Verfehlte Politik der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan
21. Juli 2006Der Zettel an der Moschee war ein Drohbrief: "Mädchen, die zur Schule gehen, sollten vorsichtig sein." Vorsicht ist derzeit in Afghanistan angebracht. Die verstärkten Angriffe der Taliban machen auch vor Schulen, Lehrern und Schülerinnen nicht halt. "Lehrer werden geköpft, Schulen mit kleinen Jungen und Mädchen bombardiert, vermint und niedergebrannt", sagt Sam Zarifi, Asien-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Dabei wird die Zukunft des Landes zerstört. Afghanistan droht, eine weitere Generation zu verlieren."
Das hätte katastrophale Folgen für das Land. Denn gut ausgebildete Menschen sind die Voraussetzung für den Wiederaufbau: Man braucht sie in den Schulen und Hochschulen, in der Verwaltung und in der politischen Elite, die über Komptenz verfügen muss, um die Rahmenbedingungen für die Entwicklung Afghanistans zu schaffen.
Schulen haben Symbolwert
Doch die Taliban wollen genau das verhindern. Der Deutsche Tom Koenigs, seit Februar 2006 Sondergesandter der Vereinten Nationen in Afghanistan, weist auf einen weiteren Aspekt hin: "Die Schulen sind ein starkes Symbol des Erfolges der jetzigen Regierung oder auch der internationalen Gemeinschaft. Und deshalb sind sie natürlich Ziel der Angriffe derer, die genau dieses - die Präsenz der internationalen Gemeinschaft und die Regierung - nicht wollen."
Für die Destabilisierung vor allem des Südens von Afghanistan gibt es eine ganze Reihe von Gründen. So können Taliban-Anhänger wegen der kaum kontrollierten Grenze mit Pakistan fast ungehindert nach Afghanistan einsickern. Koenigs nennt weitere Ursachen für die zunehmende Gewalt: "Es gibt geopolitische Gründe: El Kaida und deren Netzwerke wollen natürlich wieder Fuß fassen. Es gibt Gründe, die in Stammesrivalitäten liegen. Es gibt Gründe einer Jugend, die ohne Hoffnung ist, radikalisierte Jugendliche in religiösen Schulen."
Keine einzelnen Taliban-Grüppchen
Nach Ansicht vieler Kritiker der bisherigen Wiederaufbau-Strategie für Afghanistan trägt auch die mangelnde Hilfe der internationalen Gemeinschaft dazu bei, dass das Land am Gebirge Hindukusch wieder zu einem Sicherheitsrisiko wird. Der Westen habe die Lage anfangs völlig falsch beurteilt. "Man muss sich an die eigene Nase fassen. Die Einschätzung, die weitgehend von Militärs kam, dass das einzelne versprengte Taliban-Grüppchen sind, die es da vielleicht noch gibt, die aber keine Rolle spielen - das war einfach falsch", sagt Koenigs.
War schon diese Analyse illusorisch, so gilt dies auch für die internationalen Finanzhilfen nach dem Sturz der Taliban. Afghanistan erhielt pro Kopf der Bevölkerung gerade mal ein Zehntel dessen, was beispielsweise für den Kosovo aufgewandt wurde. "Da hat man wahrscheinlich geglaubt, man könnte eine preiswertere oder billigere Lösung haben. Das ist ein Irrtum", sagt der Sondergesandter der Vereinten Nationen in Afghanistan.
Korruption und Schlafmohn
Die Bevölkerung Afghanistans leidet nicht nur unter der Eskalation der Gewalt. Es gibt zwei weitere schwerwiegende Probleme. Das eine ist die Korruption, die das Land weiter im Griff hält. Das andere ist der Anbau von Schlafmohn. Der ist auf Druck der Helfergemeinschaft mittlerweile zwar verboten, doch dieses Verbot entzieht vielen Afghanen die Existenzgrundlage. Für zahlreiche Menschen gibt es immer noch keine Alternative zum Anbau von Schlafmohn.
Das alles arbeite den Taliban in die Hände, sagt Koenigs. Ohne eine Lösung dieser Probleme könne dem Extremismus nicht der Boden entzogen werden: "Wir dürfen es nirgends und nie wieder zulassen, dass es ein freies Exerzierfeld für terroristische Gruppen gibt - international terroristische Gruppen. Denn darunter werden wir selber leiden, ob nun in Bonn, Berlin, London oder Madrid oder in Bombay oder Bangladesh."