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PolitikKroatien

Vergeblicher Kampf um Entschädigung: Juden in Kroatien

5. Februar 2024

In Kroatien leben nur noch etwa 1700 Juden - vor dem Zweiten Weltkrieg waren es rund 25.000. Ihr Eigentum wurde von Faschisten und Kommunisten konfisziert. Bis heute erleben ihre Nachfahren Ungerechtigkeit.

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Der Physiker und Buchautor Marko Ivanovic steht vor dem Haus, das einst seiner Familie gehörte. Das grüne Tor hinter ihm steht halb offen. Zwei Autos sind am Rand der engen Straße geparkt.
Das Haus in der Zagreber Altstadt gehörte einer jüdischen Familie - Marko Ivanovic fordert es zurückBild: Davor Batisweiler/DW

Marko Ivanovic zeigt auf das große Gebäude in der Altstadt von Zagreb, der Hauptstadt Kroatiens. Sein Vater hat es vor dem Zweiten Weltkrieg gekauft. "Hier, in diesem Haus, hätte ich 1948 geboren werden sollen", sagt der grauhaarige Mann mit dem Vollbart sichtlich berührt. Das blassgelbe Haus mit dem weiten grünen Tor und Ziersäulen über dem Eingang steht in einer Straße mit zahlreichen schönen alten Häusern. Manche sind mehr, andere weniger gut erhalten oder renoviert. Die ganze Gegend strahlt wohlhabende Bürgerlichkeit aus.

Ivanovics Eltern hatten den Krieg überlebt, sein Vater, ein kroatischer Jude, war zweimal nur knapp der Deportation ins Konzentrationslager entkommen. Doch fast sein komplettes Vermögen wurde konfisziert - vom faschistischen Ustascha-Regime , das Kroatien von 1941 bis 1945 kontrollierte.

Heute befinden sich in dem Gebäude, das seiner Familie gehörte, private Wohnungen und eine städtische Institution. "Ich weiß nicht genau, was das alles heute wert ist", sagt der studierte Physiker und Buchautor. "Aber die Immobilienpreise, die für diese Gegend in Zagreb genannt werden, sind schwindelerregend."

Der Physiker und Buchautor Marko Ivanovic
Marko Ivanovic, Physiker und Buchautor, kämpft um das Erbe seines VatersBild: Davor Batisweiler/DW

Im Jahr 1947 - die Kommunisten hatten inzwischen die Macht übernommen - wurden Ivanovics Eltern von einem jugoslawischen Gericht als Kapitalisten zu einem Jahr Zwangsarbeit verurteilt, das ihnen noch verbliebene Vermögen wurde konfisziert. Sein Vater war damals schon 67 Jahre alt, dessen Frau erheblich jünger. "Da hat er gesehen, dass es für ihn kein Leben mehr in seiner Heimat gibt", erzählt Ivanovic. "Er ist mit meiner Mutter, die mit mir im fünften Monat schwanger war, zu Fuß über die italienische Grenze geflüchtet, von Triest nach Genua, wo ich geboren wurde."

Nur einige Monate nach seiner Geburt starb sein Vater. Auf Antrag Marko Ivanovics wurde er 1998 gerichtlich rehabilitiert, sein Vermögen jedoch nicht vollständig an die Erben zurückgegeben.

Jüdische Architekten bauten das moderne Zagreb 

In Zagreb lebten bis 1941 etwa 12.000 Juden, in ganz Kroatien 25.000. Am Ende des Krieges gab es in Zagreb nur noch etwa 3000, von denen die Hälfte nach Palästina, dem späteren Israel, auswanderte. Den meisten war es wie Ivanovics Eltern ergangen: Zunächst konfiszierten die Ustascha-Faschisten ihr Eigentum. Das Wenige, was ihn blieb, wurde ihnen nach dem Krieg im kommunistischen Jugoslawiens weggenommen.

Die Holocaust-Überlebende Mira Wolf steht im Jüdischen Museum in Zagreb vor Vitrinen, die silberne rituelle Gegenstände wie Torahkronen und Chanukka-Leuchter zeigen
Die Holocaust-Überlebende Mira Wolf im Jüdischen Museum in ZagrebBild: Davor Batisweiler/DW

Wie groß das Vermögen der jüdischen Bevölkerung war, ist heute kaum jemandem bewusst, sagt Mira Wolf, Jahrgang 1937, eine Holocaust-Überlebende. Sie ist Leiterin des Jüdischen Museums in Zagreb und Dokumentarfilmerin. Einer ihrer Filme beschäftigt sich mit den jüdischen Bauherren, Architekten und Ingenieuren, die das moderne Zagreb erbauten. "In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen blühte Zagreb zu einer europäischen Metropole auf. Es ist aufgeblüht gerade wegen der Beiträge jüdischer Architekten, die einen Großteil des Zentrums bauen ließen", erzählt sie.

Immobilien im Wert von etwa 300 Millionen Dollar

Naida-Mihal Brandl, Leiterin des Lehrstuhls für jüdische Studien an der Universität von Zagreb, listet diese Immobilien in ihrem 2022 veröffentlichten Buch "Diebstahl des jüdischen Eigentums in Kroatien" auf. Zwei Jahre lang hatte sie die Aufzeichnungen des Ustascha-Staats analysiert. Die Juden in Kroatien hatten damals konkrete Angaben über ihre Familienmitglieder und ihr Eigentum machen müssen. "Als ich forschte, war es für mich schwierig, durch die Stadt zu laufen. Ich hatte das Gefühl, als wenn ich über einen Friedhof gehen würde", erzählt die 52-jährige Judaistin im Gespräch mit der DW.

Naida-Mihal Brandl, Leiterin des Lehrstuhls für jüdische Studien an der Universität von Zagreb, Kroatien, sitzt an einem Schreibtisch. Hinter ihr hängen gerahmte Fotos an der Wand. Eine israelische Fahne schmückt ihren Schreibtisch
Naida-Mihal Brandl, Leiterin des Lehrstuhls für jüdische Studien an der Universität von Zagreb, KroatienBild: Davor Batisweiler/DW

In ihren Forschungen beschränkte sie sich auf Zagreb. Sie berechnete aufgrund der Angaben in den Dokumenten, wieviel allein die konfiszierten Immobilien heute wert wären: "Das sind etwa 300 Millionen Dollar. Darunter sind jedoch nur Immobilien in Zagreb und nur die, die als ehemaliges jüdisches Eigentum identifiziert wurden und deren Wert angegeben wurde."

Das meiste davon wurde den Eigentümern nie zurückgegeben, obwohl Kroatien bereits 1996 ein Gesetz über die Entschädigung für das während des kommunistischen Jugoslawiens konfiszierte Eigentum erlassen hat.

Den Juden wurden viele Ungerechtigkeiten angetan

Dieses Gesetz gilt jedoch nur für das Eigentum, das nach dem 15. Mai 1945 eingezogen wurde, und nicht für die Immobilien, die das Ustascha-Regime während des 2. Weltkriegs enteignet hat. Deshalb kam es in der Praxis vor, dass der Besitz an Personen zurückgegeben wurde, die die Gebäude während der Nazi-Zeit von ihren ursprünglich jüdischen Eigentümern widerrechtlich erworben hatten. Brandl: "Es kam vor, dass solche Personen Immobilien zurückerhielten, die sie seinerzeit geschenkt bekommen oder angeblich käuflich erworben hatten."

Naida-Mihal Brandl blättert in ihrem 2022 veröffentlichten Buch "Diebstahl des jüdischen Eigentums in Kroatien". Auf den beiden Fotos im Buch sind Gebäude zu sehen, die früher Juden gehörten.
In ihrem 2022 veröffentlichten Buch "Diebstahl des jüdischen Eigentums in Kroatien" hat Naida-Mihal Brandl Dokumente und Zeugnisse über das jüdische Zagreb zusammengetragenBild: Davor Batisweiler/DW

Jüdische Eigentümer, die ihre Rechte geltend machen konnten, erhielten oft nicht ihre Immobilie zurück, sondern nur eine Entschädigung, die nicht dem tatsächlichen Wert des Gebäudes entsprach, so die Expertin. "Hier gibt es viele Ungerechtigkeiten, die den Juden zuerst 1941, dann 1945 und danach in den 1990er Jahren angetan wurden", sagt sie.

Das Gesetz ist auch in anderen Punkten problematisch. So können nur direkte Erben die Rückgabe einfordern, also Ehepartner, Kinder und Enkelkinder. Was für eine Bevölkerungsgruppe, in der ganze Familien ausgelöscht wurden, in der Praxis bedeutet, dass es nach dem gültigen Gesetz oftmals keine Erben gibt.

Die Erben werden weiter kämpfen

Deswegen konnte auch Marko Ivanovic nicht die Rückgabe des Gebäudes seines Vaters verlangen, da dieses formell das Eigentum seines verstorbenen Bruders gewesen war. Auch für die Raffinerie seines Vaters in Osijek erhielt er keine Entschädigung. Diese Raffinerie ist heute ein Teil des Öl-Konzerns INA. Für seine Anteile hätte er INA-Aktien bekommen sollen, aber dagegen ging der Konzern gerichtlich vor.

Ein blassgelbes Haus mit einem breiten grünen Hoftor in der Ulica Opaticka 16 in Zagreb
Das ehemalige Haus der Familie Ivanovic in der Altstadt von ZagrebBild: Google

Marko Ivanovic versuchte auch, politisch etwas zu erreichen. In den 1990er Jahren war er Abgeordneter im kroatischen Parlament. Aber, so sagt er: "Wenn Sie solche Sachen im Gespräch mit den Regierungsvertretern erwähnen, sind diese zwar sehr zuvorkommend und verständnisvoll. Aber ich denke, dass das nur ein großes Schauspiel ist."

Auf die Anfrage der DW nach Informationen über die Zahl der Anträge und der bisher erfolgten Rückgaben, antwortete die kroatische Regierung nicht.

Für die Aluminiumfabrik, die sein Vater 1937 in der Nähe von Sibenik gebaut hatte - die erste auf dem Balkan - erhielt Marko Ivanovic nur eine Teilentschädigung. Die Fabrik war zuerst vom Ustascha-Regime und danach vom kommunistischen Jugoslawien konfisziert worden. Heute ist das Nachfolgeunternehmen, das auf der Grundlage der väterlichen Firma gegründet wurde, wirtschaftlich erfolgreich.

Porträt einer  Frau mit blonden, mittellangen Haaren
Andrea Jung-Grimm Redakteurin, Autorin und Reporterin der DW Programs for Europe