Streit um Sparpolitik
21. Oktober 2014Das ohnehin magere Wachstum in Europa schwächt sich schon wieder ab. Die Angst vor einer neuen Rezession kehrt zurück. Dabei hatten viele gehofft, die Krise sei nun endgültig überwunden. Jetzt kehrt die alte Diskussion über die richtige Politik zurück. Auf der einen Seite stehen Länder wie Frankreich oder Italien. Sie wollen weniger sparen und das Wachstum mit gezielten staatlichen Investitionen ankurbeln. Auf der anderen Seite: Deutschland, aber auch Großbritannien, die Niederlande oder Finnland. Sie finden, der Weg aus der Krise führe vor allem über ausgeglichene Haushalte und mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Politischer Extremismus als Druckmittel
In der gegenwärtigen Situation müsse Europa "in Wachstum investieren", so der sozialdemokratische italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, "und sich nicht nur auf Härte und Sparsamkeit konzentrieren". Die bisherige Sparpolitik habe schließlich keine Lösung gebracht. Und Frankreichs Staatspräsident François Hollande, ebenfalls Sozialist, pflichtet ihm bei: "Es gibt überall Unsicherheit. Die Konjunktur in den USA erlahmt, Europa hat noch keinen Weg zurück zum Wachstum gefunden, und Wachstum ist, wofür ich kämpfe."
Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron warnte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sogar vor einer Rezession wie in den 1930er Jahren: "Wir sollten aus diesen Fehlern lernen. Die politischen Konsequenzen damals waren desaströs" - eine Anspielung auf den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Heute hat Macron dagegen Frankreich selbst im Blick. Dort wirbt Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National mit einfachen Rezepten der Abschottung und der Fremdenfeindlichkeit.
Frankreich ist erstarrt
Eigentlich müsste Frankreich nach den Regeln des europäischen Stabilitätspakts deutlich mehr sparen, um das Haushaltsdefizit endlich unter die erlaubte Grenze von drei Prozent zu bringen; heute sind es weit über vier Prozent. Die EU-Kommission könnte das Land theoretisch sogar zu Einsparungen zwingen. Doch schon 2013 ist sie Frankreich entgegengekommen und hat ihm zwei Jahre mehr Zeit für die Anpassung gegeben. Jetzt fordert die französische Regierung einen weiteren Zweijahresaufschub.
Guntram Wolff, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, ist zwar durchaus dafür, die europäische Sparpolitik etwas zu lockern, "denn wir leben immer noch in außergewöhnlichen Zeiten". Dafür nötige neue Schulden seien wegen der niedrigen Zinsen auch verkraftbar. Aber diesen Weg sollten nach seiner Meinung nur Staaten gehen, die den finanziellen Spielraum dafür hätten, so wie Deutschland. Frankreich dagegen habe "viel Vertrauen verspielt", weil es in der Zeit des Aufschubs "relativ wenig geleistet hat". Zeige sich die Kommission erneut kompromissbereit, müsse sie "Flexibilität bei der Auslegung der Regeln mit harten Auflagen kombinieren".
Schäuble soll die schwarze Null vergessen
Doch auch wenn nur wirtschaftlich und haushaltspolitisch stabile Staaten mehr Geld ausgeben, stellt sich immer noch die Frage, wofür sie es ausgeben. Fließt es in den Konsum, erzeugt der Staat oft nur ein Strohfeuer ohne echte Wirkung. Das hat auch Frankreich 2009/10 so erlebt. Guntram Wolff unterscheidet: "Wenn ich eine Brücke repariere, ist das eine gute Investition, weil ich dann in den nächsten Jahren weniger Stoßdämpfer auswechseln muss und man weniger Staus hat. Wenn ich nur die Rente erhöhe, ist das nicht zukunftsweisend, sondern ein Rückschritt."
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble knausert aber selbst bei nachhaltigen Investitionen. Wenn es nach ihm geht, soll der Bundeshaushalt 2015 zum ersten Mal seit Jahrzehnten ohne neue Schulden auskommen. Mit der sogenannten schwarzen Null, dem ausgeglichenen Haushalt, will die Bundesregierung auch ein Zeichen setzen, dass Europa trotz widriger Umstände am Konsolidierungskurs festhalten soll. Doch Guntram Wolff ist skeptisch: "Die schwarze Null ist nicht wichtig als Zeichen. Sie ist ökonomisch in der derzeitigen Situation auch kaum zu begründen. Sie ist eher ein politisches Ziel" - ein Ziel, das die Bundesregierung jetzt anpassen solle.
Strukturreformen sind wichtiger als Defizitzahlen
Politiker aus den nördlichen Staaten, neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch der britische Premierminister David Cameron oder der frühere schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, predigen seit Jahren, es komme längst nicht nur auf Haushaltszahlen an. Das eigentliche Thema sei die Wettbewerbsfähigkeit, und sie zu verbessern koste meist nicht einmal Geld. Auch Guntram Wolff meint: "Noch wichtiger als die Defizitregeln sind Strukturreformen." Spanien sei ein Beispiel dafür, dass Strukturreformen ein Land wirklich nach vorn gebracht haben.
Das ist allerdings ein mühevoller Weg. Und er hat meist einen hohen politischen Preis. Auch die Regierung Merkel war diesbezüglich ziemlich mutlos. Sie hat von Reformen der Vorgängerregierung profitiert, führt selbst aber Dinge wie die Mütterrente, den Mindestlohn und Frühverrentungsmöglichkeiten ein. Das kommt bei den Wählern an, die Wettbwewerbsfähigkeit leidet aber darunter. Daher ist es mit der Vorbildfunktion Deutschlands nicht besonders weit her.