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Wie Musiker Anoki ungewollt zum Werbegesicht wurde

Nadine Wojcik
10. Juli 2023

Er ist Urenkel einer Sklavin und wurde als Deutschindonesier in seiner Kindheit selbst mit alltäglichem Rassismus konfrontiert. Heute ist Anoki als "Urban Man" ein gefragtes Werbegesicht - gegen seinen Willen.

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Junger Mann mit Dreitagebart und Cap in einem Keller.
"Lest immer das Kleingedruckte", warnt Rapper Anoki. Er wurde ungewollt zum WerbegesichtBild: Janos Götze

"Einfach nicht hinsehen", nahm sich der Musiker Anoki vor, als ihn überraschend eines Tages sein übergroßes Gesicht auf einem noch größeren Werbeplakat am Rosenthaler Platz anlächelte. Anders als es der Name behauptet, ist der Rosenthaler Platz gar kein Platz, sondern eine laute Berliner Kreuzung, die niemals schläft, an der auch noch um fünf Uhr morgens Döner angeboten wird. Dort finden sich ungeduldig hupende Taxis, umgekippte E-Roller, sich kreuzende Straßenbahnlinien und die Haltestelle der U-Bahn-Linie 8, die hier, in Berlins Mitte, das Partyvolk aus Wedding, Kreuzberg und Neukölln auskippt.

Für Anoki ist der Rosenthaler Platz Zwischenstopp auf seinem Weg ins Musikstudio. Unten am Bahngleis läuft er täglich an riesigen Werbeflächen vorbei. Von den Tafeln, die ihn zeigen, hat der 29-jährige Rapper mehr als genug. Ein einmaliger Studentenjob trägt Schuld daran. Dazu später mehr.

Anoki: Von Bayern nach Berlin

Anoki heißt eigentlich Florian Grießmann, er ist der Sohn einer Deutschen und eines Indonesiers. Er wuchs in der bayerischen Provinz auf - und seine Hautfarbe irritierte die weiße Mehrheitsgesellschaft. Als Kind und Teenager muss Florian Grießmann immer wieder Alltagsdiskriminierung aushalten. Beim Feiern wird er - anders als seine weißen Freunde - wiederholt von der Polizei festgehalten. "Einmal hat ein Polizist zu mir gesagt: 'Wenn du wie ein Verbrecher aussiehst, brauchst du dich nicht zu wundern'", erzählt er der DW. Manchmal habe er Anzeigen gegen Polizistinnen und Polizisten gestellt, die immer mit Gegenanzeigen beantwortet worden wären. "Das kennen alle Leute mit Migrationshintergrund, die schon mal versucht haben dagegen vorzugehen." In seinen Songtexten hält er er seine Erfahrungen fest:

"Alleman, Bavaria, kein Vater da, Schwarzes Haar.
Seh' anders aus, als Alle da, fällt mir nicht auf, doch Alle starrn'.

Im Klassenraum, im Supermarkt, eintausendmal Policia.
Rechtfertigungen, jeden Tag, hab nichts getan nur dunkler Teint."

Aus: "Schüsse" (Anoki, 2022) 

Musiker um jeden Preis

Für Florian Grießmann ist die Musik alles - auch, wenn es über viele Jahre nicht danach aussah, als ob er jemals davon würde leben können. Er musste sein Geld erst mal anders verdienen. "Nenn' mir einen Job, ich hab' ihn bestimmt schon mal gemacht", lacht Anoki, der als Kind einer alleinerziehenden Mutter schon im Teenageralter zu jobben anfing. "Ich habe Kinokarten abgerissen, habe Pflanzen in einer Großgärtnerei eingepflanzt. Ich habe LKWs beladen, an einem Fabrikband Stoßdämpfer poliert, in einer Brauerei Bier gezapft. Ich habe drei Jahre im Notariat gearbeitet, auch mal eine Radiosendung moderiert und Werbetexte geschrieben." Die einzige Konstante: seine Musik. Als Autodidakt brachte er sich selbst das Gitarrespielen bei. Seine Songs schreibt er selbst.

Geschichte und Zukunft: Womit sich Anokis Songs befassen 

"Als Anoki arbeite ich sehr viele Sachen auf, die mich schon lange beschäftigen. Meine eigene Geschichte, wo komme ich her. Aber auch Fragen danach, wie die Zukunft trotz aller düsterer Prognosen aussehen kann", erzählt Florian Grießmann. "Für mich ist Musik nicht nur Unterhaltung, sondern hat den Anspruch, Dinge zu besprechen, die mir wichtig sind."

"Egal wer sie waren.
Deine Vorfahren schickten meine auf Plantagen. (…)
Ich seh' ihr geht' mir aus dem Weg,
Tut so als könnt' ihr mich nicht sehn'
Und ich spüre es wird kalt in meiner Stadt."

Aus: "Schüsse" (Anoki, 2022)

Ein verhängnisvoller Studentenjob

Ausgerechnet sein Migrationshintergrund machte Anoki zu einem bekannten Werbegesicht. Als Student nimmt er an einem Shooting teil. Für drei Stunden Posieren erhält er 60 Euro: "Das war damals viel Geld für mich. Und es ging alles sehr, sehr schnell." Es hieß: "So hier, unterschreib mal, wird schon cool", erzählt er.

Großes Werbeplakat einer Bank zeigt einen jungen Mann mit Dreitagebart und Wollmütze.
Eine von unzähligen Werbungen mit Florian Grießmanns Porträt, hier in HamburgBild: Privat

Auf dem Bild, das sein Gesicht inzwischen berühmt gemacht hat, lächelt Grießmann in die Kamera. Es ist das warme, authentische Lachen eines jungen Mannes mit dunklem Teint. Auf dem Foto trägt er eine Bomberjacke und eine Wollmütze. Das Kleingedruckte liest der Anfang 20-Jährige nicht. Auch ahnt er nicht, dass sein Porträt in einem Pool von sogenannten Stockfotos landen soll - das sind lizenzfreie Bilder, die von Unternehmen für ihre Zwecke verwendet werden können. Florian Grießmann hat alle Bildrechte an seinem Porträt abgetreten.

Große Unternehmen werben mit Grießmanns Porträt

Lange Zeit passiert nichts. Dann meldet sich eine Freundin: Sie habe ihn in den sozialen Medien in einer Werbung entdeckt. "Das war für Zahnersatz. Ich fand das damals witzig, weil ich sehr schiefe Zähne habe - wir hatten früher kein Geld für einen Kieferorthopäden", erinnert sich Grießmann. Doch kurz darauf wirbt auch ein großes Telekommunikationsunternehmen mit dem sympathisch wirkenden jungen Mann. "Und dann ging es los: Plötzlich war ich auf riesigen Plakatkampagnen zu sehen. Für Versicherungen, für große Autohersteller und für Elektronikkonzerne."

Das Foto an sich finde er schon okay, sagt er. Dass er aber nicht gefragt werde, wofür sein Bild herhalten soll und dass er kein weiteres Honorar dafür bekommt, macht den 29-Jährigen rasend. "Unzählige Freundinnen und Freunde haben mir Fotos von Werbungen geschickt. Auch Bands, mit denen ich zusammenarbeite." Auch eine Bank nutze das Bild, was ihm ganz schön an die Substanz gegangen sei. Als Musiker stehe er mit seinen Texten für eine andere, nicht-kapitalistische Sicht auf die Dinge.

Problematischer Begriff "Urban Man" 

"Mich ärgert generell, dass es riesige Brands von milliardenschweren Konzernen sind. Die werben, um ihren Umsatz weiter zu vermehren. Warum müssen die auf Stockfotos zurückgreifen?" Anoki versuchte bereits, mit Anwälten dagegen vorzugehen - bislang erfolglos. Immer wieder wird ihm zugesichert, dass das Foto kulanterweise entfernt werden würde. Doch gibt man bei einer international genutzten Bildagentur das Stichwort "Urban Man" ein, erscheint Grießmann noch immer auf Platz 1 von rund 500.000 Suchergebnissen.

Ein weiterer Klick verrät: Für ein Foto in kleiner Auflösung zahlt der Kunde 50, für ein großes 475 Euro. Anders als Anoki verdient die Bildagentur also weiterhin an seinem Porträt. Auch der Begriff "Urban Man" regt ihn auf: "Ich fühle mich nicht wie ein 'Urban Man', sondern ich bin halt einfach ich und ich mache meine Musik - dafür stehe ich." Die Bezeichnung "urban" wurde einst von der US-amerikanischen Musikindustrie genutzt, in der Annahme "Black Music" wie R'n'B, Rap und Soul lasse sich als "Urban Music" besser verkaufen. Ein Image mit rassistischer Konnotation: "Urban" steht für Migrationshintergrund, für Musik von nicht-weißen Menschen.

Urenkel einer Sklavin

Vor drei Jahren beschloss Anoki, nicht mehr gegen sein Anderssein anzukämpfen, sondern sich damit zu identifizieren. "Das hat es leichter gemacht", erzählt er der DW. Der Musiker taucht in seine Familiengeschichte ein, erforscht seine Wurzeln. Eine seiner Urgroßmütter stammte aus Ghana.  Während der Kolonialzeit wurde sie als Sklavin nach Indonesien verkauft, wo sie vermutlich auf Teeplantagen arbeitete. Sein Vater wurde in Jakarta geboren und wanderte mit seinen Eltern in die Niederlande aus, der einstigen Kolonialmacht Indonesiens. Hier lernte der Vater Grießmanns Mutter kennen, eine Deutsche. Doch die Beziehung war nicht von Dauer und die Mutter zog mit dem damals Dreijährigen nach Deutschland.

Junger Mann mit Cappi und Bart steht in einem Hinterhof bei Nacht. Hinter ihm leuchtet ein Scheinwerfer.
Anoki hielt sich jahrelang mit Jobs über Wasser. 2023 erscheint sein DebütalbumBild: Janos Götze

"Ich hab beim Schützenfest das Maul gehalten, die Tür dir immer aufgehalten.
War höflicher als ihr, nur dass ihr mich akzeptiert.

Habe die Wut in mir in Zaum gehalten, dich angelacht, mich rausgehalten.
Jeden Tag und noch immer sagt ihr mir: Du bist nicht wie wir.

Ich stell' mir die gleiche Frage seit so vielen Jahrn':
Wenn ich nicht hier her gehör' wohin gehör ich dann?"

Jetzt, mit 29 Jahren, ist Florian Grießmann, der heute in Berlin wohnt, angekommen: Gerade produziert er seine erste Platte, er hat einen Vertrag bei BMG bekommen. Er hat bereits Bands wie "OK KID" auf Tour begleitet - und im nächsten Jahr steht dann mit dem Debütalbum eine eigene Tour an.

"Ich seh' die Farben nicht mehr grau und weiß
Sonnenstrahlen auf der Haut
In mir auf einmal diese Leichtigkeit
Ich breite meine Arme aus

Is' OK, is' OK, is' OK
Lass es geh'n lass es geh'n, lass es geh'n 
(…)

Es ist OK und es tut mal weh
Es ist OK, wenn das die Anderen nicht versteh'n"

Aus: "Is Ok", Anoki 2021