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Tierische TCM-Präparate aus dem Labor?

Chermaine Lee Hongkong
5. Oktober 2021

Horn, Schuppen, Galle - weltweit sind Tiere bedroht, weil sie für die Traditionelle Chinesische Medizin illegal gejagt werden. Können künstlich hergestellte Präparate dieses Artensterben beenden?

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Auf einem Tisch liegen beschlagnahmte Felle und Schädel von Tigern
Beschlagnahmte Felle und Schädel von Tigern – Kann die Wissenschaft dazu beitragen, dass es solche Bilder künftig nicht mehr gibt?Bild: picture-alliance/dpa

Ein Bündel Kräuter, Gelatine aus Eselshaut und etwas Hirschgeweih-Samt-Extrakt, das aus einem nicht ausgewachsenen Geweih stammt. All diese Zutaten kocht Kala Wan etwa 75 Minuten - solange bis sich eine dunkle trübe Brühe bildet. Dann hält sie sich die Nase zu und schluckt das Gebräu schnell hinunter. Die Lehrerin aus Hongkong schwört darauf. Einmal im Monat setzt sie diesen Sud an.

"Die Gelatine aus Eselshaut und das Samtgeweih liefern wichtige Nährstoffe für mein Blut, das ist gut für meine Gesundheit", erklärt die 27-Jährige. Wenn sie ihre Periode hat, erhöht sie die Dosierung, ergänzt sie.

Die Zutaten bekommt Wan von ihrem Arzt. Er praktiziert Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in Hongkong, die bei Patienten bei allen Krankheiten von Erkältungen bis hin zu Krebs angewendet wird.

Zur TCM gehören ganz unterschiedliche Behandlungsmethoden: Akupunktur, bestimmte Ernährungsweisen oder auch körperliche Bewegung. Alle Behandlungen sollen die Lebensenergie im Körper, das Qi, wieder ins Gleichgewicht bringen.

Nahaufnahme von Akupunkturnadeln
Andere TMC-Methoden wie die Akupunktur werden weltweit angewendet, obwohl deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht eindeutig bewiesen ist. Bild: AP

Von der konventionellen westlichen Medizin sind diese Methoden nicht anerkannt. Es gibt nur wenige evidenzbasierte Studien zur Wirksamkeit der TCM. Dennoch wurden 2018 weltweit TCM-Produkte im Wert von umgerechnet 36 Milliarden Euro, verkauft. Das berichtet die staatliche China Daily.

Einige Behandlungsmethoden aus der TCM wie beispielsweise die Akupunktur sind weltweit beliebt. Während Forschungsergebnisse drauf hindeuten, dass diese Methode bei der Behandlung bestimmter chronischer Schmerzen hilft, wird die Wirksamkeit von Akupunktur dennoch von einigen angezweifelt. Außer Frage steht, dass die Behandlung einzelner Druckpunkte mit Nadeln harmlos ist. Andere TCM-Methoden sind jedoch weitaus umstrittener.

So werden etwa 12 Prozent der Arzneimittel, die in TCM-Praxen verschrieben werden, aus Tieren gewonnen wie deren Horn, Schuppen oder Galle. Dadurch sind viele Arten vom Aussterben bedroht - beispielsweise Nashörner, Schuppentiere oder Tiger.

Ein Tisch mit beschlagnahmtem Nashorn-Horn 
Der Handel mit Rhinozeros-Horn ist zwar verboten, aber die Nachfrage ist nach wie vor groß. Denn es ist ein wichtiger Rohstoff in der TCM.Bild: picture-alliance/AP

Der Handel mit den Tieren ist durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen, offiziell das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen, untersagt. Die US-amerikanische, wie auch die chinesische Regierung, haben die Verwendung der meisten dieser Produkte verboten. Dennoch bleibt die Nachfrage hoch. So wird laut UN-Angaben weltweit jedes Jahr allein Nashornhorn im Wert von rund 198 Millionen Euro gehandelt.

Was also, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die TCM-Präparate herzustellen, ohne Tiere bedrohter Arten töten zu müssen?

Tigerkralle und Hundefleisch – ganz ohne Blutvergießen

Weltweit experimentieren Firmen derzeit am Zuchtfleisch aus der Petrischale, um den Steakliebhabern "ihr täglich Fleisch" auch ohne Massentierhaltung, Schlachtung und Umweltschäden zu sichern. Nun untersuchen Forscher, ob diese aufstrebende Industrie nicht auch ihren Einsatz in der TCM finden könnte.

In einem ersten Schritt müssen dazu winzige Gewebeproben von lebenden Tieren entnommen werden. Daraus werden sogenannte "induzierte pluripotente Stammzellen" (iPS-Zellen) gewonnen. Diese wiederum werden im Labor weitergezüchtet, um synthetisches tierisches Gewebe zu erzeugen. "Daraus können somit Muskelzellen, Knochengewebe, Knorpel oder auch Fett werden", erklärt der Biomediziner Kenneth Lee.

Gläser mit getrockneter Traditioneller Chinesischer Medizin
Gläser mit getrockneten Präparaten aus dem Meer, wie Seegurken, Schnecken und Muscheln, in einer typischen Apotheke für Traditionelle Chinesische MedizinBild: Imago Images/imagebroker/I. Schulz

Kenneth Lee ist Professor an der Chinesischen Universität von Hongkong. Bald geht er in den Ruhestand. Dann will er nach Schottland ziehen, um sein eigenes Unternehmen für tierische Gewebe aus dem Labor aufzubauen.

Er glaubt, dass es mit Hilfe von Stammzellen möglich sein sollte, Horn von Nashörnern, Tigerkrallen oder Haifischflossen für Suppen oder Medizin herzustellen, ohne diese Tiere töten zu müssen. "Ich denke, das ist ein legitimes Verfahren, das dem illegalen Tierhandel entgegenwirken kann", sagt Lee gegenüber der DW. Zugleich räumt er ein, dass es wohl noch einige Jahre dauern wird, bis diese Produkte auf den Markt kommen.

Kenneth Lee ist nicht der Einzige, der an diesem Ziel arbeitet. Das Hongkonger Startup Avant Meats forscht in dem Bereich und entwickelt Alternativen zu Fisch. Am weitesten fortgeschritten ist die Arbeit an künstlichen Schwimmblasen. Getrocknete Schwimmblasen gelten unter dem Namen Fish Maw als Delikatesse in China. Sie und weitere Fischalternativen will das Unternehmen bis spätestens 2025 auf den Markt bringen.

Schmuggelboom wegen TCM aus dem Labor?

"Wir wollen das Ökosystem vor weiteren Schäden durch unseren Fischkonsum bewahren. Denn unsere Liebe zu Fish Maw hat dazu geführt, dass mehrere Arten ausgestorben sind, so zum Beispiel der Bahaba, der Totoaba und der Schweinswal", sagt Carrie Chan. Sie ist die Chefin von Avant Meats.

Viele Chinesen sind von der medizinischen Wirkung dieser Schwimmblasen, den Fish Maw, überzeugt, wie zum Beispiel bei der Behandlung von Arthritis. Die Schwimmblasen des vor der Küste Mexikos illegal gefangenen Totoaba, einem Schweinswal, sind nach Angaben der Porpoise Conservation Society auf dem chinesischen Schwarzmarkt pro Kilo rund 40.000 Euro wert. Die Organisation forscht unter anderem an den Totoaba und arbeitet am Erhalt der Schweinswalpopulationen weltweit.

Toter und ausgenommener Totoaba-Fisch
Totoaba-Schwimmblasen trocknen in Körben vor einem Geschäft in HongkongBild: Getty Images/AFP/A. Wallace

Denn: Der Totoaba ist längst vom Aussterben bedroht. Außerdem sind die Netze, mit denen er aus dem Wasser geholt wird, eine Gefahr für weitere bedrohte Arten. Den Vaquita zum Beispiel. Der kleinste Schweinswal gehört zu den am stärksten gefährdeten Arten weltweit.

Dass die Alternativen aus dem Labor zum Schutz solcher bedrohten Arten beitragen könnten, glaubt nicht jeder.

"Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass im Labor gezüchtetes Fleisch exotischer und gefährdeter Tiere die Nachfrage nach rohem Fleisch noch weiter ankurbeln könnte", so Zhaomin Zhou, Forscher am Southwest China Wildlife Resources Conservation Lab der China West Normal University. Ein weiteres Problem sei, dass mit der Zunahme künstlicher Alternativen die Verfolgung des illegalen Handels mit dem Fleisch der bedrohten Arten erschwert oder gar verhindert werden könnte, ergänzt er.

Zhou verweist auf das künstliche Elfenbein, das den Handel mit den echten Stoßzähnen eindämmen sollte. Untersuchungen haben gezeigt, dass skrupellose Händler echtes Elfenbein als synthetisches deklariert hatten, um so die Strafverfolgung zu umgehen.

Künstlich gezüchtete Schwimmblasen, angerichtet mit etwas Gemüse
Das Hongkonger Start-up-Unternehmen Avant Meats züchtet Schwimmblasen im Labor und hofft, dass dadurch die Nachfrage nach dem echten Totoaba sinkt. Bild: Avant Meats

Auf die Frage, ob denn künstlich gezüchtete Schwimmblasen die Nachfrage nach dem echten Fisch steigern könnten, sagt Chan von Avant Meats: "Mit oder ohne diese Erfindung sind diese Fischarten gefährdet."

"Ich glaube nicht, dass die Nachfrage danach von nur einem Faktor getrieben wird. Außerdem gibt es die Alternativen aus dem Labor, weil wir wollen, dass die Menschen von konventionellem Fleisch auf eine nachhaltigere Version umsteigen", ergänzt sie.

Kann die Kopie es mit dem Original aufnehmen?

Andere argumentieren, dass durch die Alternativen aus dem Labor, wenn sie irgendwann günstig und in großen Mengen produziert werden können, die Preise für TCM-Präparate auf Tierbasis drastisch fallen könnten. Wilderei und Schmuggel würden sich dann für die Täter nicht mehr lohnen.

Laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr würden 70 Prozent der Chinesen Fleisch aus dem Labor probieren. Fast 60 Prozent der Befragten würden das Fleisch auch kaufen. Aber werden die Menschen, die auf TCM vertrauen, ebenso bereit sein, auf die Alternative aus der Petrischale zu wechseln?

Eine Schuppentiermutter trägt ihr Junges auf dem Rücken
Die Schuppen von Pangolinen sind in der Traditionellen Chinesischen Medizin sehr begehrt. Bild: picture-alliance/dpa/F. Lisnawati

Die TCM-Ärztin Cristine Li glaubt, dass Ihre Klinik in Hongkong sich einen Wechsel auf gezüchtetes Material aus dem Labor vorstellen könne, wenn dieses verfügbar wäre. "Wenn die künstlichen Produkte auch nur die Hälfte der Wirksamkeit ihres tierischen Vorbildes hätten, wäre das eine gute Nachricht", sagt sie.

Da es aber kaum wissenschaftliche Studien über die Wirksamkeit der tierischen TCM-Präparate gibt, stellt sich die Frage nach der Vergleichbarkeit mit den Labor-Alternativen. Kala Wan würde sich mit ihrem Hirschgeweihsud auf das Urteil ihres Arztes verlassen. "Wenn mein TCM-Arzt glaubt, dass auch die Labor-Alternativen helfen, dann würde ich die probieren."

Dennoch glaubt sie nicht, dass ältere Menschen bereit wären, auf die TCM-Alternativen aus dem Labor zu wechseln. "Meine Mutter zum Beispiel traut diesen künstlichen Tierpräparaten nicht. Sie hält es für schwierig, die Funktionsweisen der tierischen Medikamente künstlich zu erzeugen. Ihre Generation wird daher wahrscheinlich bei den herkömmlichen TCM-Präparaten bleiben." Mit all ihren Konsequenzen.

Chermaine Lee Umwelt Global Ideas Hongkong