Trendsetter mit politischem Anspruch
7. Juni 2002Die Documenta11 soll keine unverbindliche Kunstschau sein, sie erhebt gesellschaftliche und politische Ansprüche und schließt damit an die einflussreiche documenta 5 von 1972 an, die sich der Isolierung der Kunst von Gesellschaft und Politik entgegenstellte. Okwui Enwezor - in Nigeria geboren und heute in den USA lebend - versteht sie als einen "Kreuzungspunkt zwischen kulturellen Systemen". Sie soll den Blick auf globale Zusammenhänge von Kunst, Politik und Gesellschaft lenken, "soll dokumentieren, wie Menschen ihre Welt sehen und anhand von unterschiedlichen Medien interpretieren".
Stil der globalen Zeit
So setzt sich zum Beispiel der Chilene Alfredo Jaar in seinen Arbeiten mit dem Völkermord in Ruanda und der Situation an der Grenze zwischen Mexiko und den USA auseinander. Mit Rassendiskriminierung befasst sich die New Yorkerin Lorna Simson, mit der Geschlechtertrennung in ihrer Heimat die iranische Fotokünstlerin Shirin Neshat und mit der kolonialen Geschichte des Kongo der Belgier Luc Tuymans. Das Bild des Schwarzen in der Öffentlichkeit thematisiert der südafrikanische Fotograf Santu Mofokeng.
Verschiedene Lebenswelten
Den Blick lenkt die diesjährige documenta aber auch auf die Umwelt und die Gestaltung der Lebensräume. So hat Ausstellungsleiter Okwui Enwezor auch Architekten und Landschaftsplaner eingeladen, die Ideen für menschengerechtes Bauen entwickelt haben. Insgesamt möchte er die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen künstlerischer Produktionen - besonders jenseits der westlichen Lebenswelt - in den Mittelpunkt der 100-tägigen Ausstellung rücken.
"Documenta-Veteranen"
Während sich der Blick früher vornehmlich auf künstlerische Ideen und Produktionen der sogenannten westlichen Welt richtete, bezieht die Documenta11 verstärkt auch Künstler und Künstlergruppen der bisher unterrepräsentierten Erdteile Afrika, Asien und Lateinamerika ein. Ein Beitrag kommt aus Australien. Dennoch stellen auch 2002 Europäer und Nordamerikaner die Mehrheit der 118 Teilnehmer. Deutschland selbst ist mit 12 Künstlern und einem Kunstkollektiv dabei. Äußerst schwach vertreten ist - Kritikern völlig unverständlich - Osteuropa. Auch kann nicht gerade von einer Erneuerung der Kunstszene gesprochen werden: Fast ein Viertel der in diesem Jahr anwesenden Künstler ist bereits um die 60 Jahre alt.
"Fettecke" und "Honigpumpe"
Mit völlig unterschiedlichen Ausstellungskonzepten bietet die "documenta" seit 1955 einen Überblick über das Kunstgeschehen. Weltweit gilt sie als die wichtigste, spektakulärste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Künstler, die auf einer "documenta" vertreten waren oder sind, gelten als anerkannt. Ihre Werke steigen meist überproportional im Wert. Prominentestes Beispiel dafür ist Joseph Beuys. Der zeitweise als "Enfant terrible" der Kunstszene geltende Künstler und Kunstprofessor aus Deutschland war insgesamt fünf Mal in Kassel vertreten und in die Weltkunstprominenz aufgestiegen.
Trends und Maßstäbe
Während sich Kritiker mit dem nie explizit formulierten Anspruch der documenta, zu bestimmen, was Gegenwartskunst ist, auseinandersetzen, ist aber unbestritten, dass sich etliche künstlerische Trends erst durch diese Ausstellung gebildet haben. Der Kunsthistoriker Harald Kimpel spricht von einem "autoritären Anspruch" der documenta im Konzert internationaler Kunstausstellungen. Sie setzt Maßstäbe.