Schottland, der Lachs und der Wald
10. Dezember 2020James Mackay ist 67 Jahre alt. Mit 21 fing er in Sutherland an der Nordküste Schottlands an, als Netzfischer zu arbeiten. Pro Saison holten er und seine Crew rund 3000 Wildlachse aus dem Wasser.
"In unserer Geschichte spielte der Lachs bei der Ernährung der Bevölkerung in Schottland eine wichtige Rolle", erzählt Edwin Third. Er ist Manager beim River Dee Trust, einer gemeinnützigen Organisation, die sich vor allem um die Bildungsarbeit rund um den Fluss Dee und dessen Ökosystem kümmert. "Auch viele Tiere sind vom Lachs abhängig, von Robben über fischfressende Vögel bis hin zu den Flussperlmuscheln. Früher gab es reichlich Lachs und er ernährte so viele andere Tiere. "
Lachs ist mehrfach bedroht
Nun gibt es immer weniger Lachs. Deswegen wurden Fischer wie Mackay 2015 mit einem Handelsverbot belegt.
Um die Lachsbestände zu überwachen, nutzen die Behörden die Fangzahlen der Sportangler. Haben Sie einen Lachs gefangen, wird er vermessen, fotografiert und wieder ins Wasser gesetzt. Dabei wurde festgestellt, dass 2018 die niedrigsten Fangzahlen seit Beginn der Aufzeichnungen 1952 registriert wurden. Im vergangenen Jahr warnte der Interessenverband Fisheries Management Scotland, dass sich der Wildlachs-Bestand "einem Krisenpunkt" nähere.
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Mackay glaubt, dass er und seine Kollegen mit ihren Fangnetzen zu Unrecht bestraft werden. Die Ursachen für den rapiden Rückgang der Lachsbestände seien vielfältig und nicht allein in Schottland zu finden.
Die Lebensräume der Lachse in den Ozeanen sind dabei genauso betroffen, wie die Flüsse, die sie während ihrer Wanderungen passieren. Überfischung, die künstliche Stauung von Flüssen, die die Wanderungen der Lachse behindert, Verschmutzung, Parasiten und Krankheiten, die aus den industriellen Lachsfarmen stammen, bedrohen die Lachsbestände genauso wie das sich fortlaufend erwärmende Klima.
Aber hier am Dee, so glaubt Third, ist auch die Abnahme des schottischen Waldes Schuld am Schwinden des Lachsbestandes. Er leitet ein Projekt, um Teile des Einzugsgebietes des Dee wieder aufzuforsten.
Fisch und Baum – eine besondere Beziehung
Thomas Reimchen ist Biologe an der Universität von Victoria in Kanada. Er war der Erste, der das enge Zusammenwirken von Lachs und Wald dokumentierte. Als er Anfang der 1990er Jahre an der Westküste Kanadas die Beziehung zwischen Schwarzbär und Lachs erforschte, erkannte er, dass die Nährstoffe, die die Fische aus den Ozeanen mitbrachten, Pflanzen und Tiere auch weit im Landesinneren ernährten.
Die von den Bären zurückgelassenen Lachsüberreste ernährten viele andere Säugetiere, Vögel und Insekten. Maden zersetzten den Lachs, so dass der Boden entlang der Laichgewässer mehr Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor enthielt, als in handelsüblichem Dünger ist.
So wurde der Boden mit den Nährstoffen angereichert. Reimchen fand sogar Hinweise auf die Jahre, in denen besonders viele Lachse unterwegs waren – in den Jahresringen der Bäume.
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Third erzählt unterdessen, dass anders herum auch der Lachs vom Wald profitiert. Fallen Blätter der Bäume ins Wasser, ziehen sie Wasserinsekten an. Davon ernähren sich die Jungfische. Nicht nur das. Die organischen Überreste der Blätter werden bis in die Ozeane gespült. Dort nähren sie das Plankton. Plankton wiederum ist Nahrungsbestandteil junger Lachse in den Ozeanen.
Kleine Rückstaus in den Flüssen durch umgefallene Bäume und altes Holz bieten den Lachsen Schutz zum Laichen. Der Schatten der Bäume an den Flussufern schützt die Jungfische vor den warmen Sonnenstrahlen.
Wenn es immer wärmer wird
Ist ein Gewässer wärmer als 23 Grad Celsius, erleiden Lachse körperlichen Stress. Und mit der weltweit zunehmenden Wärme erreichen auch die unbeschatteten Gewässer im schottischen Hochland Rekordtemperaturen. So wurden 2018 im Gairn, einem Nebenfluss des Dee, 27,5 Grad gemessen. Den Beständen junger Lachse hat das schwer zugesetzt, wie der River Dee Trust damals meldete.
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Vom einstigen schottischen Urwald existieren gerade mal noch vier Prozent. Auf Initiative der Regierung läuft im ganzen Land eine Aufforstungskampagne, an der sich viele Organisationen beteiligen. Für den River Dee Trust ist das Pflanzen von Bäumen auch für die Sicherung der Brutstätten und des Lebensraumes der Junglachse von entscheidender Bedeutung.
"Auf einer Länge von 300 Kilometern läuft der Fluss Gefahr, zu warm zu werden. Wir brauchen jetzt Bäume", sagt Third. "Eigentlich hätte man die vor 50 Jahren schon pflanzen sollen, aber mit dieser Erwärmung hat damals niemand gerechnet."
Mehr als die Hälfte der Flächen des Landes gehört bis heute rund 500 Familien. Sie halten auf den Flächen Raufußhühner und Hirsche. Es ist nicht immer einfach sie zu überzeugen, Bäume zu pflanzen. Aber sie lieben auch das Fliegenfischen. Und so, erzählt Third, sind auch die Landbesitzer zunehmend daran interessiert, mit dem Trust zusammen zu arbeiten. Denn sie erkennen, die Zukunft des Lachses steht auf dem Spiel.
Wiederbelebung des Ökosystems entlang der Ufer
"Als ich vor 20 Jahren anfing, konnte man meilenweit fahren und keinen einzigen Baum sehen", erzählt Third. In den vergangenen fünf Jahren hat der Trust 200.000 Bäume entlang der oberen Abschnitte des Dee gepflanzt. Das Ziel sind eine Million Bäume. "Jetzt kann ich unsere Bäume von Google Earth aus sehen", sagt Third. "Das macht mich so stolz", ergänzt er.
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Die Lachse, die in den schottischen Hochebenen schlüpfen, müssen eine lange und gefährliche Reise in die Ozeane auf sich nehmen, bevor sie später zur Fortpflanzung wieder in ihre alte Heimat zurückkehren. Der River Dee Trust hofft, dass er durch die Pflege des gesamten Flussökosystems den Lachsen einen guten Start ins Leben ermöglicht.
"Lachse sind wirklich widerstandsfähig", sagt Third. "Und ich denke, wenn wir ihnen etwas Raum geben, können es wieder mehr werden, mehr noch als wir in den vergangenen 50 Jahren gesehen haben. Über die Alternative will ich gar nicht nachdenken."