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Trauer und Wut im Netz

Senada Sokollu15. Mai 2014

Nach dem Minenunglück in der westtürkischen Stadt Soma breitet sich der Frust in den sozialen Netzwerken aus. Kritik richtet sich vor allem gegen die türkische Regierung.

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Angehörige von Opfern brechen in Tränen aus (Foto: REUTERS/ Osman Orsal)
Bild: Reuters

Bei dem verheerenden Minenunglück in der westtürkischen Stadt Soma sind nach Angaben von Energieminister Taner Yildiz mehr als 270 Menschen ums Leben gekommen. Hunderte weitere sind noch eingeschlossen. Die Hoffnung auf Überlebende schwindet.

Die Menschen in der Türkei sind erschüttert. Sie trauern um die Opfer. Verständnislosigkeit macht sich breit - und Wut. Vor allem in den sozialen Netzwerken lassen sie ihrem Frust freien Lauf. Die Kritik richtet sich gegen die islamisch-konservative AKP-Regierung. Die Regierung kümmere sich nicht genug um die Sicherheitsbedingungen von Arbeitern, außerdem sei sie nur an "Geldmacherei" interessiert und spare an der falschen Stelle, lautet der Vorwurf.

Das Volk sieht schwarz

Wer alles um die Opfer von Soma trauert, ist bei Facebook, Twitter, Instagram und Co. auf den ersten Blick zu erkennen, denn die Nutzer änderten am Tag nach dem Unglück im Minutentakt ihre Profilbilder: Mittlerweile sind viele schwarz. Auch schwarze Trauerschleifen werden überall veröffentlicht. "Möge euch Gott beistehen", schreibt eine Facebook-Nutzerin. Auf Instagram spielt ein Nutzer auf die schlechte Bezahlung in türkischen Bergwerken an. Er veröffentlicht das Foto einer Zeichnung: Zu sehen ist der Eingang eines Bergwerks. Dazu die Überschrift: "Würdest du für fünf Lira die Stunde (umgerechnet 1,70 Euro) hineingehen, mit dem Risiko nie wieder lebend rauszukommen?"

Das Profil eines Facebook-Nutzers, der sein Profilbild auf Schwarz geändert hat (Foto: DW/Senada Sokollu)
Immer mehr türkische Facebook-Nutzer stellen ihr Profilbild auf SchwarzBild: DW/S. Sokollu

Unter dem Hashtag #KazaDegilCinayet, was übersetzt bedeutet "Es ist kein Unfall, sondern Mord", attackieren die Nutzer die für das Bergwerk zuständige Firma Soma Holding. "Soma ist ein Mörder", lautet ein Tweet. "Welche Sicherheitsregelung erlaubt 800 Bergarbeitern sich gleichzeitig in einem Bergwerk aufzuhalten?", kritisiert ein anderer Nutzer. "Das Soma-Massaker", lautet ein weiterer Tweet. Auch die türkischen Gewerkschaften DISK und KESK nutzen die sozialen Netzwerke, um das Volk zu mobilisieren.

Unter dem Motto "Es ist kein Arbeitsunfall, sondern Mord" rufen sie auf Facebook und Twitter zu Massendemonstrationen und drei Schweigeminuten für Donnerstag (15.05.2014) auf. Außerdem wird das Volk gebeten, schwarz gekleidet zur Arbeit zu erscheinen und schwarze Tücher aus den Büro- und Wohnfenstern zu hängen. Der Vorsitzende der linken Gewerkschaft DISK, Kani Beko, bezeichnete das Minenunglück gegenüber der türkischen Presse als "Massaker". Es gehe nur um Gewinn, kritisierte er.

Türkische Medien kritisieren überwiegend die Regierung

Recep Tayyip Erdogan vor bahnt sich seinen Weg durch einen Menschenmenge (Foto: REUTERS/Kayhan Ozer)
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bahnt sich bei seinem Besuch der Mine den Weg durch die Angehörigen der OpferBild: Reuters

In einem Artikel der linksgerichteten Zeitung "Cumhuriyet" wird die AKP-Regierung kritisiert, vor mehr als zwei Wochen in einer Parlamentssitzung einen Vorschlag der Oppositionspartei CHP abgelehnt zu haben, das Bergwerk in Soma inspizieren zu lassen. Während der Sitzung hatte auch die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) eine Statistik zu Grubenunglücken in Soma präsentiert.

Murat Yetkin, Kolumnist der englischsprachigen Zeitung "Hürriyet Daily News", kritisiert die Entscheidung der Regierung und titelt seinen Artikel wie folgt: "Die Regierung ignorierte die Warnungen, die Bergleute bezahlen mit ihrem Leben". Auch der türkische Fernsehsender CNN Türk macht auf die Unvorsichtigkeit seitens der Regierung aufmerksam und veröffentlicht eine Rede des CHP-Abgeordneten Özgür Özel. Darin macht Özel der AKP-Regierung den Vorwurf, alle Warnungen zur Gefahr im Soma-Bergwerk ignoriert zu haben. "Es war doch klar, dass wir an diesen Punkt geraten werden", wird Özel von CNN Türk zitiert.

Die regierungstreue Zeitung "Sabah" fokussiert sich bei der Berichterstattung vor allem auf die offiziellen Äußerungen des Arbeitsministeriums zum Minenunglück in Soma und distanziert sich von jeglicher kritischen Äußerung zu den Sicherheitsvorkehrungen im Bergwerk. "Wir hoffen, dass unsere Brüder, die im Bergwerk eingeschlossen sind, lebend gerettet werden können", wird das offizielle Statement des Arbeitsministeriums von "Sabah" zitiert.

Ein Artikel der liberal-konservativen Boulevardzeitung "Hürriyet" trägt den Titel: "Die Türkei ist ein Friedhof für Bergleute“. Darin werden die 13 größten Minenunglücke in der Türkei seit 1983 aufgezählt. In dem Artikel wird außerdem betont, dass die Türkei die höchste Zahl an Industrieunfällen in Europa aufzuweisen hat. Die türkische Zeitung "Habertürk" veröffentlicht den Terminkalender der angekündigten Demonstrationen, die in insgesamt 21 türkischen Städten stattfinden werden.

Ein verletzter Bergmann wird auf einer Liege von Rettungskräften durch eine Menschenmenge getragen (Foto: REUTERS/Gokhan Gungor/Depo Photos)
Tränen der Trauer und der Freude, wenn ein Verletzter aus der Mine gerettet wirdBild: Reuters