Selbstbewusste Jahrestag-Bilanz
1. Mai 2019Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat 15 Jahre nach der EU-Erweiterung eine selbstbewusste Bilanz gezogen. Seine Botschaft: Die ost- und südosteuropäischen Länder sind wirtschaftlich stark. "Wir sind heute die Lokomotive des Wirtschaftswachstums für ganz Europa", sagte Morawiecki in Warschau nach einem Treffen von Regierungsvertretern der Länder, die dem Staatenbund seit 2004 beigetreten sind. "Es lohnt, das hervorzuheben, denn manchmal glauben einige zu Unrecht, dass die Länder in Mittel- und Osteuropa so etwas wie der kleine Bruder sind."
Am 1. Mai 2004 waren die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern der EU beigetreten. Mit der Aufnahme der zehn Staaten aus dem Osten und Süden Europas wuchs die Gemeinschaft damals mit einem Schlag um etwa 75 Millionen Menschen. Anfang 2007 wurden darüber hinaus noch Rumänien und Bulgarien in die EU aufgenommen, 2013 folgte Kroatien.
Morawiecki trat der Auffassung entgegen, die neu hinzugekommenen EU-Länder seien hauptsächlich finanzielle Nutznießer der Mitgliedschaft. "Wir sind dankbar dafür, was wir von der EU bekommen haben, aber wir möchten betonen, dass wir mindestens genauso viel geben." Die Öffnung der Märkte in Ost- und Südosteuropa habe es großen westlichen Unternehmen ermöglicht, ihre Produktion zu steigern.
Der polnische Regierungschef kritisierte, es gebe weiterhin "doppelte Standards" innerhalb der EU. Einerseits würden viele Firmen aus dem Westen ihre Markenprodukte in den östlichen Ländern mit schlechterer Qualität und anderer Zusammensetzung anbieten. Andererseits gebe es in der Bauwirtschaft sowie im Transport- und Logistikwesen diverse Hindernisse für osteuropäische Unternehmer. "Es gibt da einen Protektionismus bestimmter Länder", sagte Morawiecki.
Etwas anders hatte sich zuvor EU-Vizekommissionspräsident Jyrki Katainen geäußert. "Die EU ist nicht nur eine Geldmaschine, eine Kuh, die man melken kann", sagte Katainen in Warschau vor Journalisten. "Wir erwarten von Polen einen substanzielleren Beitrag für die Zukunft Europas."
100 Milliarden Euro von der EU
Die Wirtschaftsentwicklung des Landes sei dank der EU-Mitgliedschaft und der dadurch geflossenen Fördermittel über 100 Milliarden Euro bemerkenswert, sagte Katainen. Aufgrund des von der EU eingeleiteten Rechtsstaatsverfahrens im Zuge der umstrittenen Justizreformen habe sich Polen jedoch in eine schwächere Position innerhalb der Gemeinschaft manövriert. Noch habe sich das Verhalten der rechtsgerichteten Regierung in Warschau daraufhin nicht geändert, bemängelte Katainen. Am Ende des Verfahrens, das die EU bei Verstößen gegen die Prinzipien des Rechtsstaates einleiten kann, kann der Entzug der Stimmrechte für das betroffene Land im EU-Rat stehen.
Die rumänische Regierungschefin Viorica Dancila zog ein positives Fazit für ihr Land. "Für Rumänien war der Beitritt und auch die Mitgliedschaft in der EU eine Phase der Entwicklung, der Modernisierung, des wirtschaftlichen Wachstums und der Verbesserung der Lebensverhältnisse." Rumänien nutze seinen EU-Ratsvorsitz in der ersten Hälfte des laufenden Jahres, um sich für die weitere Integration innerhalb des Staatenbündnisses einzusetzen.
Während des Gipfels demonstrieren im Zentrum von Warschau laut Nachrichtenagentur PAP zahlreiche nationalistische EU-Gegner. Unter dem Motto "Stoppt die Diktatur von Berlin und Brüssel" zogen sie durch die Straßen.
stu/kle (dpa, rtr)