Von wegen "blühende Landschaften"
3. November 2014"Schlimm ist das, wie die Kästen hier die Gegend verschandeln", solche Töne hört man von einer Reisegruppe aus Westdeutschland. Die Reisenden hatten sich extra den Bummelzug durch die ostdeutsche Provinz herausgesucht, um 25 Jahre nach dem Mauerfall "den Osten" kennenzulernen. Und dann das: An fast jedem Bahnhof steht ein verrammeltes Abfertigungsgebäude. Eines sieht schlimmer aus als das andere. Früher einmal waren diese Gebäude im Oderbruch an der polnischen Grenze elegante Gebäude mit Abfertigungshalle, Ausflugslokal, Schaffner-Büro und großzügigen Eisenbahnerwohnungen. "Wir wollten mal schauen, wohin unser Solidaritätszuschlag gegangen ist", erklärt einer der Ausflügler. "Hier ist das Geld ganz sicher nicht gelandet", meint seine Begleiterin.
Etwa zwei Billionen Euro sollen in den vergangenen 25 Jahren in die ehemalige DDR geflossen sein, schätzen Experten. Viel Geld ging in die Sozialversicherung. Straßen wurden gebaut, Gründerzentren und Prestigeobjekte finanziert. Berlin, Leipzig, Dresden, Brandenburg, vielleicht Jena und Erfurt haben profitiert und sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu florierenden Städten entwickelt. Die ostdeutsche Provinz wurde dabei anscheinend vergessen.
Abwanderung in den Westen
Das Problem des Ostens: Die jungen Menschen gehen weg. In den Westen oder in die Ballungszentren, dorthin, wo es Arbeitsplätze gibt. Seit 1990 haben bisher etwa zwei Millionen Menschen die neuen Bundesländer verlassen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft rechnet damit, dass bis 2030 manche Gegenden bis zu einem Viertel der Bewohner verloren haben werden. Mit den Menschen schwindet auch die Kaufkraft.
Ostdeutschland spürt die weltweite Wachstumsschwäche deutlich stärker als der Westen Deutschlands, sagt Axel Lindner vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Das liegt vor allem daran, dass sich in Ostdeutschland eine Industrie etabliert hat, die Vorleistungsgüter herstellt", also Produkte, die weltweit verschickt werden, um irgendwo anders in der Produktion eingebaut zu werden. Gerade diese Produktion schwächelt jedoch in vielen Exportländern, was zu einem Problem für die ostdeutsche Region wird. Das, so Lindner weiter, sei eine direkte Folge der Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland.
Es fehlt die Industrie
"Das Hauptproblem nach der Vereinigung war, dass die industrielle Basis weggebrochen ist", sagt der Ökonom. Die Industrien waren alles andere als konkurrenzfähig. Anfang der 90er Jahre sei zudem ein entscheidender Fehler gemacht worden: Die Löhne, so Lindner, seien viel zu stark gestiegen. Dadurch habe sich vor allem in der ostdeutschen Provinz kaum wettbewerbsfähige Industrie ansiedeln können. Zwar ist die Wettbewerbsfähigkeit nach den neuesten Zahlen inzwischen deutlich besser, aber das nutzt kaum etwas, denn es fehlt nach wie vor die Industrie.
Im europäischen Vergleich kann sich Ostdeutschland als Ganzes allerdings sehen lassen. "Da ist der Industrialisierungsgrad immer noch höher als der in Frankreich oder England", so Lindner. Außerdem gebe es auch in Westdeutschland inzwischen einige Regionen, die vom Wachstum abgeschnitten seien.
"Es ist ein Problem der deutschen Provinz und nicht des Ostens. Wenn man an Westdeutschland denkt, da fallen mir gewaltige Divergenzen ein. Wir müssen uns einfach daran gewöhnen, dass es Regionen in Deutschland gibt, etwa das Ruhrgebiet, in denen das Wachstum schwach und die Arbeitslosigkeit höher ist als im Rest der Republik.”
Immobilienpreise verfallen
Ein Nebeneffekt dieser Unterschiede zeigt sich auf dem Immobilienmarkt. Während in vielen Ballungsgebieten die Quadratmeterpreise steil ansteigen, bewegen sie sich in der ostdeutschen Provinz zum anderen Extrem. Auf den Herbstauktionen der Branche gehen Grundstücke und Häuser aus diesen Regionen schon mal für 100 Euro pro Quadratmeter weg.
Für die Verkäufer sind diese Preise nicht so dramatisch, sagt Ralf Karhausen, Chef eines Auktionshauses. "Viele haben die Immobilie längst abgeschrieben und über die Jahre hinweg verkommen lassen. Einige scheuen die Investitionen, die dringend nötig sind, um die Immobilie wieder nutzbar zu machen." Viele hätten noch den DDR-Standard, manche sogar die Ausstattung aus der Kaiserzeit, so Karhausen.
Zu diesen Verkäufern gehört in diesem Jahr die Deutsche Bahn. Im großen Stil veräußert der Konzern ganze Bahnhöfe für wenig Geld. Die Bahn braucht in der Regel nur einen kleinen Raum und nutzt den Bahnsteig. Den mietet sie dann vom neuen Eigentümer zu vorher fest gelegtem Preis. Der Vorteil für die Bahn: Sie muss sich nicht mehr um die teure Sanierung kümmern. Das ist die Aufgabe der neuen Besitzer.