UN kritisieren Übergriff auf Gaza-Hilfsflotte
2. September 2011Mit einem einfachen Klick ist der 105-Seiten-starke Bericht auf der Internetseite der "New York Times" abrufbar. Jeder Interessierte kann lesen, was die vier Mitglieder des UN-Untersuchungsausschusses über die Vorfälle auf das Schiff "Mavi Marmara" herausgefunden haben. Am 31. Mai 2010 hatten israelische Sicherheitskräfte das türkische Schiff erstürmt und dabei neun türkische Aktivisten getötet. Die "Mavi Marmara" war Mitglied einer Flottille, die Hilfsgüter für Palästinenser im besetzten Gazastreifen an Bord hatte und diese - trotz Handelsblockade - übers Mittelmeer anliefern wollte.
Unterschiedliche Angaben aus Israel und der Türkei
Schon seit Juli 2011 scheint der Bericht fertig gestellt zu sein, zumindest steht dieses Datum auf dem Titelblatt. Veröffentlicht haben die UN das Papier aber noch nicht - und damit hat die Vorabberichterstattung eine gewisse Brisanz erhalten. Denn wie aus UN-Kreisen zu erfahren war, sollten die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel zunächst verbessert werden, bevor die Fakten über den Verlauf der Erstürmung des Schiffes im Mittelmeer publik gemacht werden sollten. Die Beziehungen zwischen Ankara und Jerusalem liegen seit dem Vorfall auf Eis.
Unter dem Vorsitz des ehemaligen neuseeländischen Regierungschefs Geoffrey Palmer hatten die UN-Diplomaten in den letzten Monaten die unterschiedlichen Berichte Israels und der Türkei ausgewertet. Dabei zeigte sich deutlich, dass jedes Land seine eigene Version der Vorfälle vom 31. Mai 2010 hat. Die Kommissionsmitglieder mussten daher die meist widersprüchlichen Angaben auswerten und mit Zeugenaussagen und Videos abgleichen. Die Arbeit des internationalen UN-Ausschusses dauerte insgesamt elf Monate.
Seeblockade "rechtens" - Tod der Aktivisten hingegen "inakzeptabel"
Die Kommission bewertet die Seeblockade des Gazastreifens durch Israel, die seit 2007 besteht, grundsätzlich als "rechtmäßig" und "angemessen". Der Militäreinsatz gegen die Hilfsflotte, die die Blockade durchbrechen wollte, sei aber "maßlos und unangebracht" gewesen. Sehr detailliert wird in dem UN-Bericht der Tod der neun Türken beschrieben. Auffällig ist, dass bei sieben Opfern mehrere Schusswunden festgestellt wurden.
Zwar seien die Israelis an Bord des türkischen Schiffes auf den "organisierten und gewalttätigen Widerstand einer Gruppe von Passagieren gestoßen", heißt es in dem UN-Bericht. Der Verlust an Menschenleben sei dennoch inakzeptabel. Daher müsse sich Israel für sein Vorgehen entschuldigen und den Angehörigen der neun Todesopfer Entschädigungen zahlen. Beide Länder werden aufgefordert, ihre wegen des Streits beschädigten Beziehungen "im Interesse der Stabilität im Nahen Osten" wieder zu normalisieren.
Türkei weist Israels Botschafter aus
Doch das scheint nicht so bald zu geschehen. Laut "New York Times" ist die Türkei besonders unzufrieden mit der Schlussfolgerung des UN-Ausschusses, dass Israel nach internationalem Recht berechtigt war, die Flottille mit Kurs auf den Gazastreifen in internationalem Gewässer zu blockieren. Am Freitag (02.09.2011) gab Außenminister Ahmet Davutoglu als Reaktion auf den UN-Report bekannt, dass die Türkei den israelischen Botschafter ausgewiesen habe. Die diplomatischen Beziehungen würden auf die Ebene der Staatssekretäre beschränkt. "Es ist Zeit, dass Israel einen Preis zahlt", sagte der Minister. Der israelische Botschafter werde die Türkei bis Mittwoch verlassen. Zugleich seien alle militärischen Verträge mit Israel vorerst ausgesetzt worden. Zudem forderte Davutoglu eine offizielle Entschuldigung seitens der israelischen Regierung.
Die Entschuldigung lehnt Israel bislang ab. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bedauerte allerdings den Verlust von Leben. Als einzige Reaktion auf die Veröffentlichung des UN-Papiers wird ein ranghoher Mitarbeiter der israelischen Regierung zitiert, der es begrüßte, dass die Untersuchung die Rechtmäßigkeit der Seeblockade bestätige. Eine offizielle Reaktion Israels wird erst erwartet, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Bericht veröffentlicht.
Der "New York Times" zufolge soll der Bericht vermutlich an diesem Freitag von den Vereinten Nationen veröffentlicht werden. Das Büro des Sprechers von UN-Chef Ban wollte dies auf Anfragen aber nicht bestätigen. Es sei noch nicht bekannt, wann das Dokument vorgelegt werde, hieß es in New York.
Autorin: Marion Linnenbrink (afp, dapd, dpa)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot