Welche Antwort auf die Ohrfeige?
31. März 2014Die konservativen Parteien Frankreichs feiern, der rechtsextreme Front National jubelt und der sozialistische Staatschef gibt die Sphinx. "Bis jetzt haben wir keinerlei Informationen, was François Hollande seit dem ersten Wahlgang vor einer Woche eigentlich denkt", sagt Gérard Foussier, Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Dokumente Documents". Und auch nach den Stichwahlen vom Wochenende gebe es - abgesehen von der Regierungsumbildung - keine Signale aus dem Präsidentenpalast, wie es nun weitergehe in Frankreich.
155 Rathäuser haben Frankreichs regierende Sozialisten an die konservative UMP verloren, in elf Städten wird künftig sogar der Front National regieren. "Die französischen Wähler haben Präsident Hollande eine schallende Ohrfeige gegeben", meint Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, "das Problem ist, sie haben nicht gesagt, in welche Richtung die Reise gehen soll."
Entlastungen für Unternehmen vor dem Aus?
Denn das Wahldebakel kam genau in dem Moment, als der Präsident vorsichtig anfing, sich an überfällige Wirtschaftsreformen heranzuwagen. Fast zwei Jahre lang hatte sich François Hollande zögernd und zaudernd gezeigt, hatte taktiert und vermieden und verdrängt. Die französische Wirtschaft sackte immer weiter ab, die Arbeitslosigkeit stieg auf über zehn Prozent, und die Popularität des Präsidenten rauschte in den Keller.
Anfang des Jahres kündigte der Präsident dann einschneidende Reformen an. Er werde die französischen Unternehmen bei den Sozialabgaben um 30 Milliarden Euro entlasten. Firmenbosse und Wirtschaftsexperten lobten ihn dafür. "Französische Unternehmen haben zu hohe Lasten und zu wenig Gewinne, um angemessen investieren zu können", meint auch Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut, "deshalb wäre der eingeschlagene Weg der Unternehmensentlastung ein ganz, ganz wichtiger Schritt."
Doch in Hollandes Sozialistischer Partei gilt die angekündigte Reform als Geschenk an die Unternehmer und als Verrat an den sozialistischen Grundsätzen. Der Widerstand ist groß und noch größer ist das Dilemma des Präsidenten: "Wenn er jetzt seine Politik ändert", warnt Dokumente-Chefredakteur Gérard Foussier, "dann wird ihm das als Schwäche ausgelegt." Dann werde er wieder als der Zauderer dastehen, den die Franzosen so satt haben: "Wenn er aber hart bleibt, dann werden die Leute sagen, er hat nichts gelernt aus der Wahlschlappe: Der hört nicht zu."
Der Präsident darf fast alleine entscheiden
Im Grunde könnte François Hollande die Kommunalwahlen ignorieren. Die Franzosen haben schließlich nicht über die Regierung, sondern über die Gemeinde- und Stadträte abgestimmt. Direkte Auswirkungen auf die nationale Politik kann es frühestens im Herbst geben, wenn die nun mehrheitlich konservativen Bürgermeister mitreden werden bei der Wahl der neuen Senatoren. Die knappe sozialistische Mehrheit im Senat könnte dann kippen. Doch der Senat, in dem die Départements vertreten sind, hat in der nationalen Politik nicht viel zu sagen, so wie auch das französische Parlament weit weniger Macht und Einfluss hat als beispielsweise der deutsche Bundestag. "Wir haben in Frankreich ein System, wo der Präsident fast alleine entscheiden kann und darf", erklärt Foussier.
Umso größer sind die Erwartungen an den Präsidenten. Er soll das Land aus der Krise führen, und er soll dafür sorgen, dass vor allem die Einkommen der unteren Schichten endlich wieder steigen. Doch das passt nicht immer zusammen. Die aktuelle französische Diskussion über Wirtschaftsreformen erinnert in vielen Aspekten an die deutschen Debatten zu Zeiten von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Ausgerechnet der Sozialdemokrat Schröder sah sich in seiner zweiten Amtszeit gezwungen, die damals stark angeschlagene deutsche Wirtschaft durch Einschnitte bei Arbeitern und Arbeitslosen wieder auf Trab zu bringen.
Eine französische "Agenda 2010" ist umstritten
In Frankreich löst die deutsche "Agenda 2010", wie das Schrödersche Programm hieß, seit Jahren immer wieder hitzige Diskussionen aus. Vor allem die Einschnitte beim Kündigungsschutz und beim Arbeitslosengeld gelten in Frankreich als schwere Verstöße gegen die sozialen Rechte der Arbeiter. Für François Hollande bietet die "Agenda 2010" vor allem zwei Lektionen: Die deutsche Wirtschaft erlebte einen Boom, und Kanzler Schröder wurde abgewählt.
Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut kann sich vorstellen, dass Hollande den Reformkurs jetzt sogar verschärfen könnte. "Unpopulär ist er ohnehin", so Uterwedde, "deshalb könnte er jetzt versuchen, die Reformen anzupacken und so Vertrauen zurückzugewinnen." Auch Chefredakteur Gérard Foussier geht davon aus, dass Hollande jetzt nicht einknicken, sondern eher die Flucht nach vorne antreten wird: "Er wird wahrscheinlich genau wie Gerhard Schröder damals darauf hinweisen, dass diese Politik zwar sehr unpopulär, aber doch die richtige ist."
Doch ganz sicher ist sich auch Foussier nicht. Die Sozialistische Partei werde in den nächsten Wochen ihren Druck auf den Präsidenten verstärken, um ihn vom Reformkurs abzubringen: "Im Mai ist die wichtige Europawahl, da könnte er die zweite Ohrfeige in diesem Jahr bekommen, und das möchte natürlich keine Partei, schon gar nicht seine."