Internet-Monster
6. November 2012Sie sind überall. Sie sind anonym. Sie sind bösartig, versprühen Gift und Galle. Sie tun Menschen weh. Sie treiben ihr Unwesen in Diskussionsforen, in sozialen Netzwerken, dringen in Wikis (Seiten, auf denen man Wissen erlangen und hinzufügen kann) ein und sabotieren Blogs. Ihr Ziel ist es, die Kommunikation im Netz zu stören. Trolle beleidigen Diskussionsteilnehmer, lassen rassistische Parolen los. Trolle wissen alles besser, sie meckern, kneifen, piesacken. Manche sind Experten, Besserwisser, andere wollen nur zerstören, wie ein Kind, das am Strand eine liebevoll modellierte Sandskulptur zertrampelt. Einige trollen bewusst provokativ, andere trollen im Affekt - wenn sie sich gerade besonders über eine Sache aufregen.
Lange muss man sie nicht suchen. Eine ganz besondere Spezies gehört zu den Facebook-Fans von Fußballvereinen. Diese Internethooligans bezeichnen sich zwar als Fans, machen aber aus ihrer Enttäuschung über die Leistung ihrer Mannschaft keinen Hehl. Gut zu beobachten beim Zweitligisten 1. FC Köln: "Lustlose Nichtskönner!", "Pfeifen!", "Versager!", und: "Arschlöcher, danke für den versauten Sonntag!" Da stellen auch andere User erstaunt fest; wie rapide das Niveau der Kommentare vor allem nach einer Niederlage sinkt.
Schwer zu ertragen
Schlimmeres findet man auf einer Seite, die sich hatr.org nennt. Dort werden wirklich böse Troll-Kommentare aufgelistet, die sich tagtäglich auf Seiten mit gesellschaftspolitischen Inhalten finden. Antirassistische, feministische oder homosexuelle Blogs sind die beliebtesten Ziele. Es fallen Worte, für die man im "normalen" Leben sofort verklagt würde. Von sexuell entwürdigenden Schimpfwörtern über eine extrem gewaltvolle Sprache und Folterphantasien bis hin zu Auschwitz-Verherrlichungen ist alles dabei – ein Gruselkabinett, besetzt von Menschen, die Ihre Nachbarn sein können. Hatr.org warnt vor dem Öffnen der Seite: "Der Inhalt kann traumatische Erinnerungen und Angst auslösen. Es ist schwer zu ertragen…Bitte überlege, ob du dich damit konfrontieren möchtest."
Doch hatr.org will nicht nur die gesammelten Werke verstörter Aufmerksamkeitsfreaks vorführen. "Wir wollen die Trolle eiskalt monetarisieren", heißt es auf der Website. "Das eingenommene Geld wollen wir coolen Projekten zur Verfügung stellen." So schaltet hatr.org Werbung auf seiner Seite, das eingenommene Geld wird für einen guten Zweck gespendet. Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes "Scheiße zu Geld" gemacht. Trollen für einen guten Zweck? Wenn die Trolle DAS wüssten.
Jeder kann ein Troll sein
Das Wort "Troll" kommt übrigens nur zufällig aus der Mythologie. Im Englischen steht "trolling" nämlich für eine bestimmte Art des Fischens – wenn ein Köder an der Angel durch das Wasser gezogen wird. Der Internet-Troll will auch angeln. Und zwar Aufmerksamkeit. Deswegen gilt allgemein die Devise: "Don't feed the Trolls" – nicht die Trolle füttern. Was bedeutet: Nicht drauf reagieren, einfach stehen lassen.
Trolle kann man aber auch anders betrachten. Der Kommunikationsdesigner Stefan Krappitz hat seine Diplomarbeit über Internet-Trolle geschrieben. Er glaubt, dass das Trollen ein nicht wegzudenkender Part der Gesellschaft ist. "Es ist auch älter als das Internet selber", so Krappitz auf zeit-online, "bei Diogenes aus der Tonne könnte man sich auch überlegen, dass er ein Troll war. Wie er da auf dem Marktplatz in der Tonne gelebt hat und teilweise auf Kritiker uriniert hat. Heutzutage bietet Trollen auch ein künstlerisches, ein politisches Potenzial." Trollen als Kunst? Durchaus, meint Krappitz, wenn man vom wirklich schlimmen "Hatespeech" und Cybermobbing absieht: "Ein guter Troll belustigt nicht nur sich selbst sondern viele Menschen."
So lässt es sich Peter S. auf Facebook nicht nehmen, das Fußball- und TV-Geschehen immer wieder mit hämischen Kommentaren zu bewerten. Ob bei einem Spiel von Fortuna Düsseldorf ("Im Stadion Tumulte und Geld-zurück-Forderungen: der Prosecco ist zu warm") oder zur Neuauflage der großen Samstagabend-TV-Show "Wetten dass" ("Pferden gibt man den Gnadenschuss. Leider können TV-Sendungen nicht wiehern.") – bei ihm bleibt keiner verschont. Seine stets mit bösem Grinsen hingeworfenen Sprüche ernten unzählige Likes und Lacher.
Trollkultur
Kann man Trolle und Kultur in einem Satz nennen? Man kann. Denn ob unterirdisch, hämisch oder witzig – die Trolle gehören ins Netz wie alles andere auch. Das Internet ist frei, kennt den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht. Das zu unterscheiden, bleibt uns Nutzern überlassen. Was das Trollen zur Kultur macht, ist, dass es eine eigene Sprache schafft, einen Code für eine bestimmte Szene, der sich immer wieder erneuert.
So entstehen viele Subkulturen. Das sogenannte Trollface machte die Runde erst auf Underground-Pages wie zum Beispiel der äußerst obskuren Seite 4Chan – einem Tummelplatz für Internetfreaks aller Art. Mittlerweile ist es auch als lustige App zu haben, mit der man Fotos verfremden kann. Comics mit "Ragefaces", kleine Cartoons mit Geschichten, die nie gut ausgehen, enden mit einem lauten "FFFFFFUUUUUU-", Katzenbilder werden verfremdet, mit schrägen Sprechblasen versehen. Alles verbreitet sich rasend schnell im Netz, ein Internet-Hype eben. Das nennt man auch: Meme. Hinter fast allem steckt ein Code, eine Botschaft, die eine ganz bestimmte Gruppe anspricht. Kann man verstehen, muss man aber nicht. Vieles wird einfach übernommen und weitergereicht, weil es lustig aussieht.
Die weniger lustigen Trolle, diejenigen, die anderen Menschen Schaden und Schmerzen zufügen, die wird man nicht aus dem Netz vertreiben können. Die meisten Foren und Blogs, auf denen viel los ist, haben allerdings Sicherheitsvorkehrungen. Die Posts werden vor der Veröffentlichung redaktionell kontrolliert und dann erst auf den Seiten freigegeben. Dass dennoch mal ein übler Spruch durchrutscht, passiert nicht sehr oft.
Auch auf facebook werden bestimmte Begriffe geblockt. Trotzdem darf man hier oft ein bisschen über die Stränge schlagen. Schmunzeln muss man ja, wenn ein FC-Köln-Fan vor dem DFB-Achtelfinale gegen Stuttgart schreibt: "Auf dass den Schwaben die Spätzle im Hals stecken bleiben."