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Film

Ukraine: Filmen in Zeiten des Krieges

Kevin Tschierse
28. Oktober 2022

Das Ukrainische Filmfestival Berlin zeigt Filme, die vor und während des Krieges entstanden sind. Unter anderem "Butterfly Vision" von Maksym Nakonechnyi. Wie steht es um die Filmindustrie in seinem Heimatland?

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Maksym Nakonechnyi guckt mit erstem Gesichtsausdruck in die Kamera.
Das ukrainische Kino habe ein Niveau erreicht, das gerettet werden muss, meint Filmemacher Maksym NakonechnyiBild: Ukrainian Film Festival Berlin

Das derzeit stattfindende  "Ukrainian Film Festival Berlin" macht eines deutlich: Trotz des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind die Filmschaffenden des Landes weiterhin produktiv. Das Festival ist eines von vielen - innerhalb und außerhalb der Ukraine - das Filmemacherinnen und Filmemachern eine Plattform bietet, ihre Werke zu zeigen. Vier Spielfilme und vier Dokumentarfilme sind zu sehen. Sie setzen sich mit dem russisch-ukrainischen Krieg, ukrainischer Kultur, der sowjetischen Vergangenheit und der bis heute fortbestehenden Macht der Propaganda auseinander.

Der Eröffnungsfilm "Butterfly Vision" von Maksym Nakonechnyi feierte bei den diesjährigen Filmfestspielen Cannes Premiere. Er wurde vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar gedreht und erzählt die düstere Geschichte eines Kriegstraumas: Eine ukrainische Soldatin kehrt nach zwei Monaten feindlicher Gefangenschaft in der Ostukraine nach Hause zurück und stellt fest, dass sie schwanger ist. Der Vater des Kindes ist der Gefängniswärter, der sie während ihrer Zeit als Kriegsgefangene vergewaltigt hat. Die DW hatte vor der Filmpremiere am 25. Mai in Cannes mit dem Regisseur Maksym Nakonechnyi gesprochen. 

Filmstill von "Butterfly Vision"´: Eine Frau schaut im Badezimmerspiegel auf Verletzungen am Rücken.
Beklemmendes Porträt einer Kriegsrückkehrerin: Nakonechnyis "Butterfly Vision"Bild: Butterfly Vision

Mittlerweile prämierte Nakonechnyis Film auch in der Ukraine. Zum ersten Mal konnte der Regisseur sehen, wie sein Film in seinem Heimatland ankommt. "Es war wirklich sehr herzergreifend, die Erstvorführung hat mich sehr berührt und bewegt," sagt der 32-Jährige, der für das Ukrainische Filmfestival nach Berlin gereist ist. "Wir hatten eigentlich nicht erwartet, dass ein so harter Film in der Ukraine auf so positive Resonanz stößt". Für viele Ukrainerinnen und Ukrainer wirke die Geschichte zwar wie eine Art Retraumatisierung, "aber weil der Film auch ein gewisses Happy End hat, oder zumindest darauf hindeutet, dass es weitergehen könnte, sind viele der Meinung, dass der Film notwendig war."

Starkes Kino der Ukraine könnte verloren gehen

Filme wie "Butterfly Vision" verdeutlichen die Wichtigkeit ukrainischer Filme für die Bevölkerung des Landes. Sie steigern die Moral der Menschen und lassen sie Kraft schöpfen. Außerdem seien Filmfestivals wie das in Berlin großartig, um ukrainische Kultur und ukrainische Filme zu verbreiten, meint Nakonechnyi. Sie bieten eine gute Möglichkeit für den Dialog mit einem internationalen Publikum. "Die Informationsebene ist eine Sache, aber Filme können ein viel tieferes Verständnis auf persönlicher und humanitärer Ebene bringen."

Das Ukrainische Filmfestival Berlin findet bereits seit drei Jahren statt. Anastasia Pugach, Teil des Organisationsteams des Festivals, stellt klar, dass es bei dem Festival hauptsächlich darum gehe, das ukrainische Kino zu fördern und die kreative Schaffenskraft der Ukraine einem internationalen Publikum näherzubringen: "Wir wollen die Aufmerksamkeit der Welt auf die Ukraine lenken. Unser Hauptziel ist es, die Vielfalt des ukrainischen Kinos zu zeigen - die besten ukrainischen Spiel- und Dokumentarfilme dem Publikum vorzustellen."

Anastasia Pugach steht vor einer Fotoleinwand des Ukrainischen Filmfestivals und lächelt in die Kamera.
Anastasia Pugach organisiert seit drei Jahren das Ukrainische Filmfestival BerlinBild: Kevin Tschierse/DW

Aber gerade jetzt in Kriegszeiten wolle man auch darauf aufmerksam machen, was in der Ukraine passiert. Man wolle zeigen, was für ein starkes Kino die Ukraine hat "und dass wir es verlieren könnten," so Pugach. Denn die Situation der Filmemacherinnen und Filmemache sei dort momentan nicht gut. "Alle Finanzierungsmöglichkeiten für Filme, für Filmproduktionen sind zurzeit gestoppt. Die Filmeschaffenden suchen nach Geld, um bereits gedrehte Filme fertigzustellen."

Kriegsdokus statt Spielfilme

Viele Regisseurinnen und Regisseure in der Ukraine arbeiten jetzt vor allem an Dokumentationen, sagt Pugach. "Sie beschäftigen sich mit der Dokumentation von Kriegsverbrechen und dem Krieg. Sie drehen viel an der Front oder in den Städten, die im Krieg besetzt und dann wieder befreit wurden. Andere Filmemacher sind in der Armee. Sie sind jetzt Soldaten."

Auch Maksym Nakonechnyi, der ehrenamtlich für die ukrainische Armee Videos schneidet, ist als Dokumentarfilmer an die Front gereist: "Für Dokumentarfilme braucht man nicht so viel Personal. Man braucht nicht so viel Ausrüstung," erklärt er. "Vor etwa einem Monat war ich in der Region Charkiw. Wir haben über die Exhumierung von Massengräbern berichtet. Das ist Teil eines gemeinsamen Projekts von mehreren Regisseuren. Meine Kollegen haben zum Beispiel über die Getreideernte berichtet und auch in der Nähe der Front gedreht. Wir versuchen Prozesse zu verfolgen, die wir für wichtig halten."

Nakonechnyi: "Durch Filme bewahren wir unsere Identität"

Die Filmindustrie in der Ukraine macht weiter, trotz des Krieges. Denn der Krieg wirft auch existenzielle Fragen auf, meint Maksym Nakonechnyi. Er sieht es für die Gesellschaft als seine Verantwortung, in seinen Filmen auf Identitätssuche zu gehen: "Nicht nur unser Territorium und unser Volk werden angegriffen, sondern auch unsere Kultur, unsere Identität - unsere bloße Existenz als eigenständiges Subjekt, als Nation und Gesellschaft ist bedroht. Durch Filme bewahren wir uns unsere Identität."

Maksym Nakonechnyi in Lederjacke steht rechts mit Mikrofon in der Hand; links eine Moderatorin, die ihm zuhört.
Maksym Nakonechnyi diskutierte nach der Vorführung seines Films "Butterfly Vision" beim Ukrainischen Filmfestival mit dem PublikumBild: Kevin Tschierse/DW

Deshalb begrüßt er auch die wenigen Filmfestivals, die noch in der Ukraine organisiert werden. "Die Filmbranche tut ihr Bestes, um zu überleben. Vor ein paar Tagen hatten wir unsere Premiere auf der Kiewer Kritikerwoche. Es ist sehr cool, was die da machen. Sie stellen sich auf Luftangriffswarnungen und Stromausfälle ein und machen trotzdem weiter. Das ist sehr inspirierend," erzählt Nakonechnyi begeistert.

Filmfestivals wie die Kiewer Kritikerwoche oder das Ukrainische Filmfestival Berlin helfen dem ukrainischen Kino zu überleben. Und "schaut man sich die Auswahl der großen Filmfestivals in diesem Jahr an", so Nakonechnyi, "stellt man fest, dass alle ukrainische Filme im offiziellen Programm hatten. Und wenn man sich die Filme ansieht, versteht man, dass es sich nicht um Mitleidsauswahlen handelt. Wir haben ein gewisses Niveau erreicht, das wir retten müssen!" 

Das Ukrainische Filmfestival Berlin findet vom 26. bis zum 30. Oktober statt. Gefördert wird es unter anderem durch das Goethe-Institut, das Goethe-Institut im Exil, das Medienbord Berlin-Brandenburg und das Auswärtige Amt.