Vergewaltigung als Strategie
9. Juni 2019Nach der Räumung eines Protestcamps der Opposition vor dem Hauptquartier des sudanesischen Militärs häuften sich Berichte sudanesischer Frauen, die von sexuellem Missbrauch erzählten. Vergewaltigungen sollen auf der Straße stattgefunden haben. 100 Menschen wurden getötet. Diese Gewalt scheint System zu haben. Die Täter sollen Mitglieder einer paramilitärischen Einheit, der "Rapid Support Forces" (RSF), sein. Sie bestehen aus den berüchtigten Dschandschawid-Milizen, die dafür bekannt sind, im Auftrag der Armee aufständische Volksgruppen zu bekämpfen. Die Augenzeugin Nahid Jabrallah sprach im DW-Interview von vergewaltigten Frauen, deren Leichen aus dem Nil geborgen worden sind.
Weibliche Ikone
Seit Mitte Dezember gehen hunderttausende Sudanesen in vielen Orten des Landes auf die Straßen. Mit der Studentin Alaa Salah scheint die friedliche Protestbewegung ihre Symbolfigur gefunden zu haben: Das Bild der weißgekleideten Frau mit den goldenen Ohrringen und einem in die Luft gereckten Zeigefinger ging um die Welt. Die sudanesische Frau ist seit Beginn des Protests präsent. Salah verkörpert den Widerstand gegen das repressive Regime und gleichzeitig den Mut zur Veränderung.
Doch nun möchte man die Frauen stoppen, meint Mayada Habib vom Zentrum für Frauenforschung in Frankreich: "Das Einsetzen von Vergewaltigung als Kriegswaffe gegen Frauen ist in der arabischen Welt seit dem Jahr 2011 weit verbreitet. Vergewaltigungen erfolgen systematisch. In Syrien wurden rund 8000 Frauen vom Assad-Regime festgehalten, gefoltert und missbraucht."
Möglicherweise habe die prominente Rolle der sudanesischen Frau in der Protestbewegung, die zum Rücktritt von Langzeitherrscher Omar Al-Baschir führte, "den Militärrat dazu gebracht, sich an den Frauen zu rächen", erklärt Habib. Die Vergewaltigungswelle der RSF solle Aktivisten und Demonstranten allgemein einschüchtern und betreffe nicht nur Frauen, so die Frauenforscherin.
"Klare Botschaft"
Der militärische Übergangsrat setze bewusst sexualisierte Gewalt gegen die Bevölkerung ein. "Es ist eine klare Botschaft an die Opposition, dass der Militärrat keine Mittel scheut, um der sudanesischen Revolution ein Ende zu setzen", meint Habib.
Wissenschaftlerin Habib erwähnt im DW-Gespräch die Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats über die Krise im Sudan. Acht EU-Mitglieder des Rates verurteilten die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Zivilisten. Doch eine gemeinsame Erklärung aller Mitglieder gab es nicht. Unter anderem lag dies am Widerstand Chinas, Russlands und Kuwaits. "Der Versuch, Sudans Militärrat für seine Menschenrechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen, ist hiermit gescheitert", so Habib.
Syrien, Libyen und nun der Sudan
Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten Berichte über die gezielte Verwendung von sexuellem Missbrauch als Mittel der Abschreckung in der arabischen Welt. In Libyen beispielsweise sollen Soldaten des damaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi mit massiver sexueller Gewalt gegen Frauen vorgegangen sein. Ein Arzt berichtete laut Spiegel Online von rund hundert Opfern allein in der Stadt Bengasi. Später sollen auch Milizen im libyschen Bürgerkrieg systematisch Vergewaltigungen eingesetzt haben.
Sexualisierte Gewalt sei eine äußerst sensible Angelegenheit vor allem im arabischen Raum, erklärt Habib. Sie fürchtet, dass diese Vorfälle im Sudan dazu führen, dass diese friedliche Bewegung in einem blutigen Konflikt mündet, indem sich auch Zivilisten bewaffnen. Diese Befürchtung teilen viele sudanesische Aktivisten in den sozialen Netzwerken. Der Militärrat würde eine Verbreitung von Waffen auf den Straßen des Sudans durch die RSF beabsichtigen, um die Demonstranten zu diskreditieren, lautet der Tenor. Auch weltweit fürchten Beobachter, dass sich die friedliche Bewegung der Zivilisten in eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der Bevölkerung und Sudans Militär entwickelt.