NATO-Partner im Dauerclinch
29. Oktober 2020Von Macrons politischem Vorbild Charles de Gaulle stammt das Zitat: Staaten haben keine Freunde, nur Interessen. Das aktuelle Zerwürfnis zwischen dem französischen Präsidenten und seinem türkischen Amtskollegen mag auch persönlich motiviert sein, doch es ist vor allem ein Beleg für gleich mehrere strategische Interessenskonflikte beider Länder.
Ob Berg-Karabach, Libyen, Syrien oder der Gasstreit im Mittelmeer: In den wichtigsten aktuellen Konflikten der Region stehen sich beide Seiten feindlich gegenüber. Die expansive Politik der Türkei trifft in Frankreich auf besonderen Widerstand, da sich das Land als Ordnungsmacht der Mittelmeerregion versteht.
Gasstreit im Mittelmeer
Dass die Türkei seit Monaten in den Gewässern um Zypern und mehrerer griechischer Inseln nach Gasvorkommen sucht, weil es die Seegebiete für sich beansprucht, will Frankreich nicht akzeptieren. Paris hat sich demonstrativ an die Seite Griechenlands gestellt, das die türkischen Aktivitäten als illegal betrachtet. Ein militärischer Zwischenfall im Juni machte deutlich, wie angespannt die Beziehungen beider Staaten seit Monaten sind.
Nach Angaben der französischen Regierung hat ein Kriegsschiff des NATO-Partners Türkei im Mittelmeer mehrfach sein Feuerleitradar auf eine französische Fregatte gerichtet - diese Maßnahme kann als Vorstufe für einen Angriff gewertet werden. Die türkische Führung bestreitet die Vorwürfe und kritisierte ihrerseits die französische Seite.
Präsident Macron distanzierte sich deutlich von dem NATO-Partner, der für Frankreich zumindest im östlichen Mittelmeer nach den Worten Macrons kein Partner mehr ist. Neben strategischen Erwägungen spielen hier auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle. Im September wurde bekannt, dass Griechenland 18 Exemplare des französischen Kampfflugzeugs Rafale kaufen wird. Ein wichtiger Deal für das Rüstungsunternehmen Dassault.
Berg-Karabach
Im Konflikt um Berg-Karabach sieht sich die französische Regierung auch innenpolitisch gefordert. Bis zu 600.000 Armenier leben in Frankreich - die mit Abstand größte Diaspora. Als eine der ersten westlichen Staaten stellte Paris das Leugnen des Völkermords an den Armeniern 2006 unter Strafe.
Auch wenn sich Paris mit direkter Unterstützung zurückhält und zu vermitteln versucht: Französische Politiker suchen immer wieder die Nähe zu Armenien, während Ankara den Kriegsgegner Aserbaidschan mit Waffen unterstützt. Staatspräsident Macron erhebt in diesem Konflikt auch direkte Vorwürfe gegen die türkische Regierung. Sie habe Hunderte Söldner und Dschihadisten ins Kriegsgebiet entsandt. Damit sei eine rote Linie überschritten.
Druck auf den französischen Präsidenten kommt auch aus seiner eigenen Partei. Mehrere Abgeordnete der Nationalversammlung fordern in einer Resolution die Regierung auf, die Unabhängigkeit der umstrittenen Region Berg-Karabach anzuerkennen.
Libyen
Im Bürgerkrieg in Libyen befinden sich Frankreich und die Türkei in unterschiedlichen Lagern. Während Macron Milizenführer Chalifa Haftar unterstützt, steht der türkische Staatspräsident auf der Seite der international anerkannten Regierung. Die Politik der französischen Regierung ist dabei auch unter den EU-Partnern nicht unumstritten. So blockierte Frankreich den Versuch in Brüssel, eine Haftar-kritische Resolution zu beschließen.
Für Paris stehen auch hier wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Französische Unternehmen beuten Ölvorkommen im Osten Libyens aus, der Hochburg General Haftars. Vor allem der Erdölproduzent Total ist seit Jahrzehnten in Libyen engagiert. Die Türkei wiederum strebt eine Führungsrolle unter den islamischen Staaten der Mittelmeerregion an und unterstützt die international anerkannte Regierung in Tripolis. Mit türkischer Hilfe gelang es ihr in diesem Jahr, eine entscheidende militärische Niederlage gegen Haftar im letzten Moment abzuwenden.
Macron und Erdogan
Das persönliche Verhältnis der beiden Staatenlenker ist zerrüttet. Schon im Konflikt um die Gasvorkommen im Mittelmeer setzte die türkische Führung auf eine aggressive Rhetorik und bezeichnete Macron als "Möchtegern-Napoleon". Der Streit um die Mohammed-Karikaturen hat diesen Streit noch einmal verschärft.
Auf einer Gedenkfeier zu Ehren des bei Paris von einem Islamisten enthaupteten Lehrers Samuel Paty hatte Macron einen "Islam der Aufklärung" gefordert und gesagt, dass sein Land nicht auf Karikaturen und Zeichnungen verzichten werde, "auch wenn andere sich davon zurückziehen". Der türkische Staatspräsident schaltete sich in diese Debatte ein und warf Macron Islamfeindlichkeit vor und empfahl dem Präsidenten eine psychologische Behandlung. Frankreich zog daraufhin seinen Botschafter vorübergehend aus Ankara zurück.
Konflikt um "Charlie Hebdo"
Die Kritik Erdogans bezieht sich aber nicht nur auf Macron persönlich. Der türkische Präsident nutzt die Krise, um sein innenpolitisches Profil zu schärfen und seine Position in der muslimischen Welt zu festigen. Nachdem die französische Regierung angekündigt hatte, stärker gegen islamistische Gruppen vorzugehen, antwortete Erdogan mit einem Boykottaufruf für französische Waren. Eine Forderung, die zu diesem Zeitpunkt allerdings schon in anderen muslimisch geprägten Ländern zirkulierte.
Die neue Ausgabe der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" dürfte diesen Konflikt nun noch weiter anheizen - zeigt sie doch auf der Titelseite einen leicht bekleideten türkischen Staatspräsidenten, wie er eine Dose Bier trinkt und den Rock einer verschleierten Frau hochhebt, um ihr nacktes Hinterteil zu enthüllen. "Ooh, der Prophet", sagt die Figur in einer Sprechblase.
Erdogan sieht die Verantwortung für diese Karikatur bei Macron: "Die antimuslimische Agenda des französischen Präsidenten Macron trägt Früchte", so ein Sprecher des Präsidenten, der auch einen "kulturellen Rassismus" anprangerte. Mit der Kritik am NATO-Partner Frankreich geht Erdogan innenpolitisch kein großes Risiko ein. Das Bild Frankreichs ist in der Türkei deutlich negativer als zum Beispiel das Deutschlands. In Frankreich wiederum lebt eine große kurdische Minderheit, was wiederum der französische Präsident im Hinterkopf hat.