Wendt: "Unsere Möglichkeiten sind begrenzt"
27. Juli 2014Deutsche Welle: Herr Wendt, auf verschiedenen Demonstrationen in deutschen Städten waren in den vergangenen Tagen immer wieder auch anti-jüdische Parolen zu hören, doch nicht immer kann die Polizei eingreifen. Nach welchen Kriterien müssen Sie sich bei der Bemessung solcher Rufe orientieren?
Rainer Wendt: Die Grenzen sind außerordentlich schwierig zu ziehen. Als Polizei stehen wir in dem Spannungsfeld zwischen erlaubter Kritik am Staat und an der Regierung Israels und an dem, was wir antisemitische Hass-Parolen nennen. Israel zu kritisieren für seine Politik - zum Beispiel wegen der aktuellen Ereignisse im Gaza-Streifen - ist absolut legitim. Eine Judenfeindlichkeit zu propagieren wie das Linke, Rechte und auch islamistische Extremisten tun, überschreitet aber die Grenze zum Erlaubten.
Wo wird die Grenze zum Erlaubten ganz explizit überschritten?
Beispielsweise das Verbrennen staatlicher Symbole ist verboten, sowie das Skandieren von Hass-Parolen wie "Tod Israel" oder "Tod den Juden". Das ist Volksverhetzung und ist ein Straftatbestand.
Wie geht die Polizei in solchen Fällen genau vor?
Das hängt von der Einsatzlage vor Ort ab und muss vom jeweiligen Polizeiführer entschieden werden. Selbst bei schweren Straftaten, muss immer der Verhältnismäßigkeits-Grundsatz berücksichtigt werden. Passiert etwas, müssen die Beamten versuchen, Straftaten schnellstmöglich zu unterbinden. Beziehungsweise dann, wenn sie geschehen sind auch gerichtlich verwertbar zu machen.
Wie sieht da das Vorgehen genau aus?
Die Straftäter müssen identifiziert und festgenommen werden. Dann muss sehr schnell ein Verfahren eingeleitet werden, damit wir hinterher auch zu einer Verurteilung kommen. Die Gerichte setzen hohe Anforderungen an die Beweiskraft, das heißt, es dürfen überhaupt keine Lücken entstehen zwischen der Feststellung der Straftat, der Festnahme und der Überstellung zum Gericht.
Vor welche Herausforderungen stellt das die Beamten vor Ort?
Der Polizeiführer vor Ort muss immer einen Blick auf die Rechtslage, auf das Verhalten der Staatsanwaltschaft und auch auf die gesamtpolitische Gemengelage haben. Und auch auf das, was die Öffentlichkeit zu recht von der Polizei erwartet. Ich kann mir kaum einen schwierigeren Einsatz-Anlass vorstellen, den es zu bewältigen gibt.
Wird von Seiten der Polizei genug getan, um Straftatbestände, wie beispielsweise Volksverhetzung zu unterbinden?
Ja, eindeutig. Der Vorfall in Berlin, bei dem am vergangenen Donnerstag (17.07.2014) antisemitische Parolen wie "Jude, Jude, feiges Schwein" zu hören gewesen sind, ist ganz offensichtlich das Ergebnis eines Missverständnisses zwischen der Berliner Staatsanwaltschaft und der Polizeiführung gewesen. Das ist mittlerweile ausgeräumt. Es ist uns ein hohes Anliegen, auch gar nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass die Polizei so etwas duldet. Genau das Gegenteil ist der Fall. Von Flensburg bis Passau können alle Mitbürger jüdischen Glaubens sicher sein: Die Polizei tut alles, um sie zu beschützen. Nur: unsere Handlungsmöglichkeiten sind von Politik und Justiz immer begrenzt.
Wie bereiten Sie sich auf Demonstrationen, wie beispielsweise den al-Quds-Tag (25.07.2014) in Berlin vor?
Im Vorfeld solcher Veranstaltungen sind vor allem die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden wichtig, weil sie Informationen, beispielsweise über die Vorbereitung von strafbaren Handlungen sammeln. In den vergangenen Jahren wurden - mit Blick auf islamistische Extremisten - viele Islamwissenschaftler eingestellt, die uns dabei helfen, Erkenntnisse, die ja sehr schwierig auszuwerten sind, in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Wie gehen Sie auf Demonstrationen vor, auf denen kein Deutsch gesprochen wird?
Wir setzen grundsätzlich alle Polizeikräfte überall ein, aber bei besonderen Einsatzlagen natürlich vor allem die Spezialisten, die wissen, wie das was dort skandiert wird, einzuordnen ist. Das sind Kriminalbeamte, die sich auf die Beobachtung bestimmter Geschehen spezialisiert haben. Außerdem sind das Verfassungsschutzbeamte, die die Ereignisse schnell einordnen können und genau wissen, wie man was zu bewerten hat. Da darf man ja auch nicht überreagieren. Man darf aber auch nicht versehentlich etwas überhören.
Tragen diese Beamten eine Uniform?
Grundsätzlich sind die Meisten als Beamte zu erkennen. Es gibt aber natürlich auch Aufklärungskräfte, die in besonderer Weise durch das Landeskriminalamt geschult sind. Die sind nicht sofort erkennbar.
Das Interview führte Nastassja Steudel.
Rainer Wendt ist seit 2007 Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er ist seit 1973 aktiv im Polizeidienst tätig und führt den Dienstgrad Polizeihauptkommissar.