Streit um Streubomben-Bericht von HRW
22. Oktober 2014Bei Kämpfen im Osten der Ukraine werden von der ukrainischen Armee Streubomben eingesetzt - so lautet der Vorwurf der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. In zwölf dokumentierten Fällen seien durch Streumunition sechs Personen ums Leben und Dutzende verletzt worden.
"Anfang Oktober haben wir eine Mission in die Ostukraine geschickt, um Meldungen über den Einsatz von Streubomben nachzugehen", sagt Hugh Williamson, HRW-Regionaldirektor für Europa und Zentralasien, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Es habe sich um eigene Waffenexperten gehandelt. Sie hätten Menschen vor Ort befragt und mit einem Journalisten gesprochen, der in dem betroffenen Gebiet gewesen sei. "Er konnte den Typ der verwendeten Raketen bestimmen und die ukrainische Armee verfügt über sie", so Williamson. Doch am wichtigsten sei festzustellen, von welchen Positionen aus geschossen worden sei. "Unsere Experten haben die Flugbahnen der Raketen berechnet, die getroffenen Stellen und die Standorte der Raketenwerfer besichtigt. Sie sind zum Ergebnis gekommen: Geschossen haben ukrainische Regierungstruppen. Wir können nicht absolut sicher sein, aber alle Beweise deuten darauf hin", so Williamson.
Verbotene Waffen
HRW bezeichnet den Einsatz von Streubomben als Kriegsverbrechen. Die Menschenrechtler verweisen dabei auf das Übereinkommen über Streumunition - ein im Jahr 2010 in Kraft getretener Vertrag zum Verbot von Streumunition. Unterzeichnet haben ihn 114 Staaten, ratifiziert wurde er von 86. Aber weder die Ukraine noch Russland haben sich dem Verbot angeschlossen. HRW fordert deshalb Kiew auf, dies zu tun und betont zugleich, dass Vertreter der Menschenrechtsorganisation im Donbass 22 Reststücke von Raketen mit Streumunition gefunden hätten: 16 eines Mehrfachraketenwerfers vom Typ Uragan und sechs vom Typ Smertsch.
Kiew weist die Vorwürfe von HRW zurück. Wladyslaw Selesnjow, Sprecher der ukrainischen Armee, erklärt der DW, die Truppen würden über Raketenwerfer vom Typ Uragan und Smertsch verfügen, jedoch nicht über Streumunition. "Wenn wir wissen, dass sich in Bereichen von Rebellen-Stellungen Zivilisten befinden könnten, beschießen wir sie unter keinen Umständen", so Selesnjow.
Auch der Sprecher der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, Michael Bociurkiw, sagt im Gespräch mit der DW, die ukrainischen Militärs hätten keine Streubomben eingesetzt. "Wir haben rund 90 Beobachter in der Ostukraine. Wenn wir Entsprechendes gesehen hätten, hätten wir dies gemeldet, aber bis heute ist das nicht vorgekommen. Alles, was wir über Munition und Beschuss sagen können, steht in unseren täglichen Berichten", so der OSZE-Vertreter.
Zweifel am HRW-Bericht
Sichere Erkenntnisse über den Einsatz von Streumunition könnten nur Militärexperten liefern, meint Anton Michnenko vom ukrainischen Forschungszentrum für Armee, Konversion und Abrüstung. Er sieht den HRW-Bericht kritisch. "Gesellschaftliche Organisationen haben keine hochqualifizierten Fachleute, die sagen können, ob es sich um Explosionen mit Streumunition handelt und aus welcher Richtung geschossen wurde", sagt er im Gespräch mit der DW. Michnenko vermutet, dass die Separatisten die HRW-Vertreter bewusst desinformiert haben.
Auch Nikolaj Sunhurowskyj vom Kiewer Rasumkow-Forschungszentrum bezweifelt die Vorwürfe von HRW. "Sie basieren nur auf Aussagen von Zeugen, die den Flug der Geschosse beobachtet haben wollen", sagt er der DW. Sunhurowskyj schließt nicht aus, dass "vagabundierende Rebellen-Einheiten" Streubomben einsetzen. Sie könnten in die Pufferzone zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee vordringen und von dort Ortschaften unter Beschuss nehmen.
Dass die Ukraine kein Interesse daran habe, die Infrastruktur und Wohnhäuser im Donbass zu zerstören, meint Serhij Sgurez vom ukrainischen Informations- und Beratungsunternehmen Defense Express. Denn nach Beendigung des Konflikts werde Kiew die Region wieder aufbauen müssen. Er glaubt, Moskau wolle das Wirtschaftspotential der Industrieregion Donbass schwächen und die ukrainischen Militärs diskreditieren. "Der Einsatz von Streumunition ist für diese Aufgabe am besten geeignet", so Sgurez.
Berlin für unabhängige Untersuchung
Unterdessen spricht sich die Bundesregierung für eine unabhängige Untersuchung der Streubomben-Vorwürfe gegen die ukrainische Armee aus. Wie der Russlandbeauftragte der Bundesregierung Gernot Erler (SPD) erklärte, habe die Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse darüber, ob und von wem in der Ukraine Streubomben eingesetzt worden sind.
"Aber Human Rights Watch ist eine seriöse Einrichtung. Und das Projekt war auch noch zusammen mit der New York Times, das heißt: unverdächtig jetzt etwas gegen die ukrainische Regierung zu haben", so Erler. "Insofern haben wir einen erheblichen Aufklärungsbedarf. Und da muss man eine internationale, eine unabhängige Prüfung auf jeden Fall fordern."