Hilferuf an die EU
6. März 2014Er flehte, er drohte und er forderte: Arseni Jazenjuk, der ukrainische Premierminister (39), versuchte während seiner Gespräche mit den EU-Staats- und Regierungschefs gelassen zu bleiben, obwohl es für ihn um Sein oder Nichtsein, Krieg oder Frieden geht. In der Pressekonferenz nach seinen Treffen löcherten ihn die Journalisten aber so lange, bis man die Emotionen hinter der kühlen Fassade spürte. Während neue Nachrichten über eine Loslösung der Krim von der Ukraine durch das regionale Parlament in Brüssel einliefen, geißelte Arseni Jazenjuk die faktische Besetzung der Halbinsel durch pro-russische Milizen als "europäische Krise'".
Der Ministerpräsident feuerte bei seiner Begegnung mit den Journalisten selbst Fragen ab, die eher an die Staats- und Regierungschefs gerichtet waren, die ein paar Stockwerke über dem Pressesaal im Ratsgebäude über mögliche Sanktionen gegen Russland berieten. "Russische Stiefel und Panzer auf fremdem Boden zu haben, ist im 21. Jahrhundert völlig unakzeptabel. Wo wird das aufhören? Vielleicht nahe der Grenze zwischen der Ukraine und der EU?", fragte Jazenjuk eindringlich. Und weiter: "Was passiert hier gerade mit der globalen Sicherheit? Sind wir alle verrückt geworden? Kann man es hinnehmen, dass ein Land, das Atomwaffen hat, mal eben so entscheidet, in ein anderes Land einzumarschieren?"
Jazenjuk: "Wir werden unser Land schützen"
Der ukrainische Premierminister und die EU forderten Russland erneut auf, seine Truppen von der Krimhalbinsel zurückzuziehen. Als Antwort kam aus Rom von Außenminister Sergej Lawrow die Absage an die Bildung einer vom Westen gewünschten Kontaktgruppe als neues Verhandlungsforum in der Krim-Krise. Lawrow hatte in Rom zum zweiten Mal in 24 Stunden den amerikanischen Außenminister John Kerry getroffen. Derweil hieß es aus dem Kreml, die USA würden "unterste Propaganda" verbreiten. US-Präsident Barack Obama hatte vor zwei Tagen gesagt, die Aussage von Russlands Präsident Wladimir Putin, auf der Krim stünden keine russischen Invasionstruppen, sei lächerlich.
Der ukrainische Premierminister Arseni Jazenjuk bat die Staats- und Regierungschefs der EU, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, um eine diplomatische Lösung zu ermöglichen. "Wir erwarten, dass die EU, die USA und möglicherweise auch Russland ihr möglichstes tun, um die Situation zu stabilisieren. Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Wir müssen jetzt die richtigen Mittel finden, um diese Krise zu beenden. Was am besten funktioniert, müssen jetzt die EU und die USA beantworten. Es scheint, dass Russland sich sträubt, wirklich zu verhandeln. Wir sind dazu bereit", so Jazenjuk. Gleichzeitig drohte der Regierungschef, der erst seit einer Woche im Amt ist, indirekt mit militärischer Gegenwehr der ukrainischen Armee, die sich bislang nicht zu Kämpfen hinreißen ließ. "Aber im Falle einer weiteren Eskalation und einer weiteren militärischen Intervention auf das Gebiet der Ukraine sind die ukrainische Regierung und die Truppen bereit, im Sinne der Verfassung und der Gesetze zu handeln. Wir sind bereit, unser Land zu schützen!", rief der ukrainische Ministerpräsident aus. "Wir haben zwar weniger Waffen, aber wir haben den Geist der Revolution und der Freiheit", sagte Jazenjuk.
EU will weiter mit Russland verhandeln
Unter den EU-Staats- und Regierungschefs war stundenlang umstritten, wie hart man jetzt gegen Russland vorgehen sollte. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite setzte sich für spürbare Sanktionen ein. Sie sagte beim Betreten des Gipfel-Gebäudes: "Russland ist gefährlich." Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann dagegen versuchte, ein wenig zu beruhigen und sagte, man müsse Russland unbedingt ins Boot holen. Eine Lösung der Krise ohne Russland könne es nicht geben. Letztendlich haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ein abgestuftes Vorgehen geeinigt. Nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel werden zunächst Gespräche über Visa-Erleichterungen ausgesetzt. Wenn sich Russland nicht auf eine Kontaktgruppe einlasse, könnten Verantwortliche in Moskau in einem nächsten Schritt mit Kontensperren und Einreiseverboten belegt werden.
Zudem billigte die EU finanzielle Hilfen für die Ukraine in Höhe von rund elf Milliarden Euro. Dieses Geld müsse jetzt schnell fließen, denn die Ukraine sei mehr oder weniger bankrott, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der am Morgen mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten gesprochen hatte. "Dieses Geld wird auch auf Dauer nicht reichen. Da muss noch mehr kommen", sagte Schulz. Die Ukraine soll jetzt zügig mit dem Internationalen Währungsfonds über die Bedingungen für Kredite verhandeln. Die ukrainische Regierung möchte so schnell wie möglich das von der Vorgängerregierung ausgehandelte Assoziierungsabkommen unterschreiben. Auf Seiten der EU zögert man nun wieder. Erst sollten die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai abgewartet werden, hieß es von EU-Diplomaten. Denkbar wäre aber, Handelszölle schon vorher zu senken.