Wie die "Sibylle" Frauen in der DDR prägte
12. Juni 2019Schickes Kleid mit breitem Gürtel, der Griff mit der Hand an die Perlenkette, mit elegantem schwarzen Handschuh, versteht sich. So kam Haute Couture in der DDR daher, Ausgeh-Mode für die werktätige Frau. Die werktätige Frau wurde dann später selbst zum Modell, als der Glamour der westlichen Welt nicht so recht zu den maroden wirtschaftlichen Verhältnissen in der DDR passen wollte. Die Ingenieurin mit Helm steht ihren "Mann", hilft der Wirtschaft (vielleicht) wieder auf die Beine. Gründerin und Namensgeberin der Frauenzeitschrift war 1956 Sibylle Gerstner. Ein Comeback feiert die "Sibylle" in einer Wanderausstellung, die derzeit im Willy Brandt Haus in Berlin zu sehen ist. Im Mittelpunkt stehen dreizehn Fotografen und Fotografinnen, die die Zeitschrift geprägt haben, wie etwa Sibylle Bergemann, Arno Fischer oder Ute Mahler.
Die besten Fotografen der DDR arbeiteten für "Sibylle"
Arno Fischer holte die Models in den 1960er Jahren aus den Studios raus auf die Straßen Berlins. Sibylle Bergemann prägte das Magazin in den 1980er Jahren durch ihre stillen, ästhetischen, auch melancholischen Bilder, etwa die Frau mit dem langen schwarzen Kleid vor einer mit Kreide bemalten Wand.
Ute Mahler prägte in ihren Bildern die Ästhetik des Individuums. Sie war eine langjährige "Sibylle"-Fotografin und hat an der Ausstellung mitgewirkt. "Es ging um Stil, Geschmack und die Ermutigung zur Individualität. Für die 'Sibylle' haben in all den Jahren die besten Fotografen des Landes gearbeitet. Sie wurden mit ihren Porträts, Reportagen, essayistischen Serien oder mit Landschaftsfotografie bekannt, deshalb ist auch die Modefotografie in dem Heft so besonders, weil wir alle in unserem Stil fotografiert haben", sagte sie im Rahmen der Ausstellung.
DIY-Mode stand hoch im Kurs
Die Modelle posierten nicht in fernen Ländern mit wehenden Haaren zwischen Löwen und Elefanten, sondern am U-Bahnhof, in Kneipen oder bei der Arbeit und später auch in den Straßen der befreundeten osteuropäischen Staaten. Die Mode gab es nicht zu kaufen, man schneiderte sie selbst nach den Schnittmustern in der "Sibylle".
40 Seiten Mode, 40 Seiten Kultur: Von 1956 bis 1995 erschien die Zeitschrift "Sibylle" alle zwei Monate im Verlag für die Frau in Leipzig. Mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren in ihren besten Zeiten trug sie maßgeblich zum damaligen Frauenbild und zur Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse bei.
Inspiration von London bis Peking
In der ersten Ausgabe der Zeitschrift, im August 1956, wandte sich ein "Mädchen Sibylle" an die Leserinnen. Sie wollte ihren Blick überall haben, "in Prag und Florenz, in Warschau und Wien, in Moskau und New York, in Peking und London - und immer wieder in Paris". Unter der staatlichen Zensur war es in den 1970er Jahren dann eher der Blick nach Osten und auf die Vorzeigestadt Ost-Berlin mit dem Alexanderplatz, der den Models oft als Kulisse diente. Während des Kalten Krieges wurden die ideologischen Konflikte auch über das Frauenmagazin ausgetragen.
Neben der Mode griff die Zeitschrift auch Themen wie Reise, Künstlerporträts, Kultur und aktuelle Inhalte auf, mit besonderem Blick auf die Jugend. Waren es in den 1960er Jahren die Halbstarken mit ihren Lederjacken und die Frauen in Petticoats, so kreisten die Themen in den 1980er Jahren um Hippies und geschniegelte Popper. Junge Leute, die in ihrer Freizeit Partys feierten, waren in den 1960er Jahren, als man in der DDR noch glaubte durch das Chemieprogramm "Brot, Wohlstand und Schönheit" zu schaffen, durchaus toleriert.
Mode unter Zensur
Als die Wirtschaft nicht hielt, was die Regierung versprochen hatte, machte die SED den Einfluss ideologisch-feindlicher Kräfte für den ausbleibenden ökonomischen Erfolg der DDR verantwortlich. Mitte der 1960er Jahre war es auch mit der Toleranz gegenüber der "Sibylle", die als Sprachrohr der aufmüpfigen "Jungen Leute" galt, vorbei. Stattdessen sollte die Frau als Symbol für eine erstarkende Wirtschaft stehen. Arbeiterkleidung wurde modisch aufbereitet, ganz im Sinne des "Arbeiterstaates" DDR. Was vom Chemieprogramm blieb, waren die synthetischen Fasern und Stoffe, die mit ihren glänzenden Oberflächen und bunten grellen Farben in vielen Beiträgen über Modedesign präsentiert wurden.
Die innerpolitische Spannung verschärfte sich, als 1976 Wolf Biermann ausgebürgert wurde. Die "Sibylle" reagierte mit ironischen Bildergeschichten. Die "bleierne Zeit" Anfang der 1980er Jahre, in der sich in der DDR besonders wirtschaftlich, aber auch politisch kein Fortschritt erkennen ließ, gab der Zeitschrift als Zufluchtsort Aufwind. In dieser Zeit kam Ute Mahler als Fotografin zum Magazin. Ihre Imagination und Spielfreude beim Fotografieren begeisterte die Leser und holte sie für einen Moment aus ihrem alltäglichen Umfeld.
Widerstand durch Fotografie
Ein ursprünglich positiv gesehenes Thema, wie das Verhältnis von Industrie und Lebenskultur, das sich lange Zeit auch in der Mode gezeigt hatte, wurde in der Zeit vor der politischen Wende eher kritisch betrachtet. Sibylle Bergemann zeigte ihre Haltung, indem sie Models auf zugigen Betonstraßen mit qualmenden Schornsteinen im Hintergrund fotografierte. Die Zeitschrift öffnete sich für neue, unkonventionelle fotografische Positionen. Sie entwickelte sich zu einem Forum künstlerisch ambitionierter Fotografie in einer Phase des gesellschaftlichen Umbruchs.
Im Herbst 1989 brodelte es nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Redaktion. Die amtierende Chefredakteurin wurde von der Belegschaft abgewählt. Die vorerst letzte Ausgabe im Jahr 1989 setzte eine Zäsur. Die Serie "Handschriften" präsentierte in Aufnahmen von Sibylle Bergemann Einzelstücke von Modedesignern aus der DDR. Die hatten ihre Kollektionen allerdings auf der anderen Seite der Mauer, in West-Berlin, mit großem Erfolg auf der Modemesse "Offline" vorgestellt. Die Fotografin hatte ihre Modelle symbolisch vor dem abblätternden Putz alter Mauern platziert.
Nach der Wende war das Blatt am Ende
Nach dem Mauerfall kaufte ein westdeutsches Unternehmen die Zeitschrift "Sibylle". Damit war die Existenz vorerst gesichert, doch die Zeitschrift konnte nicht mehr an ihre DDR-Erfolge anknüpfen. Die Umsatzzahlen sanken. Auch ein neuer Versuch im Selbstverlag schlug fehl. Anfang 1995 wurde die Produktion aus finanziellen Gründen endgültig eingestellt.
Über zweihundert Werke rund um die Entwicklung der Zeitschrift "Sibylle" und der Modefotografie in der DDR zeigt die gleichnamige Ausstellung noch bis zum 28. August im Berliner Willy Brandt Haus.