Wolff: Euro-Krise geht weiter
23. Oktober 2014Deutsche Welle: Die Deutschen haben ihre Wachstumsprognosen gesenkt. Die Wirtschaft in Europa schwächelt. Was wäre Ihrer Meinung nach die richtige Wirtschaftspolitik für die Europäische Union?
Guntram Wolff: Die Wachstumszahlen sind wirklich schwach geworden. Insbesondere auch Deutschland, das ja eigentlich die Lokomotive Europas sein sollte, wächst nur noch sehr schwach und kann deswegen auch den Rest Europas nicht mehr hinter sich herziehen. Ich denke, eine gute Wirtschaftspolitik sollte damit anfangen, dass man deutsches Wachstum erhöht. Deutschland muss mehr wachsen, und das Wachstum muss aus heimischen Wachstumskräften kommen.
Schon jetzt hat Deutschland mit einem Leistungsbilanzüberschuss - einem Handelsüberschuss von sieben Prozent vom Bruttoinlandsprodukt - sehr viele Exporte und relativ wenige Importe. Man sollte daran arbeiten, die Nachfrage in Deutschland zu stärken und damit auch das Wachstum in Deutschland zu stärken. Darüber hinaus ist es natürlich zentral, dass auch die anderen Länder Europas aus ihrer Misere herauskommen.
Dazu bedarf es in einigen Ländern immer noch sehr massiver Strukturreformen. Man sieht, in einigen Ländern wurden diese Reformen gemacht, und sie haben auch zu Erfolgen geführt, zum Beispiel in Spanien. Nichtsdestotrotz werden Strukturreformen allein kaum reichen. Ohne einen Nachfrageschub von außen werden diese Reformen kurzfristig kaum zu den erwünschten Erfolgen führen.
Die Deutschen plädieren für`s Sparen, und die Franzosen wollen investieren. Was halten Sie für sinnvoller?
Ökonomisch ist es ganz klar, dass in einem Moment, in dem die Zinsen bei Null sind, Sparen keinen Sinn macht, sondern man eigentlich investieren muss und Geld am Kapitalmarkt aufnehmen sollte. Insofern wäre es für die deutsche Bundesregierung jetzt angemessen, in der Tat die schwarze Null aufzugeben und sich durchaus zu verschulden, um in sinnvolle Projekte zu investieren.
Das Problem ist natürlich im politischen Prozess immer, dass zusätzliche Ressourcen oft nicht investiv genutzt werden, sondern eben für politische Projekte, die weniger produktiv sind. Deswegen muss man sehr genau im politischen System daran arbeiten, dass diese zusätzlichen Einnahmen eben nicht für eine höhere Rente, sondern für die Zukunft genutzt werden.
Das heißt, Sie sind dann eher für den französischen Weg?
Ich würde am französischem Weg kritisieren, dass die Franzosen ihre eigenen Probleme nicht genug angehen. Ich glaube, die Franzosen haben insofern recht, dass Deutschland mehr investieren soll. Aber sie haben eben nicht recht bei ihrer zaghaften eigenen Wirtschaftspolitik. Wir haben jetzt zwei Jahre in Frankreich wirklich viel zu wenige Reformen gemacht. Es ist klar, dass die französischen Unternehmen unter den hohen Arbeitskosten und zu hohen Steuern leiden, dass der Staat viel zu interventionistisch ist in der Wirtschaft, und an all diesen Themen muss man in Frankreich wirklich massiv arbeiten.
Der französische Präsident Francois Hollande hat das schwache Wachstum und einen unklaren Kurs bei Investitionen und Sparplänen in der EU kritisiert. Das sorge für Zweifel an den Finanzmärkten. Wie beurteilen Sie die Lage dort?
Die Finanzmärkte sind in der Tat wieder nervös geworden, was Europa angeht. Die Aktienmärkte waren volatil. Ich denke, man stellt sich die Frage von außen, inwieweit dieses Projekt als Gesamtprojekt wirklich funktioniert bei all diesen unterschiedlichen Vorstellungen. Ich glaube schon, dass wir unsere Zusammenarbeit verbessern müssen und geschlossener auftreten müssen, um eben auch gerade in den internationalen Finanzmärkten wieder glaubwürdiger zu sein.
Die Franzosen erwarten für ihren Staatshaushalt ein Defizit von 4,3 Prozent. Damit hätten sie die zulässige Obergrenze der Europäischen Union von drei Prozent klar überschritten und riskieren eine Haushaltsrüge aus Brüssel und Sanktionen. Wie könnten die Franzosen dem entgehen?
Die Franzosen können dem nur entgehen, indem sie zum einen mehr machen in der Wirtschaftspolitik, also wesentlich mehr Strukturreformen und indem sie zum anderen doch noch einmal nachlegen beim Haushalt. Ich glaube, das einfach so zu lassen und die Defizite nicht zu verändern im Vergleich zum letzten Jahr, das wird nicht akzeptiert werden.
Der EU-Gipfel hier in Brüssel hat die wirtschaftlichen Fragen auf der Tagesordnung. Welche Ergebnisse erwarten Sie?
Ich fürchte, es wird noch nicht so wahnsinnig viel dabei herumkommen. Noch sind die unterschiedlichen Meinungen sehr groß, und noch ist vielleicht auch der Leidensdruck nicht groß genug. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen oft erst dann gefällt werden, wenn man wirklich mit dem Rücken zur Wand steht, und wir sind wahrscheinlich noch nicht an dem Zeitpunkt.
Inwieweit ist der Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich zu lösen?
Der Konflikt ist auf jeden Fall zu lösen. Es bedarf guten Willens. Es bedarf auf beiden Seiten auch eines Umsteuerns. Ich denke, sowohl auf deutscher Seite wie auf französischer Seite brauchen wir eine andere Wirtschaftspolitik. Letztendlich geht es da um den politischen Willen. Es geht auch um Überzeugungsarbeit gegenüber der Bevölkerung.
Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ist es ja so, dass die Bevölkerung jeweils eine eigene Narrative, eine eigene Vorstellung hat von den Problemen. In beiden Ländern muss man also gerade auch mit der Öffentlichkeit arbeiten und ihr klar machen, dass eine gemeinsame Währungsunion eben auch gemeinsames Handeln erfordert und man nicht nur mit dem Finger auf den anderen zeigen kann.
Wie lange wird das dauern?
Das werden wir sehen. Ich denke, wir werden noch einige Jahre Krisenarbeit vor uns haben.
Aber Sie meinen, die Währungsunion wird weiterhin bestehen bleiben?
Das ist eine schwierige Frage. Das hängt von den Entscheidungen ab, die gefällt werden.
Guntram Wolff ist seit Juni 2013 Direktor der europäischen Denkfabrik "Bruegel" in Brüssel. Der studierte Ökonom lehrte an mehreren Universitäten und hat für die Europäische Kommission gearbeitet. Wolff ist Fachmann für die Wirtschafts- und Währungspolitik der EU.