Jemen: Kampf ohne Sieger
23. Januar 2015Zunächst hatte es ausgesehen, als sei eine Form der Zusammenarbeit möglich zwischen den schiitischen Huthi-Rebellen und der sunnitisch geprägten politischen Führung im Jemen. Nach langen Kämpfen hatten im September rund 30.000 Huthis die Hauptstadt Sanaa erobert und die Regierung unter Druck gesetzt. Die beteiligte schließlich die Huthis bei der Kabinettsbildung im November.
Aber die Auseinandersetzungen wurden schärfer, bis sie vor einer Woche eskalierten: Am Samstag verschleppten die Rebellen den Stabschef des Präsidenten, Ahmed Awad bin Mubarak. Am Dienstag lieferten sie sich Kämpfe mit den Regierungstruppen, 35 Menschen starben. Am Mittwoch lenkte Staatschef Abed Rabbo Mansur Hadi ein und zeigte sich offen für Verhandlungen mit den Huthis: Sie hätten das Recht, in allen staatlichen Institutionen vertreten zu sein. Doch am Mittwochabend belagerten die Kämpfer den Präsidentenpalast und Wohnsitz des Staatschefs und stellten Hadi damit faktisch unter Hausarrest. Am Donnerstag trat die Regierung in Sanaa zurück.
"Politisches Chaos"
Ministerpräsident Chalid Bahah begründete sein Rücktrittsgesuch in einem im Internet verbreiteten Brief an Präsident Hadi mit den Worten: "Wir distanzieren uns von diesem destruktiven politischen Chaos." Die Regierung wolle für das, was künftig passiere, nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Kurz darauf kapitulierte auch der Präsident. Es sei ihm nicht gelungen, einen Ausweg aus der Krise zu finden, zitierte ihn ein Regierungssprecher am Donnerstag. Einer seiner Berater sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Huthis hätten den Staatschef bedroht und er habe sich daraufhin zum Rücktritt entschlossen. Das Parlament will am Sonntag bei einer Krisensitzung über die Rücktrittsgesuche beraten.
Landesweite Proteste
Während Regierung und Militär machtlos dastanden, begann das Volk seine Macht zu demonstrieren. In der Hauptstadt Sanaa, den Provinzen Tais und Hodeida trafen sich nach dem Freitagsgebet viele Menschen, um gegen den - aus ihrer Sicht - "Putsch" der schiitischen Aufständischen zu demonstrieren. "Das Land befindet sich in einem großen politischen Vakuum. Wir wünschen uns, dass die politischen Kräfte sich mit Vertretern aller Gruppen im Jemen treffen. Sie sollten dringend einen militärischen Rat bilden, damit das Land nicht noch größere Probleme bekommt", forderte Aidaros al-Mehthar, ein protestierender Hauptstadtbewohner.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier machte als Schuldige die Aufständischen aus und forderte sie auf, die Gewalt einzustellen. Die Entwicklungen seien "gefährlich zugespitzt". Steinmeier weiter: "Die Verantwortung tragen jene, die in den letzten Wochen immer wieder versucht haben, mit Gewalt ihre politischen Forderungen durchzusetzen."
Wer sind die Huthis?
Wer sind diese Huthi-Rebellen, die dabei sind, das ärmste Land der arabischen Welt einzunehmen? Die Huthis gehören zu der schiitischen Gruppierung der Zaiditen und sehen sich in direkter Abstammung vom Propheten Mohammed. Seit dem 9. Jahrhundert sind die Zaiditen im Jemen verwurzelt. Fast tausend Jahre lang, bis 1962, herrschten ihre Imame über ein großes Fürstentum im jemenitischen Hochland.
Heute gehören 30 Prozent der Jemeniten dem Volksstamm der Huthis an. Sie kommen aus dem Nordjemen, der bis 1990 ein eigenständiger Staat war und sich dann mit der Volksdemokratischen Republik des Südjemen zusammenschloss. Die Euphorie über die Vereinigung hielt nur kurz. 1994 gab es einen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf sich die ersten schiitischen Kampftruppen bildeten, aus denen die Huthi-Rebellen hervorgingen. Seither gab es mehrere Bürgerkriege. Gekämpft wurde um die Vorherrschaft zwischen den Regierenden im Norden und den Sozialisten des ehemaligen Südens, aber auch, weil sich Schiiten von der sunnitischen Mehrheit unterdrückt fühlten.
Führer der Nationalen Revolution
Die wichtigste Figur der Huthi-Rebellen ist Anführer Abdel Malek al-Huthi. Er gilt als erfolgreicher Feldkommandeur. Mit Beginn des Arabischen Frühlings ab 2011 stellte er sich mit der Forderung nach einem Ende von Korruption und Diktatur an die Spitze der Massen. Nach der Übernahme der Hauptstadt vor einem halben Jahr etablierte Abdel Malek al-Huthi seine Leute als politische Kraft, nachdem er Präsident Hadi zwang, eine neue Regierung unter Beteiligung von Huthis einzusetzen.
Und der Einzugsbereich der Huthi-Rebellen wächst: Mittlerweile sollen sie 14 der 21 Provinzen im Jemen kontrollieren, wie die Nachrichtenseite "Gulf News" unter Berufung auf den Golfkooperationsrat meldet. Die Aufständischen wollen eine Nord-Süd-Teilung des Landes, also zurück zu den Grenzen von vor 1990. Der bisherige Präsident Hadi hingegen wollte einen in sechs Regionen unterteilten Föderalstaat in der neuen Verfassung verankern.
Stellvertreterkrieg
Wie so oft im Nahen Osten spiegelt ein lokaler Machtkampf den überregional geführten Kampf um die Hegemonie in der muslimischen Welt wieder. Wenn Schiiten gegen Sunniten kämpfen, stecken oft der schiitisch regierte Iran und das vom sunnitischen Wahabismus dominierte Saudi-Arabien dahinter. Der reiche Golfstaat hat ein großes Interesse daran, den bettelarmen Jemen unter sunnitischer Kontrolle zu halten. Der Rivale Iran hingegen versucht, über die Huthi-Rebellen einen Fuß auf die Arabische Halbinsel zu bekommen.
Offizielle Verbündete sind der Iran und die schiitischen Rebellen im Jemen zwar nicht - der Rebellenführer bestreitet dies sogar. Doch hochrangige Vertreter beider Länder berichten, Teheran habe die Huthis schon vor der Übernahme der Macht in Sanaa mit Geld und Waffen unterstützt. Auch die US-Regierung wirft dem Iran vor, die schiitischen Huthi-Rebellen zu unterstützen.
Es gibt kaum Gewinner im Machtpoker um den Jemen. Vor allem die Nachbarstaaten Saudi-Arabien und Oman mit ihren langen und schwer zu überwachenden Wüstengrenzen zum Jemen befürchten, dass die Gewalt auf sie überschwappen könnte. Gleichzeitig dürfte sich das Kräftemessen der beiden Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien verschärfen. Als die Huthi-Kämpfer Sanaa eingenommen hatten, stoppte Saudi-Arabien seine finanzielle Unterstützung der Regierung.
Darunter leiden wird vor allem die bitterarme Bevölkerung des Jemen. Die Hilfsorganisation Oxfam warnte vor einer humanitären Katastrophe: "Wenn nicht bald etwas gegen die aktuelle Krise im Jemen unternommen wird, droht aus dieser gefährlichen Situation eine tödliche zu werden."