Unternehmen droht Test-Verpflichtung
29. März 2021Die Infektionszahlen steigen, die dritte Welle der Corona-Pandemie ist in Deutschland nicht mehr aufzuhalten. Die Epidemiologen prognostizieren eine hierzulande bislang nicht erlebte Wucht. Die britische Mutante des Corona-Virus ist so ansteckend, dass alles in Frage gestellt wird, was im Infektionsschutz bislang als ausreichend galt. Vor allem in geschlossenen Räumen.
Das rückt Bereiche ins Licht, die bislang weitgehend unbehelligt geblieben sind: In Produktionshallen, Werkstätten und auf Baustellen müssen offiziell zwar Hygieneregeln befolgt werden, in der Praxis kümmert sich aber kaum jemand darum, ob Masken durchgehend und richtig getragen und Abstände konsequent eingehalten werden oder ob die Lüftung funktioniert.
Zu wenig Vorsicht, zu viel Schludrigkeit
"Ich glaube, dass noch nicht bei allen Betrieben - aber man muss ehrlicherweise dazu sagen auch nicht bei allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - die Gefährlichkeit des Virus so richtig ernst genommen wird", urteilt Carsten Burckhardt, Vorstandsmitglied in der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt im Gespräch mit der DW. Auf manchen Baustellen gebe es nach wie vor noch nicht einmal ausreichend Toiletten, Desinfektionsmittel und Wasser zum Händewaschen. "Da wird viel geschludert", so Burckhardt.
Lange spielten Infektionen am Arbeitsplatz eine untergeordnete Rolle, doch das ändert sich. Das Robert-Koch-Institut stellte Mitte März in einem Bericht zur Infektionslage fest, dass es "zahlreiche Ausbrüche" nicht nur in Privathaushalten, Kitas und zunehmend auch in Schulen gebe, sondern auch im "beruflichen Umfeld". Erforderlich seien jetzt "massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten".
Politik unter Handlungsdruck
Bislang sorgten vor allem arbeitgebernahe Teile von CDU und CSU wie beispielsweise die Mittelstands- und Wirtschaftsunion dafür, dass die Unternehmen von verpflichtenden Einschränkungen möglichst verschont blieben. Doch damit könnte es nun vorbei sein. Den Anfang macht die Durchführung von Corona-Tests in den Betrieben. Noch ist das Angebot freiwillig. Anfang März hatten die großen Arbeitgeberverbände in einer Selbstverpflichtung zugesagt, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nicht im Homeoffice sind, zweimal pro Woche testen zu wollen.
Diese Zusage werde allerdings nicht ausreichend umgesetzt, stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend in einem TV-Interview fest. Was sie mit "ausreichend" meint, hatte sie vergangene Woche im Bundestag definiert: "Wenn nicht der überwiegende Teil der deutschen Wirtschaft - und das muss in die Richtung von 90 Prozent gehen - seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Tests anbietet, dann werden wir mit regulatorischen Maßnahmen in der Arbeitsschutzverordnung vorgehen."
Die Wirtschaft schäumt
Nach Ostern soll eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Eine Verpflichtung sei "wahrscheinlich", kündigte Merkel an. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) protestierte prompt. Ihr Präsident Rainer Dulger betont, die privaten Unternehmen hätten ihre Testanstrengungen bereits stark ausgeweitet. "Mit dem ständigen Drohen einer gesetzlichen Regelung wird dieses Engagement nicht anerkannt. Ein Testgesetz schafft nicht mehr Schutz, sondern mehr Bürokratie, mehr Kosten, weniger Eigeninitiative und einen Haufen ungeklärter rechtlicher und organisatorischer Fragen."
Mancher Unternehmer fürchtet aber noch ganz andere Konsequenzen. Denn wer viel testet, findet möglicherweise auch viele Infizierte. Werden sie und ihre Kontaktpersonen in Quarantäne geschickt, besteht die Gefahr von Produktionsausfällen bis zur Stilllegung ganzer Betriebe für mehrere Wochen. Jüngstes Beispiel: Ein Werk des Miele-Konzerns im nordrhein-westfälischen Euskirchen. Auch bei der Drogeriemarktkette dm mussten 800 Mitarbeiter eines Verteilzentrums in Weilerswist (Nordrhein-Westfalen) in Quarantäne.
Infektionen unter den Tisch kehren
Vor allem in inhabergeführten kleinen und mittelständischen Betrieben bieten manche Chefs daher bewusst keine Tests an. Das sei zwar nicht an der Tagesordnung, "aber man hört das sehr wohl schon", sagt IG-Bau-Vorstand Carsten Burckhardt. "Wir gehen als Gewerkschaft dagegen vor, wenn möglich immer mit den Arbeitgeberverbänden gemeinsam." Noch viel schlimmer seien die Fälle, in denen Unternehmer, wenn sie von Infektionen erfahren, die betroffenen Mitarbeiter einfach nach Hause schicken und ansonsten nichts machen würden. "Das sind die, die gar nichts sagen und versuchen, das unter den Tisch zu kehren."
Das dürfte schwierig werden, wenn die Unternehmen zur regelmäßigen Testung verpflichtet werden. Eine Entscheidung darüber will das Bundeskabinett am 13. April fällen. Das Bundesland Berlin will solange allerdings nicht mehr warten. Bereits am Mittwoch tritt eine neue Infektionsschutzverordnung in Kraft, die allen Arbeitgebern in dem Stadtstaat vorschreibt, ihren Mitarbeitern künftig zweimal in der Woche einen kostenlosen Corona-Test zu ermöglichen und auf Wunsch eine Bescheinigung über das tagesaktuelle Testergebnis auszustellen, die einem von der Gesundheitsverwaltung zur Verfügung gestellten Muster entspricht.
Misstrauensvotum der Politik?
Außerdem beschloss der Senat in einer Sondersitzung am vergangenen Samstag eine Homeoffice-Pflicht. In Büros dürfen nur noch die Hälfte aller Arbeitsplätze belegt werden. Der Unternehmerverband Berlin-Brandenburg erklärte in einer Reaktion, die Senatsbeschlüsse wirkten wie ein Misstrauensvotum der Politik gegenüber der Wirtschaft. Ähnlich formuliert es das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände hofft noch auf eine gütliche Einigung. "Gerade in dieser schwierigen Situation können Politik und Wirtschaft nur gemeinsam viel erreichen." Die Wirtschaft scheue keinen Vergleich mit den Testanstrengungen der öffentlichen Hand zum Beispiel in Verwaltungen und in Schulen. "Aus den Rückmeldungen unserer Unternehmen wissen wir auch, dass die Testnachfrage so angestiegen ist, dass der Nachschub sich verzögert", so Dulger.
Ob sich eine Verpflichtung noch abwenden lässt, darf trotzdem bezweifelt werden. Selbst die Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU plädiert inzwischen für eine entsprechende Vorschrift. Ein Trost für die Wirtschaft: In einem entsprechenden Beschluss wird angeregt, "die Kosten für Tests und Organisationsaufwand vom Staat anteilig" zu erstatten.