Streit um Roma-Haus in Duisburg
25. September 2013Angeknabberte Maiskolben, Plastikbehälter und Flaschen liegen vor dem Gebäudekomplex im Duisburger Stadtteil Rheinhausen herum. Es stinkt nach Urin und Muff. Eine fette Ratte flitzt vorbei. Zwischen Müll und Pfützen spielen Jungen Fußball. Ältere Frauen mit Kopftuch und Mädchen schauen aus sicherer Entfernung von den Balkonen herunter. Die sind voll bepackt mit Wäsche, Teppichen, Unrat, Satellitenschüsseln. Kabel hängen daran. Den Strom beziehen die Bewohner des von Anwohnern "Problemhaus" genannten Gebäudes von Masten im Hof. Illegal.
"Gehen Sie nicht zu dicht an der Hauswand entlang", warnt Rolf Karling beim Gang am Haus vorbei, "es könnte sein, dass Sie von herabfliegenden Gegenständen wie Kaffeetassen oder Babywindeln getroffen werden. Die Leute sind es gewohnt, ihren Müll aus dem Fenster zu schmeißen." Karling selbst trägt eine Jacke mit Camouflage-Muster der niederländischen Armee als Schutz. "Die Menschen hier haben Respekt vor Uniformen", begründet er die Maßnahme. Doch heute hat auch Karling es schwer, auf den verwahrlosten Innenhof zu gelangen. "Go, go", ruft ein Dreikäsehoch und reckt den Mittelfinger in die Luft. Argwöhnisch wird jeder von den Gruppen aus Männern und Jungen beäugt, der sich traut, das Gelände des Gebäudekomplexes "In den Peschen 3-5" zu betreten. Es wird überwiegend von Roma bewohnt.
Randale durch Linksradikale
Die Stimmung im Viertel um das "Problemhaus" ist gereizt, seit bei einer Versammlung über Roma in Rheinhausen Vermummte die Anwohner mit Schlagstöcken angegriffen und mit Reizgas besprüht hatten. Rolf Karling vom Verein "Bürger für Bürger" hatte eingeladen, um zwischen Anwohnern und Roma zu vermitteln. Doch keiner der Neubürger war vertreten. Es sei schlicht kein Kontakt zustande gekommen, weil niemand deutsch spreche, sagt Karling entschuldigend. Mit Störenfrieden aus der rechten Szene habe man gerechnet, doch nicht mit Linksautonomen. Per Facebook hatte die antifaschistische Antifa-Gruppe zu den Übergriffen aufgerufen.
Duisburg gilt als Anlaufort für Menschen aus Osteuropa, weil seit Schließung des Krupp-Stahlwerks immer mehr Menschen wegzogen und die Mieten gefallen sind. Etwa 7000 bis 8000 Roma leben dort, schätzt Karling. Aber nicht einmal der Vermieter wisse, wie viele sich in dem "Problemhaus" aufhielten.
Er habe mit ihm über seine Fürsorgepflicht als Eigentümer geredet, man habe Brandschutztüren eingebaut, "weil die Bewohner übers Internet bedroht wurden, abgefackelt zu werden". Viele Duisburger stören sich zwar am Müll um das Haus, haben aber Verständnis für die Lage der Roma, die in ihrer Heimat oft diskriminiert werden. Sie befürchten, die Stadt könne bald in einem Atemzug genannt werden mit Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen, wo Ausländer in Flammen umkamen, die von Rechtsextremen entfacht worden waren.
Angst vor negativen Schlagzeilen
Auf einer Seite des Hauses werden gerade neue Türen eingebaut. "Die Roma sollen das Gefühl haben, sicher zu sein", sagt Rolf Karling. Bürger organisierten sogar Nachtwachen zum Schutz der Zuwanderer. Irgendwann kamen auch Teilnehmer aus der linksautonomen Szene. Es kam zu Konflikten. Aber erst seit den Übergriffen fährt die Polizei am Tag Streife. Nachts zeigen Beamte dauerhaft Präsenz. "Vorher hieß es immer: Es ist ja nichts passiert. Wir haben keine rechtliche Handhabe", beklagt Anwohner Hans-Wilhelm Halle.
Besonders seine Frau hält den Lärm, den Dreck und Unfrieden nicht mehr aus. "Die benutzen den Vorgarten als Toilette, und nachts laufen so viele Ratten herum", sagt Helga Halle mit einem müden Lächeln. Seit Monaten gehe sie nicht mehr abends aus dem Haus. Die Verzweiflung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Den Auszug haben die Halles schon geplant, obwohl ihr Haus ihr Altersruhesitz sein sollte.
Die Pläne von Stadt und Landesregierung
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat ein Wohnaufsichtsgesetz angekündigt. Massive Überbelegungen sollen durch Kontrollen der Behörden vermieden werden. Ein weiterer Lösungsansatz der Stadt ist, den Roma Wohnungen in Gebieten mit wenigen Migranten anzubieten, damit sie sich leichter integrieren.
Elisabeth Pater, in der Stadtverwaltung Duisburg zuständig für die Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien, hat wie die meisten Anwohner Verständnis für die Lage der Roma, die in ihrer Heimat oft diskriminiert werden. Ihr Handeln sei durchaus nachvollziehbar, sagt sie im DW-Gespräch. Pater hat Erfahrung in Integrationsfragen. Jeder dritte Duisburger ist ein Migrant. Sie setzt auf Bildung: "Die Menschen haben unter noch schlechteren Bedingungen gelebt. Wir müssen die Kinder fördern und sie fit machen für das Leben in der Gesellschaft." Es gebe zudem Bedarf an ungelernten Kräften ohne Berufsabschluss. Die Menschen müssten lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.
Doch Kritiker zweifeln an der guten Absicht der Zuwanderer des "Problemhauses." Sie sagen, die Roma wollen die deutsche Sozialgesetzgebung ausnutzen. "In Deutschland wird viel Kindergeld bezahlt, für die ersten beiden Kinder je 184 Euro, aber ab dem vierten Kind erhalten die Eltern 215 Euro", sagt Hans-Wilhelm Halle.
Furcht vor dem 1. Januar 2014
Die Politik in Berlin müsse wach werden, hatte Oberbürgermeister Sören Link (SPD) gefordert. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und den ehemaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück konnte Link dazu bewegen, sich ein Bild vor Ort zu machen. Doch dabei ist es geblieben.
Eine überschuldete Stadt wie Duisburg scheint mit der Situation überfordert. Und bald könnte sich die Lage noch verschärfen. Während zugewanderte EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien sich seit 2007 überall in der EU aufhalten dürfen, erhalten sie mit Beginn des nächsten Jahres die volle Arbeitserlaubnis. Im Umkehrschluss bekommen sie bei Arbeitslosigkeit die volle Unterstützung für Arbeitslose. Duisburger wie Rolf Karling oder das Ehepaar Halle denken mit Sorge an den Stichtag, weil sie dann noch mehr bedürftige Roma auf die Stadt zukommen sehen.