Brönner: "Ich bin von ganzem Herzen Europäer"
9. September 2021Das Jazzfest Bonn trotzt erfolgreich den Miseren der andauernden Corona-Zeit: Schon seit Ende August und noch bis Ende Oktober 2021 finden in Bonn mehrere hochkarätig besetzte Konterte statt.
Am 2. September gab der Trompeter Till Brönner, Deutschlands wohl bekanntester Jazzer mit internationalem Renommee, mit seiner Band ein umjubeltes Konzert in der Bonner Oper - und sprach danach mit der DW über sein Selbstwertgefühl in der Corona-Zeit und die Überlebensperspektiven seiner Branche.
DW: Während des Corona-Lockdowns beklagten Sie, die Politik kümmere sich nicht ausreichend engagiert um Musiker, die in all der Zeit keine Möglichkeit hatten aufzutreten oder ihrem Beruf nachzugehen. Denken Sie, die Musikszene wird als wichtiger Bestandteil deutscher Lebensart und Kultur geschätzt? Erhalten Musiker ausreichende Unterstützung?
Till Brönner: Es ist sehr schwierig, diese staatliche Unterstützung in der Covid-Zeit, die wir durchmachen, einzuordnen. Aus der Politik heißt es oft: "Verglichen mit anderen Ländern haben wir einen großartigen Job gemacht." Es habe viele Anstrengungen gegeben, Musikern zu helfen. Aber es zeigte sich halt auch in der Pandemie, dass die Kultur offenbar als erste zurückstecken muss, sobald eine Katastrophe eintritt. Und zwar einfach aus dem Grund, dass sie entbehrlich scheint. Wir müssen uns also fragen, welchen gesellschaftlichen Beitrag Kultur und Musik und Kunst leisten - nicht nur in Deutschland, sondern generell für eine demokratische Gesellschaft.
In einigen Wochen stehen die Bundestagswahlen an. Gibt es Ihrer Meinung nach eine Partei oder eine politische Bewegung, die Künstler und Künstlerinnen besser unterstützt als die aktuelle Regierung?
Ich persönlich interessiere mich nicht spezifisch für einzelne Parteien. Deshalb war ich auch nie irgendwo Mitglied. Aber generell beobachte ich sehr viel die Dinge, die vor sich gehen. Und was ich wirklich alarmierend finde, ist, dass wir momentan über viele grundsätzliche Themen gar nicht sprechen, zum Beispiel über die Wirtschaft dieses Landes. Immer geht es um Covid-19. Wir diskutieren über wenig anderes. Das ist etwas, was ich sehr gefährlich finde. Ich habe nämlich noch nie erlebt, dass Leute so wenig über die Probleme künftiger Generationen sprechen und stattdessen nur an die nächsten paar Monate denken.
Wie hat Corona Live-Konzerte verändert?
Ein Konzertbesuch ist etwas, das man sich leistet. Klar, man kann auch ohne Musik leben, aber das ist eine ganz schreckliche Vorstellung. Ein Konzert bereitet den Menschen Freude. Und es war früher ganz natürlich, sich einen Tag im Kalender freizuhalten, ein Ticket zu reservieren und sich am Abend der Veranstaltung vor oder nach dem Konzert zu treffen, etwas essen zu gehen und die Musik zu genießen. Und dieses Erlebnis ist komplett verschwunden. Ein Konzert zu besuchen ist mittlerweile eine regelrechte Herausforderung. Aber ich hoffe, sie kommt zurück: diese Leichtigkeit, die einen überkommt, wenn man ein Konzert besucht.
In der Zwischenzeit sind Sie auch als Fotograf in der Öffentlichkeit aufgetreten. Was haben Sie in der Zeit des Lockdowns öfter gemacht: Mit Musikern geprobt oder Bilder geschossen?
Glücklicherweise hatte ich meine Kamera während der Pandemie immer mit dabei. Mein persönliches Projekt gerade ist Europa. Denn wissen Sie, die Frage, welche hilfreiche oder auch wichtige Rolle Europa vielleicht einmal für unseren Planeten spielen wird, ist ein Thema, dem man ewig mit der Kamera folgen kann. Zwar reden derzeit nicht viele Menschen von Europa, weil jeder irgendwie mit sich selbst beschäftigt ist. Aber mit der Kamera wiederum ist es wunderbar, dieser Frage nachzugehen. Und ich kann es kaum erwarten, wieder zu reisen. Denn ich bin in Viersen geboren, in Bonn aufgewachsen und dann nach Berlin gezogen. Ich bin also Europäer von ganzem Herzen, und das ist ein sehr, sehr gutes Motiv für meine Kamera.
Sie sind einer von ganz wenigen deutschen Jazzmusikern, die auch international Anerkennung finden. Denken Sie, die deutsche Jazz -Community wird im Ausland unterschätzt?
Ich glaube, die Welt denkt bei Deutschland nicht unbedingt als erstes an ein Jazz-Land. Wir waren lange bekannt für unsere großartigen Autos, Fußball oder Technik. Aber es ist nie zu spät, mit Klischees zu brechen. Und zum Glück haben einige deutsche Musiker wie Albert Mangelsdorff oder Peter Brötzmann ihre eigene Handschrift gefunden, die man, finde ich, gut als deutsche Variante des Jazz interpretieren kann.
Sie spielen beim Jazzfest Bonn. Welche Rolle spielen Jazz-Festivals heutzutage noch?
Jazz hat generell eine Rolle, die in den letzten Jahren zu wenig definiert wurde, und das ist der Grund, warum immer wieder die Frage gestellt wird: Brauchen wir diese Musik eigentlich noch? Wenn man sich im Publikum umsieht, dann ist die Frage vielleicht manchmal berechtigt. Man muss allerdings auch die Frage stellen: Wo wird sie denn noch präsentiert, diese Musik? Und daran sind manchmal nicht nur die Künstler, sondern natürlich auch öffentlich-rechtliche Medien beteiligt, die einfach entscheiden, dass diese Musik zu nachtschlafender Zeit und nicht dann gespielt wird, wenn auch junge Menschen vielleicht die Chance hätten, sie mal zu verstehen oder einfach zu hören.
Es gehört sicherlich dazu, dass es nicht nur die Eltern sind, die Kindern den Jazz näherbringen, sondern dass wir immer wieder aufs Neue die unterschiedlichsten Formen, die Jazz hervorgebracht hat, vor allen Dingen auch die kompatiblen, die verständlichen und die populären Formen von Jazz, weiter befeuern und präsentieren. Denn Jazz ist immer auch Musik für junge Menschen gewesen.
Sie sind in Bonn groß geworden, der Beethoven-Stadt, wo man von Kindesbeinen an mit dem Namen konfrontiert wird. Was bedeutet Beethoven heute noch für Sie? Wieviel Beethoven ist in Ihrer Musik?
Beethoven ist auf seinem Gebiet ein Pionier gewesen. Diese auch für Beethoven typische Kombination aus der vermeintlichen Leichtigkeit und dem Ernst, der uns Deutschen ja auch immer häufiger nachgesagt wurde in der Vergangenheit, ist etwas, das ich sehr gut wiedererkenne in vielen meiner Kollegen - und auch in mir natürlich. Wobei: Die These, dass Beethoven immer nur ernst geschaut haben soll, ist ja auch längst widerlegt.
Die Fragen stellten Rachel Steward, Oliver Glasenapp und Anastassia Boutsko.