Fehlinvestition oder Wirtschaftsimpuls?
11. März 2014Es klingt verrückt: Je schlechter die brasilianische Nationalmannschaft bei der WM spielt, desto besser könnte die Wirtschaft des Landes dastehen. Grund dafür ist das Gesetz "Lei Geral da Copa", das die brasilianische Regierung extra für die Fußball-Weltmeisterschaft auf den Weg gebracht hat. Unter anderem sieht es vor, dass die Regierungen der Bundesstaaten einen Feiertag ausrufen dürfen, wenn dort ein WM-Spiel stattfindet. Zusätzlich darf die Bundesregierung in Brasília jeden Spieltag der Seleção, also des brasilianischen Teams, zum nationalen Feiertag erklären.
Feiertage bremsen Produktion
Noch steht nicht fest, zu wie vielen der 64 WM-Spiele es jeweils einen extra Feiertag geben wird. Und wie viele davon im ganzen Land gelten, kommt eben darauf an, wie gut die Nationalmannschaft abschneidet: Kommt Brasilien ins Finale, würde das Team insgesamt sieben Spiele bestreiten, was landesweit sieben zusätzliche Feiertage zur Folge haben könnte. Der Verband für Güter, Dienstleistungen und Tourismus von São Paulo (FecomercioSP) hat darauf hingewiesen, dass Brasilien dadurch Produktionsausfälle drohen, die sich auf einen volkswirtschaftlichen Schaden von 30 Milliarden Real (10 Mrd. Euro) belaufen könnten.
Samy Dana vom renommierten Wirtschaftsinstitut FGV (Fundação Getúlio Vargas) hält diese Schätzung nicht für abwegig: "Entweder die Betriebe stoppen die Arbeit, oder sie zahlen den Feiertagszuschlag." Der beträgt in Brasilien satte 137 Prozent. Mitarbeiter bekämen dann also weit mehr als doppelt so viel Lohn, wie an einem normalen Werktag. Ökonom Dana glaubt nicht, dass die zusätzlichen Einnahmen der Gastro- und Hotelbranche an den Spieltagen den Verlust aufwiegen können: "Auch wenn die eine oder andere Branche profitiert, wird sich die WM aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht rechnen."
Unterschiedliche Schätzungen
Andere Experten andere Erwartungen: Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young errechnete vor vier Jahren, dass es in Brasilien einen Wachstumsschub von 142 Milliarden Real (47 Mrd. Euro) durch die Weltmeisterschaft geben könne. Die brasilianische Bank Itaú Unibanco sagte Mitte 2011 sogar ein WM-generiertes Plus von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) voraus - und zwar für jedes der drei Jahre bis zur Weltmeisterschaft. Allein 2012 hätten auf diese Weise ein Plus von 66 Milliarden Real (15 Mrd. Euro) zusammenkommen müssen. Das BIP wuchs in dem Jahr aber nur um 0.9 Prozent. Wenn die ursprüngliche Itaú-Berechnung stimmt, wäre also 2012 das brasilianische BIP ohne den WM-Effekt sogar um 0,6 Prozent geschrumpft.
Doch inzwischen beziffern die Itaú-Ökonomen den WM-Effekt nur noch auf ein Prozent des jährlichen Wirtschaftswachstums. Grund dafür ist, dass zahlreiche Bauprojekte nicht umgesetzt wurden. Zwar zeigt der Investitions-Tacho der brasilianischen Regierung jetzt, drei Monate vor dem Anpfiff der Fußball-Weltmeisterschaft am 12. Juni, annähernd 7,5 Milliarden Real (2,5 Mrd. Euro) an. Doch für den Konjunktureffekt ist mitentscheidend, wie das Geld verwendet wurde. Und da sieht die Bilanz schlecht aus, meint José Matias-Pereira, Professor für öffentliche Verwaltung an der Universität von Brasília: "Die gesellschaftlich wichtigen Projekte, die die Wirtschaft wirklich angeschoben hätten, sind nicht umgesetzt worden."
Mehr als die Hälfte des Geldes ist nämlich in den Bau der Stadien geflossen. Allein das Nationalstadion in der Hauptstadt hat mehr als 400 Millionen Euro gekostet. Zwar hat das zahlreichen Menschen über mehrere Jahre einen Job und gutes Einkommen beschert - dank Verzögerungen sogar länger und mehr als gedacht. Doch - einmal ausgegeben - könnte die Investition verpuffen, weil die Nachnutzung ungewiss ist: Es gibt in Brasília nämlich keinen einzigen Fußballverein, der in einer der nationalen Ligen spielt. Um die Stadien in Manaus und Cuiabá steht es kaum besser.
"Wären vor allem die Mobilitätsprojekte umgesetzt worden, würde sich das viel stärker im Wirtschaftswachstum widerspiegeln", meint Matias-Pereira. Doch viele Bauvorhaben zur Verbesserung der Infrastruktur sind einfach gestrichen worden. In Porto Alegre beispielsweise war eigentlich vorgesehen, das innerstädtische Stadion mit neuen, exklusiven Busspuren an den Flughafen anzubinden. Zehn Bauabschnitte waren für die Schnellpisten geplant - kein einziger wurde in Angriff genommen.
Verluste in vielen Ländern
Widerlegt Brasilien also die These, dass eine WM ein Wirtschafts-Motor ist? Auch wenn schon jetzt klar ist, dass 2014 die teuerste WM aller Zeiten stattfindet, ist Brasilien nicht das einzige Land, in dem die Wachstumseffekte einer solchen Sportgroßveranstaltung überschätzt wurden.
Der Sportwissenschaftler Stefan Szymanski von der Universität Michigan hat die konjunkturellen Auswirkungen von zurückliegenden Fußball-Weltmeisterschaften untersucht und kommt zu dem Schluss, dass die Gastgeberländer lediglich in den Jahren vor dem Turnier einen kleinen Nutzen von weniger als einem Viertelprozent des Bruttoinlandsprodukts erfahren haben. Im WM-Jahr selbst habe das Mega-Event sogar mit einem Konjunkturminus von 2,5 Prozent zu Buche geschlagen.
Szymanskis Resümee lautet, man müsse eben hoffen, dass der Image-Gewinn den monetären Verlust aufwiegt. Doch selbst da sind viele Brasilianer inzwischen skeptisch. Sie fürchten, dass die schlechte Organisation und die prekäre Infrastruktur das Bild sogar noch verschlechtern könnte, das die Welt von Brasilien hat. Kein Wunder: Erst drei der aktuell 45 geplanten Nahverkehrsvorhaben und elf von 30 Flughafenprojekten sind bisher umgesetzt. Doch um einen Imageschaden abzuwenden, hat die Regierung vorgesorgt: Die Idee hinter den vielen Feiertagen ist nämlich genau die, dass die Werktätigen nicht den öffentlichen Nahverkehr verstopfen, wenn die Fans zu den WM-Spielen fahren wollen.