Berlinale: Selenskyj zieht Parallele zur Mauer
16. Februar 2023Als Wolodomyr Selenskyj auf der Videoleinwand erscheint, spannt der ukrainische Präsident zur Eröffnung der 73. Berlinale sogleich einen Bogen vom Krieg zum Film: Er durchbreche gerade die sogenannte vierte Wand - eine Anspielung auf die imaginäre Abgrenzung zwischen Film oder Bühne auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite.
"Das Kino kann diese Barrieren überwinden, echte wie ideologische", sagt Selenskyj, der auf Wim Wenders' Film "Der Himmel über Berlin" verweist, in dem sich Engel über die Berliner Mauer hinweg bewegten. Wo einst die Mauer stand, schlage heute das Herz der Berlinale.
Zivilisation oder Tyrannei?
"Heute ist es Russland, das so eine Mauer in der Ukraine errichten möchte - zwischen uns und Ihnen." Kunst und Kultur müssten die Frage beantworten, auf welcher Seite sie stehen wollten: für Zivilisation oder für Tyrannei. "Soll sich das Kino aus der Politik heraushalten?", fragt Selenskyj und antwortet: "Nicht, wenn es eine Politik der Massenverbrechen, des Mordes und des Terrors ist - die Politik des heutigen Russlands."
Still zu sein helfe nur dem "Bösen". Die Berlinale habe sich entschieden, die Ukraine zu unterstützen. Selenskyj zitiert das Motto der ersten Berlinale aus dem Jahr 1951: Schaufenster der freien Welt. "Heute ist die Ukraine eine Festung der freien Welt, die seit einem Jahr standhält."
Zum Auftakt der Eröffnungsgala hatte Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek ein Statement verlesen: "Die Berlinale und alle Filmemacher erklären sich solidarisch mit dem Volk der Ukraine in seinem Kampf für Unabhängigkeit und verurteilen den Angriffskrieg aufs Schärfste."
Neben der Weltpremiere von Sean Penns "Superpower" befassen sich rund um den ersten Jahrestag der russischen Invasion weitere Werke mit der Notlage der Ukraine, unter ihnen die von Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko an der Frontlinie gedrehte Dokumentation "Eastern Front".
"Iron Butterflies", ein poetisches Essay von Roman Liubyi, nimmt den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014 als Ausgangspunkt. Piotr Pawlus' und Tomasz Wolskis "In Ukraine", ebenfalls eine Dokumentation, liefert laut Festival die "Realität, in der das Land seit dem 24. Februar 2022 lebt".
Russische Invasion änderte Penns Pläne
Oscar-Preisträger Sean Penn, der kurz vor der Schalte mit dem ukrainischen Präsidenten auf die Bühne gekommen war, ist jüngst aus Kiew zurückgekehrt. "Es hat sich nichts am Willen des ukrainischen Volkes geändert", sagte Penn, dessen Dokumentation "Superpower" am Freitag (17. Februar) auf der Berlinale ihre Weltpremiere feiert.
Ursprünglich wollte Penn einen Film über Selenskyjs Weg vom Schauspieler und Stand-up-Comedian zum Präsidenten drehen, ehe Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff. "Das hat alles geändert", sagte Penn, der sich zu Kriegsbeginn in der Ukraine aufhielt und Selenskyj noch einen Tag vor der russischen Invasion getroffen hatte.
Solidarisch mit den Protesten im Iran
"Wer Filme dreht und wer Filme zeigt in finsteren Zeiten, der widersteht der Unfreiheit", sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrer Rede. Sie würde einen Preis vor allem jenen Menschen überreichen, "die heute Abend nicht über rote Teppiche laufen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen, sondern in Kellern, in Metro-Stationen oder an der Front ausharren".
Roth erinnerte auch an die Frauen im Iranund in Afghanistan und an die Männer, die sie in ihrem Kampf um Freiheit unterstützten. Ihr Herz sei "auch bei den Opfern des furchtbaren Erdbebens in der Türkei und in Syrien".
Im Anschluss an die Gala folgte die Vorführung des Eröffnungsfilms "She Came to Me", der auf dem Festival außer Konkurrenz läuft. In der Komödie von Rebecca Miller spielt Peter Dinklage ("Game of Thrones") einen Komponisten in der Krise.