Summers oder Yellen?
22. August 2013Die Geschichten über Larry Summers sind legendär. Als Chefökonom der Weltbank unterzeichnete Summers 1991 eine Aktennotiz mit dem Vorschlag, Sondermüll aus wirtschaftlichen Gründen in Entwicklungsländer zu exportieren. Verfasst hatte die ironisch gemeinte Notiz offenbar ein junger Mitarbeiter von Summers. Der Inhalt wurde publik und der öffentliche Schaden war da.
In einer Rede als Präsident der Harvard-Universität dachte Summers 2005 darüber nach, dass der Mangel an Top-Wissenschaftlerinnen etwas mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu tun haben könne - eine Bemerkung, für die er sich später entschuldigte. Sein Amt war nach dieser Angelegenheit und weiteren Vorfällen dennoch angeschlagen, und er trat ein Jahr später als Präsident der Elite-Uni zurück.
Diese und andere Anekdoten über den Mann, der als Top-Favorit für den Job als Nachfolger von US-Notenbankchef Ben Bernanke gehandelt wird, kursieren momentan im Zuge einer durchaus ungewöhnlichen Diskussion. "Solch eine Debatte habe ich noch nie erlebt, und der Grund dafür ist Larry Summers", meint Chris Adolph, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Washington und Autor des jüngst erschienenen Buches "Bankers, Bureaucrats, and Central Bank Politics: The Myth of Neutrality."
Wegbereiter der Finanzkrise
Die Anekdoten über Summers mögen sich unterscheiden, im Kern geht es aber immer darum aufzuzeigen, dass Summers zu Ausrutschern neigt und nicht sonderlich sensibel ist. Beides sind Eigenschaften, die ihn nicht dazu eignen, die wichtigste Zentralbank der Welt zu leiten, warnen viele Kritiker.
Neben diesen "Charakterschwächen", weisen Gegner gern auf seine düstere Erfolgsbilanz hin. Sie haben nicht unrecht: als Bill Clintons Finanzminister war Summers einer der Hauptbefürworter der Deregulierung der Finanzmärkte. Er setzte die Aufhebung des "Glass-Steagall Act" durch, einem Gesetz zur Trennung von Kredit- und Investmentbanken und zur Deregulierung von Derivaten. Heute wird diese Maßnahme als einer der Auslöser für die globale Finanzkrise von 2008 angesehen.
Als Präsident Barack Obamas oberster Wirtschaftsberater während der Finanzkrise, stand Summers wegen zu großer Nähe zur Wall Street erneut in der Kritik. Deren rücksichtsloses Verhalten, so die Gegner, habe die Finanzkrise erst ins Rollen gebracht. Als bekannt wurde, dass er ein Jahr vor seinem Berateramt beim Präsidenten Millionen Dollar aus einem Hedgefonds kassierte, erreichte der Unmut gegen Summers seinen Höhepunkt.
"Als Vorsitzender des Nationalen Wirtschaftsrates unter Obama war er den Banken gegenüber nicht sonderlich hart", meint auch Wouter Den Haan, Wirtschaftsprofessor an der London School of Economics.
Weitsichtige Ökonomin
Wenn man Larry Summers als personifizierte Kontroverse ansieht, dann ist Bernankes Stellvertreterin Janet Yellen, die auch als neue Fed-Chefin gehandelt wird, das glatte Gegenteil. Während ihrer Zeit als oberste Wirtschaftsberaterin Bill Clintons, Chefin der Fed in San Francisco, und nun auch als Vize-Präsidentin der nationalen Federal Reserve, hat Yellen Skandale stets gemieden.
Das Wall Street Journal bescheinigt Yellen ein gutes Händchen für Wirtschaftsvoraussagen - keine schlechte Eigenschaft für eine Top-Ökonomin.
Yellen wird nachgesagt, sie habe schon früh auf die Risiken für die Wall Street hingewiesen, erklärt Den Haan. "Ihr war klar, dass wir uns auf eine Finanzkrise zu bewegten." Daher, so der Londoner Professor, werde sie wohl ziemlich hart mit dem Finanzsektor umgehen. Yellen erwähne oft das Thema Arbeitslosigkeit in ihren Reden, es könne also sein, "dass sie, wenn sie den Job bekommt, sich nicht nur auf die Inflation konzentrieren wird", sondern auch Arbeitslosigkeit ins Visier nehme, so Den Haan.
Politisches Nachspiel
Sollte sich Obama tatsächlich für Summers entscheiden, müsse er sich auf eine heftige Gegenreaktion gefasst machen, und zwar nicht nur von Ökonomen, sondern auch seitens seiner Parteifreunde, meint der Politikexperte Adolph.
Viele Demokraten meinen Summers sei 2009 das Haupthindernis für größere steuerliche Anreize gewesen, und daher "teilweise verantwortlich für den langsamsten und schwächsten wirtschaftlichen Aufschwung, den es jemals in den Vereinigten Staaten gegeben hat", so Adolph.
Skeptisch bewerten Kritiker Erklärungen Summers, er habe aus seinen Fehlern gelernt und befürworte nun eine strengere Regulierung des Finanzsektors. "Er hat sich vorher ganz erheblich geirrt, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er die gleichen Fehler nicht noch einmal macht", schrieb Lisa Gilbert von der US-Verbraucherschutzorganisation Public Citizen.
Wichtig für Europa
Wer der nächste US-Notenbankchef wird sollte auch für Europäer von allergrößtem Interesse sein, meint Chris Adolph. Schließlich sei die Fed der mächtigste Banken-Regulierer der Welt: "Wenn es darum geht, die nächste Finanzkrise abzuwenden, wird niemand mehr zu sagen haben als der nächste Fed-Chef, und im Zuge der Wirtschaftserholung wird das zunehmend wichtiger werden."
Einen kleinen Seitenhieb an die Adresse der EU kann sich der Professor nicht verkneifen: "Paradoxerweise würden sowohl Summers als auch Yellen wahrscheinlich als bessere Zentralbankchefs fungieren als die momentane EZB-Führung", so Adolph. Beiden sei die Bedeutung von Anreizen zum Ankurbeln der Wirtschaft klar, während sich die EZB immer noch auf nicht umsetzbare Sparpolitik versteife. "Sollte Europa weiter vor sich hinwurschteln, ist es umso wichtiger, dass die Fed eine aktive Rolle übernimmt."