Äußerungen, die eben nicht unter legitime politische Kritik fallen, sondern die judiophobe Stereotype artikulieren. Und hier kann man eigentlich sehr klar eine Grenze ziehen: Kein seriöser Kritiker würde beispielweise NS-Vergleiche ziehen und sagen: 'Gaza, das erinnert uns jetzt an die Hitler-Zeiten.' Das ist unseriös. Und das ist immer ein Indikator, dass hier keine legitime politische Kritik geübt wird, sondern dass ein tiefes Ressentiment zum Vorschein kommt.
Und wenn einer Gaza mit Ruanda vergleicht?
Ich finde solche Vergleiche - aus Wissenschaftsperspektive - sehr sehr gefährlich. Bei einem Vergleich muss immer eine Basis da sein, die einen Vergleich rechtfertigt. Und diese Schnellschüsse, dass man immer alles mit allem vergleicht, sind brisant, denn die meisten Konflikte haben ihre Eigendynamik, ihre Einzigartigkeit. Deshalb sind ja auch NS-Vergleiche so gefährlich, weil sie zwei Bereiche miteinander vergleichen, die in der Regel nicht viel miteinander zu tun haben.
Momentan geistert immer wieder die Analogie durch die Medien, Judenfeindschaft und Muslimfeindschaft seien gleich zu setzen oder etwas sehr Ähnliches. Auch das stimmt nicht, sowohl historisch betrachtet als auch aktuell betrachtet. Muslimfeindschaft, so schrecklich sie ist, so sehr man sie kritisieren soll und muss, fällt unter Xenophobie, Vorurteile. Judenfeindschaft basiert auf Ressentiments, die seit fast 2000 Jahren tief verankert im abendländischen Denken und Fühlen sind. Das sind zwei verschiedene Dinge. Wenn man die verwischt, tut man der Aufklärung keinen Gefallen.
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Monika Schwarz-Friesel ist Professorin für Allgemeine Linguisitk am
Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin. In einem Forschungsprojekt untersucht sie judenfeindliche Kommunikation in den sozialen Netzwerken.