Schwieriges Bündnis: Die Anti-IS-Koalition im Irak
13. Oktober 2016Anfang Oktober fand in Washington eine Konferenz zur Vorbereitung der Angriffe auf die von der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) gehaltene Stadt Mossul im Norden des Irak statt. Eingeladen waren auch Vertreter der Christen. Diese werden von den IS-Kämpfern dort ebenso festgehalten wie die sunnitischen Bürger der Stadt. Insgesamt sind mehr als eine Million Menschen in Mossul eingeschlossen. Zurückgehalten von Sprengfallen und Scharfschützen des IS. Die wollen die Einwohner während in diesen Tagen die Schlacht um die Rückeroberung der Stadt beginnt, als menschliche Schutzschilde missbrauchen.
Wie seine Glaubensbrüder sich denn vor dem zu erwartenden Beschuss durch die irakische Armee schützen könnten, wollte der Vertreter der Christen wissen. Sie sollten ein großes weißes Kreuz auf ihre Häuser malen, lautete die Antwort. Das würde kaum nützen, antwortete der Sprecher der Christen. Die Schützen draußen vor der Stadt würden die Kreuze kaum erkennen und noch weniger Rücksicht auf sie nehmen. Umso mehr würden die Kreuze aber die IS-Terroristen anlocken, so der Sprecher. Sie würden den Christen umgehend den Garaus machen.
Schiitische "Volksmobilisierungseinheiten"
Der Dialog illustriert, welch große Konfrontationsenergien zwischen den Religionsgruppen herrschen, die beim Sturm auf Mossul aller Erwartung nach aufeinanderprallen werden. Dabei sind die Spannungen zwischen Christen und den sunnitischen Extremisten nur ein Teil dieses Gemischs. Kräftig aufgeheizt wird dieses auch von den anderen Gruppen - allen voran von den so genannten "Volksmobilisierungseinheiten" der Schiiten. Diese entstanden im Sommer 2014. Im Juni jenes Jahres hatte der IS Mossul fast handstreichartig erobert. Das irakische Militär hatte ihnen nichts entgegenzusetzen.
Die Niederlage war ein Schock für das gesamte Land. So rief der schiitische geistliche Ayatollah Ali Sistani die jungen Schiiten dazu auf, sich den Sicherheitskräften anzuschließen. Zahllose junge Männer folgten dem Ruf - gliederten sich aber nicht in die Reihen des Militärs und der Polizei ein, sondern gründeten eigene Verbände, eben die "Volksmobilisierungseinheiten".
Einige dieser Gruppen, wie die des bekannten Schiitenführers Muqtada al-Sadr, sind eher nationalistisch ausgerichtet; andere, wie die von dem ehemaligen irakischen Verteidigungsminister Hadi al-Amiri geführte Badr-Organisation, ist der iranischen Regierung verbunden. Ihre Milizen sind oft Teil der irakischen Streitkräfte. Diese unterliegen teilweise dem Einfluss aus Teheran.
Milizenstaat Irak
Insgesamt haben die verschiedenen schiitischen Gruppen mehr als 100.000 Kämpfer in ihren Reihen. "Der Irak wird immer mehr zu einem Milizenstaat, in dem Armee und Polizei nur Randakteure sind, während Milizen verschiedener Volksgruppen und Ausrichtungen um die Macht konkurrieren", schreibt der Irak-Experte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Diese Milizen tragen entscheidend dazu bei, dem IS Provinzhauptstädte wie Tikrit oder Ramadi wieder zu entreißen. Allerdings zu einem hohen Preis: Unter dem Vorwand des Kampfs gegen den Terror vertrieben die schiitischen Kämpfer oftmals auch unbeteiligte sunnitische Zivilisten aus ihren angestammten Wohngebieten. Diese besiedeln sie anschließend mit eigenen Leuten.
Frühzeitige Machtsicherung
Nun werden sich diese Gruppen auch massiv an der Rückeroberung Mossuls beteiligen. In der Anti-IS-Koalition fänden sich äußerst unterschiedliche Kräfte wieder, sagt der Nahost-Experte Robert Blecher vom Think Tank International Crisis Group. Sie umfassen einen den Amerikanern nahestehenden Teil. Und einen anderen, der sich Iran verbunden fühle. "In den vergangenen Jahren hat es zwischen diesen Gruppen einige Konkurrenz gegeben", so Blecher.
Ihre Vertreter hätten darüber gestritten, wer sich bei den Rückeroberungen der einzelnen Städte wo und wie engagiere. Je nachdem, welche Teile einer Stadt oder Region die verschiedenen Gruppen einnehmen, können sie darauf später ihre Machtansprüche gründen. "Darum hat die Art und Weise, in der diese Kampagnen umgesetzt werden, auch erheblichen Einfluss darauf, wie es nach den Kämpfen weitergehen wird", so Blecher im Gespräch mit der DW.
Kurden und Türken
Doch sind die schiitischen Milizen nicht die einzigen Gruppen, die aus ihrem Engagement für die Rückeroberung Mossuls politisches Kapital zu schlagen versuchen. Auch die kurdischen Peschmerga haben sich der Koalition angeschlossen. Ihr Ziel: die Autonome Region Kurdistan weiter zu stabilisieren und noch unabhängiger vom irakischen Staat zu werden.
Das Anliegen der Kurden hat längst auch die Regierung der Türkei mobilisiert. Sie hat tausende Soldaten in den Irak entsandt. Ihr Auftrag dort: "Terroristen" zu bekämpfen. Darunter versteht man in Ankara einerseits dschihadistische Gruppen wie den IS. Andererseits aber auch die Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei.
Zugleich werden Zusammenstöße zwischen der türkischen Armee und schiitischen Milizen befürchtet. Da diese nach der Rückeroberung von Mossul ihren Einfluss in und um die Stadt erweitern wollen, fürchtet die türkische Regierung eine starke Präsenz nicht nur der Kurden, sondern auch schiitischer Extremisten an ihrer Grenze. Die will sie so weit wie möglich unterbinden.
In den kommenden Wochen und Monaten dürfte die Anti-IS-Koalition durch ihr gemeinsames Interesse, die Rückeroberung Mossuls, geeint bleiben. Spätestens danach aber könnten die Gegensätze zwischen den Koalitionären offen ausbrechen. Dem Irak könnten weiterhin unruhige Zeiten bevorstehen.