USA entdeckt den Fußball
27. Juni 2014Mit ihrem Deutschland-Schal sticht Sabrina Sandru heraus, als sie vor die große Leinwand am Dupont Circle in Washington tritt. Links von der 21-Jährigen haben sich einige US-Amerikaner mit Flaggen und bunt bemalten Gesichtern breit gemacht. Rechts von ihr setzt sich ein junger Mann einen Hut auf, der mit Stars-und-Stripes-Muster versehen ist. Dennoch hält Sandru ihren Schal in Schwarz-Rot-Gold voller Stolz in die Höhe. "Ich bin hier, um das deutsche Fußball-Team anzufeuern", sagt sie.
Es ist kurz vor Mittag am Donnerstag (26.06.2014). In wenigen Minuten soll das Spiel Deutschland gegen die USA beginnen - und Sabrina Sandru möchte möglichst viel mitbekommen. Seit eineinhalb Jahren arbeitet sie in Washington als Au-Pair. Das Leben in der US-Hauptstadt gefalle ihr gut, doch gerade in Zeiten wie der Fußball-WM vermisse sie ihre Heimat. "In Deutschland gibt es unzählige Public-Viewing-Möglichkeiten und jeder ist dann auf der Straße", sagt die Nürnbergerin. "In den USA schaut man die Spiele in Pubs. Live-Übertragungen unter freiem Himmel sind selten."
Das Vorrundenspiel zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland stellt so eine Ausnahme dar: Die deutsche Botschaft hatte im Vorfeld verkündet, zwei Leinwände am Dupont Circle aufzubauen. Die Veranstalter rechneten mit einigen hundert Fans. Sie wurden überrascht: Allein über Facebook meldeten sich innerhalb kürzester Zeit mehr als 3000 Besucher an. Und so kommt es, dass im kleinen Park im Nordwesten der Stadt, der von einem Verkehrskreisel umrundet wird, mehrere Tausend Fußball-Freunde warten. Viele tragen Klamotten mit der Fahne der Vereinigten Staaten, sie singen Lieder und skandieren die drei Buchstaben "U-S-A". Es herrscht Volksfeststimmung in DC.
Neues Interesse an Fußball
Bisher galt der Fußball in den Vereinigten Staaten als Randsportart. Basketball, Baseball und American Football waren die Disziplinen, die tausende Menschen in die Stadien lockten und die die meiste Aufmerksamkeit in den Nachrichten erhielten. Doch die WM in Brasilien hat das Interesse der US-Bürger am Fußball neu entfacht. Das Spiel der amerikanischen Mannschaft gegen Portugal verfolgten laut dem Sportsender ESPN rund 25 Millionen Menschen. Das waren mehr Zuschauer als beim NBA-Finale.
Auf der Leinwand im Dupont Circle laufen die Spieler ein. Als Jürgen Klinsmann zu sehen ist, bricht in Washington Jubel aus. "Jürgen ist unser Mann", sagt Charles Young. "Er hat dafür gesorgt, dass wir auf internationaler Ebene eine Rolle spielen." Young ist selbst Fußballer: mit sieben Jahren fing er an, zu trainieren, mittlerweile spielt er an der Western Carolina University. Deshalb wollte er die Übertragung in Washington nicht verpassen. "Eigentlich müsste ich heute im Supermarkt arbeiten, aber ich habe mir frei genommen", sagt der 20-Jährige, der ein Unterhemd mit US-Sternen trägt.
Bangen in der zweiten Halbzeit
Young ist frohen Mutes, dass seine Mannschaft weiterkommt. "Uns genügt ein Unentschieden, aber wenn wir so wie in den letzten Runden spielen, werden wir wohl in Führung gehen." Die nächsten anderthalb Stunden muss er diese Aussage überdenken. Das US-Team hat zwar einige Tormöglichkeiten, doch die Spieler kommen nicht am deutschen Torhüter Manuel Neuer vorbei. Als in der zweiten Hälfte das 1:0 fällt, beginnt das große Zittern.
"Jetzt hängt alles davon ab, wie Ghana gegen Portugal spielt", sagt Aaron DeNu. "Wir selbst werden heute wohl kein Tor mehr schießen." DeNu ist Mitbegründer der Gruppe Dupont Festival. Die Non-Profit-Organisation hat das Public Viewing gemeinsam mit der deutschen Botschaft auf die Beine gestellt. "Washington ist eine sehr internationale Stadt. Wir haben hier so viele Menschen aus Europa, Südamerika oder Afrika, die alle fußballbegeistert sind. Und diese Fans haben uns Amerikaner angesteckt."
Nationalfeiertag und Viertelfinale
Nach 94 Minuten ist das Bangen zu Ende. Die USA verlieren zwar, kommen aber in die nächste Runde. Charles Young ist zufrieden und stimmt in den Jubelruf seiner Freunde mit ein. "Deutschland hat uns einen Dämpfer gegeben, doch wir werden aus unseren Fehlern lernen", sagt er. Ob sein Team es bis ins Finale schafft, will er nicht beschwören. Er hofft aber, dass die Mannschaft das Viertelfinale erreicht. Das Spiel würde am 5. Juli stattfinden, einen Tag nach dem Nationalfeiertag der USA. "Dann wird nicht nur in Washington, sondern in den ganzen Vereinigten Staaten gefeiert ", sagt Young, als er zum Parkausgang läuft.
Unterwegs kommt er an Thaddeus Jackson vorbei. Der Afroamerikaner verkauft Flaggen und Banner. Eigentlich macht er seinen größten Umsatz auf der Mall, der Touristenmeile zwischen Capitol und Lincoln Memorial. Doch heute wollte er möglichst viele Fanartikel an die Fußball-Fans verkaufen. Der Plan ging nicht auf: "Die meisten Menschen sind schon mit Fahnen und Tröten hergekommen", sagt Jackson. "Darin unterscheidet sich der Fußball nicht mehr von den anderen Disziplinen, die bei uns groß sind. Er ist ein Teil der US-amerikanischen Kultur geworden."