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Politik

Corona: Vorreiter Finnland

19. November 2020

Alle Welt schaut in der Corona-Krise auf das liberale Schweden. Dabei lohnt auch ein Blick nach Finnland. Denn in dem skandinavischen Land liegen die Ansteckungsraten niedriger als im Rest Europas. Woran liegt das?

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Finnland Corona-Pandemie | Helsinki
Bild: Markku Ulander/AP Photo/picture alliance

Finnland gehört weltweit zu den Ländern, die die Corona-Pandemie am Besten im Griff haben. Laut Angaben der John-Hopkins-Universität (Stand 18. November) haben sich seit Anfang des Jahres rund 19.600 Menschen mit dem Coronavirus angesteckt, 371 Menschen sind an den Folgen der Infektion gestorben. In keinem anderen europäischen Land sind die Raten so niedrig.

Zum Vergleich: Dänemark - das mit knapp sechs Millionen Bürgern ähnlich viele Einwohner hat - verzeichnet mit rund 65.000 Coronafällen gleich mehr als dreimal so viele Infizierte. In der Slowakei - ebenfalls von der Einwohnerzahl mit Finnland vergleichbar - haben sich sogar rund 88.600 Menschen mit dem Virus angesteckt. Schweden hat doppelt soviel Einwohner, aber mit fast 192.000 Infizierten fast zehnmal so viele Fälle. Doch woran liegt das? Ein Blick auf Finnlands Strategie - und Mentalität.

1. Finnland hat schnell reagiert

Als im Frühjahr weltweit die Zahlen der Corona-Infizierten hochschnellten, reagierte auch Finnlands Regierung zügig - und verhängte einen rund zweimonatigen Lockdown. Reisen in und aus der Hauptstadt Helsinki und der umliegenden Region waren verboten. Auch Schulen und andere Einrichtungen schlossen, später auch Restaurants. Dies passierte zu einem relativ frühen Zeitpunkt, die Infektionszahlen in dem skandinavischen Land waren noch überschaubar. "Finnland hat verhältnismäßig schnell und umfangreich das öffentliche Leben heruntergefahren. Im Vergleich zu anderen nordischen Ländern wie Norwegen und Dänemark etwa ein, zwei Wochen früher, von Schweden ganz zu schweigen", sagte Mika Salminen, Direktor der finnischen Gesundheitsbehörde THL - vergleichbar mit dem deutschen Robert-Koch-Institut - dem Deutschlandfunk Kultur. So konnte der Lockdown das Virus gut ausbremsen.

Finnland Corona-Pandemie | Drive-in-Test
Früher Lockdown, viele Tests - so kommt Finnland durch die PandemieBild: Heikki Saukkomaa/dpa/picture alliance

2. Die App wird akzeptiert

Finnland setzt auf eine schnelle Kontaktverfolgung von Menschen, die mit positiv Getesteten Kontakt hatten. Dabei wird die Arbeit der Behörden - wie auch in Deutschland - von einer App unterstützt. "Corona Flash" wurde von fast jedem zweiten Finnen heruntergeladen. In Deutschland wurde die Corona-App dagegen nur von etwa 22 Millionen Menschen installiert, also etwa einem Viertel der Bevölkerung. Bei einigen Menschen ist das Smartphone schlicht zu alt für eine Installation, doch viele scheinen auch Sorge zu haben, dass ihre Daten missbräuchlich verwendet werden. Warum die Finnen da anders ticken, zeigt der nächste Punkt.

Würzburg | Frau mit Mundschutz guckt auf Ihr Handy
Während in Deutschland nur jeder Vierte die Corona-Warn-App besitzt, ist es in Finnland jeder ZweiteBild: picture-alliance/HMB Media/H. Becker

3. Vertrauen als Schlüssel

Anders als in Deutschland, wo immer mehr Menschen die Corona-Strategie der Bundesregierung anzweifeln oder das Virus schlicht nicht ernst nehmen, ist in Finnland das Vertrauen in die Regierung eher hoch. Das zeigt sich nicht nur bei der finnischen Tracing-App. Auch während des Lockdowns im Frühjahr gab es kaum Widerstand. Bei einer Umfrage des EU-Parlaments zu der Zeit gaben 73 Prozent der Menschen an, gut mit den Maßnahmen klar zu kommen. Auch sogenannte "Querdenker"-Demos, wie sie jetzt in vielen deutschen Städten gegen die Corona-Politik der Bundesregierung abgehalten wurden, sucht man dort vergebens. "Wir versuchen uns an das zu halten, was die Regierung vorschreibt. Ich denke, das hat auch mit unserem Wohlfahrtsstaat zu tun", sagte die finnische Grünen-Politikerin Rosa Meriläinen im Deutschlandfunk Kultur.

Finnland Corona-Pandemie | Premierministerin Sanna Marin
Premierministerin Sanna Marin und ihre Regierung sind in Finnland sehr beliebtBild: Vesa Moilanen/dpa/picture alliance

Möglicherweise hat auch die Wirtschaftslage zur guten Stimmung beigetragen. Während die Wirtschaftsleistung im EU-Durchschnitt im zweiten Quartal 2020 um 14 Prozent sank, ging sie in Finnland nur um 6,4 Prozent runter. Das Land steht also noch gut da.

4. Technik macht's möglich

Auch die Umstellung auf Home-Office und Home-Schooling dürfte in dem hoch digitalisierten Land leichter verlaufen sein, eine Ausstattung mit Laptops ist für Finnlands Schüler vielfach selbstverständlich. In Deutschland dagegen kommen laut einer Studie der Gesellschaft für digitale Bildung 68 Schüler auf einen Laptop. Eine Beschulung zu Hause war vor allem für einkommensschwache Familien ohne digitalen Zugang schwer möglich - und hat die Zustimmung zur Corona-Politik möglicherweise gedrückt.

Finnland Einsatz von Roboter im Schulunterricht
Digitales Lernen - in finnischen Schulen längst AlltagBild: Reuters/A. Cser

5. Keine Party? Macht doch nichts!

Erst neulich warb die deutsche Bundesregierung mit einem umstrittenen Werbespot für eine Isolation in den eigenen vier Wänden. Vielen Menschen scheint das schwer zu fallen - verständlicherweise könnte man meinen. Doch in Finnland scheint das bei vielen Menschen anders zu sein.

Laut einer Umfrage des EU-Parlaments gaben 23 Prozent der Menschen in Finnland sogar an, dass sich ihr Leben durch den Lockdown im Frühjahr verbessert hat. "Wir sind nicht so gesellig und gern allein", sagte die Sozialpsychologin Nelli Hankonen der Universität Helsinki in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. 

Sommerhäuschen am See in Finnland
Finnen mögen es auch gern einsam und zurückgezogen...Bild: Imago Images/blickwinkel

Auch die persönliche Komfortzone - also wie nah man einem Menschen gerne kommen möchte - könnte eine Rolle spielen. "Es kann sein, dass die finnische Komfortzone etwas größer ist als in anderen europäischen Ländern", sagt Mika Salminen, Direktor der finnischen Gesundheitsbehörde THL. "Wir halten die Menschen gerne einen Meter von uns entfernt, sonst fühlen wir uns unwohl."

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft