Ampel unterzeichnet Koalitionsvertrag
7. Dezember 2021"Das soll ein Morgen sein, bei dem wir aufbrechen zu einer neuen Regierung." Mit diesen Worten leitete der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeremonie zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags von Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten ein. Der Kampf gegen die Corona-Krise werde zunächst die ganze Kraft der neuen Koalition erfordern, sagte Scholz im Futurium in Berlin, einem Zentrum für Ausstellungen zum Thema Zukunftsgestaltung. FDP-Chef Christian Lindner erklärte: "Jetzt beginnt die Zeit der Tat. Ab dieser Woche wollen wir am Fortschritt arbeiten." Grünen-Chef Robert Habeck betonte die Herausforderung, in der größten Industrienation Europas und viertgrößten Volkswirtschaft der Welt Klimaneutralität und Wohlstand zusammenzubringen. Habeck ist in der neuen Bundesregierung nicht nur als Wirtschafts- und Klimaschutzminister vorgesehen, sondern auch als Vizekanzler. Seine grüne Co-Vorsitzende Annalena Baerbock, die das Amt der Außenministerin übernimmt, sprach von einem Koalitionsvertrag "auf der Höhe der Wirklichkeit, auf der Höhe der gesellschaftlichen Realität". Danach unterzeichneten jeweils fünf Vertreterinnen und Vertreter von SPD und Grünen sowie drei von der FDP das Vertragswerk.
Erste Auslandsreise geht nach Frankreich
In einer Bundespressekonferenz bekräftigte Scholz anschließend, zu den außenpolitischen Schwerpunkten der Koalition zähle eine starke, souveräne Europäische Union. Deshalb werde seine erste Reise als Kanzler ihn auch nach Paris führen. Scholz lobt US-Präsident Joe Biden dafür, dass dieser die Gemeinschaft demokratischer Staaten stärken wolle. Zugleich müsse es aber auch darum gehen, mit Ländern mit anderen Regierungsformen multilateral zusammenzuarbeiten, erklärte er mit Blick auf Russland und China. Besorgt zeigte sich Scholz über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Die Unverletzbarkeit der Grenzen müsse beachtet werden. Beim Thema Corona-Pandemie betonte der SPD-Politiker nochmals die Bedeutung einer Impfung.
Auch Habeck bezeichnete vor den Journalisten das Impfen als den Weg zurück "zur offenen, freien Gesellschaft mit möglichst wenig Einschränkungen". Die Politik müsse deshalb im Sinne des Landes und der Freiheit die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Im Konflikt mit den USA um das Energieprojekt Nord Stream 2 wies Habeck darauf hin, dass die Ostsee-Gas-Pipeline noch nicht genehmigt worden sei. Die politischen Gespräche darüber würden fortgesetzt.
Die FDP wird nach den Worten von Parteichef Lindner im Bundestag nicht geschlossen für oder gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht stimmen. Im Hinblick auf die künftige Politik seines Finanzministeriums sagte er, Leitplanken würden sein, Steuererhöhungen zu vermeiden und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten.
Am Mittwoch wird Scholz zum Kanzler gewählt
Nach SPD und FDP hatten am Montag auch die Grünen dem 177 Seiten starken Koalitionsvertrag mit dem Titel "Mehr Fortschritt wagen" zugestimmt. Die künftige Ampel-Regierung will ein "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" sein. Alle Ministerinnen und Minister sind benannt. In einem letzten Schritt soll Scholz am Mittwoch im Bundestag zum Bundeskanzler gewählt und sein Kabinett vereidigt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte.
In ihrem über Wochen ausgehandelten Koalitionsvertrag versprechen die Ampel-Parteien unter anderem große Anstrengungen beim Klimaschutz und einen Umbau der Industrie. Zugleich sind Verbesserungen etwa für Geringverdiener, Mieter und Familien vorgesehen.
So soll auf Bundesebene der Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro auf zwölf Euro steigen. Langzeitarbeitslose sollen statt Hartz IV künftig das sogenannte Bürgergeld bekommen. In den ersten zwei Bezugsjahren fällt dabei die Prüfung des Vermögens oder der Wohnung weg.
Jährlich sollen 400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Die Mietpreisbremse für Neuvermietungen soll verlängert werden.
Im Kampf gegen die Klimakrise haben sich SPD, Grüne und FDP zum Ziel gesetzt, dass bis 2030 Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht. Der öffentliche Nahverkehr soll gestärkt werden.
Das umstrittene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche (Paragraf 219a des Strafgesetzbuches) soll abgeschafft werden. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.
Schröder mahnt: Kurs in Außenpolitik beibehalten
Der sozialdemokratische Altbundeskanzler Gerhard Schröder warnte die neue Bundesregierung vor einem Kurswechsel in der Außenpolitik. Wenn man etwa mit China Weltklimapolitik machen wolle, könne man das Land nicht jeden zweiten Tag "in den Senkel stellen", sagte der 77-Jährige dem Nachrichtenportal T-Online. Gleiches gelte auch für die Beziehungen zu Russland, der Türkei und Saudi-Arabien. Es brauche in internationalen Fragen mehr Sensibilität, als sie die Grünen derzeit an den Tag legten, so Schröder weiter.
se/sti (ntv live, dpa, afp, rtr)