Von Podgorica nach Paris
16. November 2015Kalaschnikows, Pistolen, Handgranaten und Sprengstoff – ein ganzes Waffenarsenal entdeckten deutsche Schleierfahnder bei einer Routinekontrolle auf der Autobahn A8 bei Bad Feilnbach. Gut versteckt in einem gemieteten Golf 5, an dessen Steuer der montenegrinische Staatsbürger Vlatko V. (der volle Name ist der DW bekannt) saß. Medienberichten zufolge war in seinem Navigationssystem eine Adresse in Paris als Ziel eingegeben. Er habe bloß den Eiffelturm sehen wollen, soll Vlatko V. der Polizei gesagt haben. Von den Waffen in seinem Wagen habe er keine Ahnung gehabt.
Passiert ist all das am 5. November 2015 – nur acht Tage vor den Angriffen von Paris. Darüber informiert haben die deutschen Behörden ihre montenegrinischen Kollegen erst am 10. November, heißt es in Podgorica. In Deutschland betrachtete man die Festnahme anscheinend als isolierten Fall von Waffenschmuggel, der in keinem Zusammenhang mit Terrorismus steht.
Ein hochrangierter montenegrinischer Politiker, dessen Name nicht veröffentlicht wurde, behauptete gegenüber der Nachrichtenagentur Mina, es sei eine böse Unterstellung, dass ein montenegrinischer Staatsbürger etwas mit den Anschlägen in Paris zu tun haben könnte. Die regierungsnahe Zeitung "Pobjeda" bezeichnete die Medienberichte aus Deutschland gar als "Propaganda", die nur den erwarteten NATO-Beitritt Montenegros verhindern solle.
Aus prekären Verhältnissen
Die montenegrinische Polizei beeilte sich zu veröffentlichen, dass Vlatko. V. ihr bislang nicht aufgefallen ist – und vor allem, dass er kein Muslim, sondern orthodoxer Christ ist. Zoran Miljanić macht das wütend. "Es ist völlig unklar, wie die montenegrinische Polizei so schnell einen Zusammenhang zwischen dem Mann und den Attacken von Paris ausschließen konnte", sagte der Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für Sicherheit der DW. "Auch die Bemerkung, der Mann sei orthodox, macht gar keinen Sinn", erklärt der montenegrinische Politiker. Menschen aller Religionen könnten in terroristische Aktivitäten und ihre Logistik verwickelt sein.
Nach DW-Informationen kommt der 51-Jährige Vlatko V. aus einem armen Dorf in dem Region Bioče, etwa 20 Kilometer nördlich der Hauptstadt Podgorica. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Sein Bruder und andere Verwandte beschreiben ihn als einen Mann, der in prekären Verhältnissen lebte und sein Geld mit Gelegenheitsjobs bei der Arbeit auf Feldern oder Weinbergen verdiente. Dass er sich mit einem Wagen auf den Weg von Podgorica nach Paris gemacht hatte, wussten seine Verwandten angeblich nicht. Zwei Tage nach den Aschlägen, am 15. November, wurde sein Bruder von der montenegrinischen Polizei verhört.
Islamistische Propaganda
Die montenegrinischen Behörden wissen, dass es in dem winzigen Adrialand eine islamistische Szene gibt. Vor allem in den Grenzregionen zu Bosnien, Kosovo und Albanien, wo viele Muslime leben, macht auch dschihadistische Propaganda die Runde. Außerdem ist bekannt, dass sich vereinzelt montenegrinische Staatsbürger terroristischen Gruppen in Syrien angeschlossen haben.
Ende Oktober etwa lieferte Syrien einen verwundeten Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates nach Montenegro aus. Und im vergangenen Juni produzierte der IS ein aufwändiges Video für den Balkan, in dem Muslime aus der Region aufgerufen werden, ihre Nachbarn zu töten. Hunderte Kämpfer aus dem Kosovo, Bosnien und Serbien kämpfen bereits im Nahen Osten.
Der montenegrinische Abgeordnete Miljanić hat darum jüngst eine Verschärfung der Gesetzgebung vorgeschlagen - damit montenegrinische Staatsbürger, die an Kriegen im Ausland teilnehmen, in der Heimat bestraft werden können. "Es gibt Einzelpersonen, vielleicht sogar organisierte Gruppen, die im Ausland in den Krieg ziehen. Nach unserem Wissen gibt es in Montenegro zwar keine Trainingscamps für Dschihadisten. Aber Länder, in denen es solche Camps offenbar gibt, sind nur zwei oder drei Autostunden entfernt – Bosnien, Kosovo, vielleicht auch Mazedonien."
Es bleibt unklar, ob Vlatko V. wusste, was er in seinem Wagen transportierte und wer das Auto in Paris übernehmen sollte. Denn obwohl mehrere bayerische Politiker darauf hinweisen, steht eine Bestätigung eines Zusammenhangs mit den Attentaten aus Paris noch aus. Klar aber ist, dass die Zusammenarbeit zwischen deutschen und montenegrinischen Behörden in diesem Fall alles andere als effektiv war.