Syrien, Irak und der "Islamische Staat"
18. Juli 2016Zwei Jahre lang hatte die Stadt Falludscha im Westen Bagdads unter Herrschaft der Terrorgruppe "Islamischer Staat" gestanden. Ende Juni dann gab die irakische Regierung den militärischen Durchbruch bekannt: die Armee hatte Falludscha befreit, statt des so genannten "Islamischen" übernahm nun wieder der irakische Staat die Kontrolle über die Stadt.
Die Einnahme von Falludscha steht in einer ganzen Reihe militärischer Triumphe, die das irakische Heer in den vergangenen Monaten verzeichnen konnte. Seitdem sie im März zur Einnahme der ebenfalls vom IS beherrschten Millionenstadt Mossul ansetzte, hat die Armee auf dem Weg dahin eine ganze Reihe kleinerer Städte und Ortschaften wieder unter ihre Gewalt gebracht. Zwar hatten Selbstmordattentäter und Sprengstofffallen die Operation immer wieder zum Halten gezwungen. Doch letztlich kämpfte die Armee sich voran. Inzwischen hat sie Mossul von allen Seiten umzingelt.
Allerdings dürften die Kämpfe der kommenden Monate um die zweitgrößte Stadt des Landes mehrere hunderttausend, womöglich sogar mehr als eine Million Iraker zur Flucht zwingen. Das erklärte der ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei dem Büro der Vereinten Nationen, Joachim Rücker, zu Beginn dieser Woche nach einer Reise in den Irak.
"Ein krimineller Akt"
Auch in Syrien sind die Dschihadisten auf dem Rückzug. Bereits im März wurde der militärische Führer des IS getötet, der Tschetschene Tachan Batiraschwili alias Abu Omar al-Schischani. Doch die Kämpfe werden weiterhin in aller Härte geführt - und treffen die Zivilbevölkerung massiv. Seit Wochen bereits attackiert die syrische Armee die vom IS gehaltene Millionenstadt Aleppo im Norden des Landes. Dabei geht sie ohne Rücksicht auf unbeteiligte Zivilisten vor. Sie schreckt auch vor dem Beschuss von Wohnvierteln und Krankenhäusern nicht zurück. Die in London ansässige "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" berichtet von sechs Toten allein am Sonntag und einem bis zum frühen Montagabend. Brett McGurk, der US-Repräsentant der Anti-IS-Koalition, bezeichnete die Angriffe der syrischen Luftwaffe auf Aleppo als "kriminellen Akt". Insbesondere kritisierte er den Abwurf von Fassbomben - auch über Wohnvierteln. Führe die syrische Regierung mit diesen Angriffen fort, warnte er, bereite sie den Boden für neue terroristische Organisationen.
Auch mit diesen Problemen muss sich die von den USA geführte Anti-IS-Allianz auseinandersetzen, wenn ihre Vertreter sich an diesem Mittwoch in Washington treffen. Das aus der Türkei, den großen westlichen und mehreren arabischen Staaten bestehende Bündnis unterstützt bislang die irakische Führung. Auch führte sie Luftschläge in Syrien durch. Auf ein Bündnis mit dem Assad-Regime mochte sie sich bislang nicht einlassen. Allerdings hält sie Beziehungen zu der russisch-syrischen Koalition. Deren erklärtes Ziel ist der Kampf gegen den "Terrorismus" - worunter die Regierung Asad allerdings ganz offenbar sämtliche oppositionelle Gruppen zusammenfasst. Auch jene, die friedlich und unbewaffnet vorgehen.
Politische Differenzen
Erhebliche Differenzen hatten die beiden Bündnisse bislang vor allem im Hinblick auf die politischen Ziele: Während das von den USA geführte Bündnis einen Amtsverzicht von Präsident Bashar al-Asad als grundlegende Voraussetzung für einen dauerhaften Friedene in Syrien sah, wollte die russisch-syrische Koalition davon nichts wissen. Nun aber, sagt der Nahost-Experte Stephan Rosiny vom Hamburger Think Tank GIGA im Deutschlandradio, hätten die beiden Gruppen sich stärker auf ihre gemeinsamen Anliegen besonnen: "Dazu gehört neben dem gemeinsamen Kampf gegen den Islamischen Staat jetzt auch der gegen die Al-Nusra-Front. Außerdem wollen beide so viel wie möglich vom syrischen Staat bewahren, um zu verhindern, dass es zu einem Staatskollaps kommt wie im Irak und in Afghanistan und sich dann dadurch neue Freiräume letztendlich für Dschihadisten bilden."
Dieser syrische Staat aber, vermutet Rosiny, werde weiterhin unter der Herrschaft Assads stehen. Nach fünf Jahren des Kampfes neigten insbesondere die westlichen Staaten verstärkt zu Kompromissbereitschaft. Bislang hätten sie immer betont, das syrische Volk müsse selbst über seine Zukunft entscheiden können. "Aber es gibt eben das syrische Volk nicht", sagt Rosiny. "Und deshalb kann man sich auch nicht darauf zurückziehen, sondern muss letztendlich realistische Verhandlungen mit Iran, Russland, Saudi-Arabien und der Türkei führen, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen."
Falsche Legitimität
Sollte der neue Pragmatismus des Westens auf einen politischen Kurswechsel hinauslaufen, wäre das mit einigen Risiken verbunden, schreibt die Polit-Analystin Lina Khatib vom Think Tank "Chatham House" in London. Denn beide Regierungen, die syrische und die irakische, setzten nicht allein auf das Militär. Ebenso griffen sie auf Milizen beider großen Konfessionen - Sunniten wie Schiiten - zurück. Damit wollten sie den Eindruck politischer, durch die gesamte Bevölkerung zum Ausdruck gebrachter Legitimität erwecken. Das aber sei nicht glaubwürdig, da die Milizen beider Bevölkerungsgruppen vor allem eigene Ziele verfolgten.
"Sowohl im Irak wie auch in Syrien könnten die Milizen versuchen, den Staat zu schwächen, sodass sie selbst stark bleiben. Wenn Bagdad und Damaskus heute also kleinere Siege einfahren, könnten sie sich morgen einer größeren Legitimitätskrise gegenüber sehen", schreibt Kahtib. Der IS wäre dann womöglich besiegt. Aber das Hauptproblem, das die Dschihadisten in beiden Staaten so geschickt für sich zu nutzen wussten, bliebe bestehen: der Konfessionalismus. Die Regierungen beider Länder laufen also Gefahr, dass der die Bevölkerungen weiterhin spaltet.