Streit um Haushaltsdisziplin
12. September 2014Die Lage ist ernst in der Eurozone mit ihren 18 Mitgliedern, die durch die Gemeinschaftswährung eng verbunden sind. Sie ist wieder einmal ernst. Diesmal ist nicht die Stabilität der Währung oder die Zahlungsfähigkeit eines Staates unmittelbar in Gefahr, diesmal geht es um zwei wirtschaftliche Schreckgespenster: Rezession und Deflation. Schrumpfen der Wirtschaft bei gleichzeitigem Preisverfall. Das machte der Präsident der Europäischen Zentralbank den versammelten Finanzministern in Mailand bei ihrem informellen Treffen noch einmal klar. Im zweiten Quartal stand die Wirtschaft in der Eurozone praktisch still. Die Inflationsrate lag bei nur noch 0,3 Prozent und die Arbeitslosigkeit ist weiterhin viel zu hoch, bemängelte Mario Draghi. Deshalb habe er in der Zentralbank eine letzte Notbremse gezogen und den Leitzins auf nahezu Null gesetzt. "Jetzt sind wir am unteren Ende angekommen", sagte Draghi in gewohnt ruhigem Ton und wollte wohl andeuten, dass die Karten der klassischen Geldpolitik einer Zentralbank bald ausgereizt sind.
"Hand in Hand gehen"
Um die Wirtschaft zu beflügeln, will Draghi für billige Kredite sorgen, indem er in verschiedenen Programmen in den nächsten Wochen und Monaten den Banken billiges, sicheres Geld zukommen lässt. Seine Hoffnung sei, dass die Banken den Unternehmen besonders in den südlichen Krisenländern nun endlich wieder mehr Geld leihen werden, sagte ein Vertrauter von Mario Draghi am Rande des Treffens. Eine Garantie gebe es dafür aber nicht. Da die EZB jetzt am Ende der Fahnenstange angekommen sei, seien jetzt die Finanzminister der Eurozone am Zuge, heißt es aus der Zentralbank. Mario Draghi drückte das diplomatischer aus. "Nur wenn Währungspolitik, Fiskalpolitik und Strukturpolitik Hand in Hand gehen, werden Investitionen in den Euro-Raum zurückkehren", mahnte Draghi in Mailand. "Investitionen brauchen wir für Wachstum und neue Jobs. Einer der wichtigsten Punkte heute ist die Betonung von strukturellen Reformen. Damit Investitionen fließen, brauchen wir Strukturreformen." Mario Draghi erwartet von den Finanzministern, dass sie in ihren Haushalten mehr Geld für öffentliche Investitionen bereitstellen und bessere Bedingungen für Unternehmen schaffen. Da das nicht in seiner Zuständigkeit liegt, die er nach Meinung von Kritikern schon weit auslegt, erwartet Draghi jetzt, dass die Minister handeln.
Investitionen auf Pump? Oder eisern sparen?
Die Finanzminister legen diese Mahnung je nach Land und Haushaltslage sehr unterschiedlich aus. Der italienische Finanzminister Pietro Carlo Padoan möchte weniger sparen und mehr Geld für Investitionen locker machen. Frankreich wünscht sich das auch. Nur die Haushaltsdisziplin würde darunter leiden. Neue Schulden könnten die Folge sein, dabei stecken Italien und Frankreich bereits tief in den roten Zahlen. Jyrki Katainen, der EU-Haushaltskommissar, mahnt vorbeugend: "Wir müssen eine strikte Haushaltspolitik beibehalten und gleichzeitig die Qualität der Ausgaben verbessern. Wenn kein Geld da ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als zu sparen. Nur wie man spart, das kann man gestalten." Man dürfe nicht die Steuern erhöhen, um Lücken zu stopfen, sondern müsse die Ausgaben zum Beispiel für die eigenen Beamten zurückfahren.
Doch davor schrecken der italienische Finanzminister Padoan und der französische Finanzminister Michel Sapin zurück. Sie stellen sich vor, dass frisches Geld aus den Töpfen der EU oder aus neu aufzulegenden Investitionsfonds kommen soll. Polen hat dann gleich einen Fonds von 700 Milliarden Euro vorgeschlagen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will 300 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen zusammentragen. Wie das geschehen soll und wer am Ende zahlen soll, liegt allerdings noch im Dunkeln. Einig sind sich viele Euro-Staaten, dass Deutschland mehr Geld für Investitionen ausgeben müsse. Diese Ansicht vertreten auch die EU-Kommission und die OECD in Paris, die wirtschaftliche Vereinigung reicher Industrienationen.
"Auch Deutschland braucht Investitionen"
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble versuchte, allzu große Hoffnungen in Mailand gar nicht erst aufkommen zu lassen. Natürlich sei Deutschland für Investitionen, aber die sollten bitteschön vor allem aus dem Privatsektor und von der Industrie kommen. Der Staat könne nur helfen, aber nicht Arbeitsplätze herbeikaufen, so Schäubles Ansatz. "Wir sind in einem wirtschaftlichen Umfeld, das eine Verstärkung der Investitionen in Europa, auch in Deutschland, erfordert", gestand Wolfgang Schäuble immerhin zu. Intern musste er sich Kritik gefallen lassen, hieß es von EU-Diplomaten. Die Deutschen seien viel zu fixiert auf ihren ausgeglichenen Haushalt 2015, den Schäuble just in dieser Woche präsentiert hatte.
Zwar hat Wolfgang Schäuble zusammen mit seinem französischen Kollegen Sapin Vorschläge für mehr Investitionen ausgearbeitet, aber er bleibt bei seiner Linie: "Ich glaube, dass das der richtige Weg ist: Mehr Investitionen, natürlich Einhaltung der Regeln zur Haushaltskonsolidierung, Strukturreformen, verbesserte institutionelle Rahmenbedingungen. Alles zusammen schafft dauerhaftes Wachstum und mehr Arbeitsplätze." Der französische Finanzminister Sapin reagiert auf die vermeintliche deutsche Sturheit auf seine Weise. Er will die vereinbarten Defizitgrenzen für weitere zwei Jahre nicht einhalten. Zusätzliche strukturelle Einsparungen im französischen Haushalt seien nicht geplant. Frankreich beruft sich auf "außergewöhnliche Umstände", wie die unerwartet schlechte Konjunktur.
Frankreichs Verstoß gegen Haushaltsregeln wird später bewertet
Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist es noch zu früh, die französische Haushaltspolitik zu kritisieren. "Ich warte ab und halte mich an die europäischen Regeln. Wenn die Franzosen ihren Haushaltsentwurf beschlossen haben, wird ihn die EU-Kommission beurteilen. Wir werden uns auf der Grundlage der Beurteilung durch die Kommission damit befassen, aber spekulieren werden wir nicht." Der Streit um Defizite, Investitionen und den richtigen Kurs bei der Bekämpfung von Rezession und Deflation wurde vertagt. Im November soll über Frankreich, Italien und die Haushalte der übrigen Euro-Staaten beraten werden. Der italienische Ökonom Tito Boeri warnte im Gespräch mit der DW, Krisenländer wie Italien oder Frankreich könnten es alleine mit Sparen und Reformen nicht mehr schaffen, sie bräuchten Wachstumsimpulse und Hilfen der Europäischen Union. Sonst drohe eine lang anhaltende Abwärtsspirale aus wirtschaftlichem Stillstand und Preisverfall.
"Wir werden beobachtet"
Ein Mann aus der Praxis, der tagtäglich mit Investoren auf den Finanzmärkten umgeht, ist Klaus Regling, der Chef des Europäischen Rettungsfonds ESM in Luxemburg. Er warnt vor zu lascher Haushaltsdisziplin in der Eurozone. Das sei eine Frage der Glaubwürdigkeit. "Die Investoren beobachten sehr genau, ob die vereinbarten Regeln eingehalten werden und Strukturreformen in allen Ländern durchgezogen werden", sagte Regling in Mailand. Noch vertrauten die Investoren, die den Staaten Geld leihen, darauf, dass EZB-Chef Mario Draghi seinen Kurs durchsetzen und mit viel billigem Geld die Wirtschaft ankurbeln könne, glaubt Wirtschaftsexperte Tito Boeri. Wenn das Ringen zwischen den Euro-Staaten und der Zentralbank über den richtigen Kurs zu lange anhalte, könne das Vertrauen aber auch schnell schwinden.