"Man muss sich den Populisten entgegenstellen"
20. Dezember 2017Nach dem syrischen Pianisten Aeham Ahmad und dem türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say hat mit Wolfgang Niedecken am Dienstag (19.12.2017) erstmals ein Deutscher den Internationalen Beethovenpreis erhalten. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Niedecken ist Frontmann der Rockgruppe BAP. Er ist das einzige Mitglied, das seit der Bandgründung 1976 heute noch dabei ist. Die Kölsch-Rock-Band hat sich längst in der deutschen Rockszene weit über Köln hinaus etabliert.
In seinen Liedtexten bezieht der Komponist und Sänger häufig Position zu gesellschaftsrelevanten Themen. Schon vor 25 Jahren setzte er mit seiner Initiative "Arsch huh, Zäng ussenander" (Steh auf, mach den Mund auf) ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit. Zusammen mit der überkonfessionellen Organisation "World Vision" haben Niedecken und der Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin das Projekt "Rebound" ins Leben gerufen. Mit Berufsbildung und psychosozialer Unterstützung versucht das Projekt, von Krieg traumatisierten Kindern und ehemaligen Kindersoldaten in Afrika eine Zukunftsperspektive zu bieten.
Deutsche Welle: Herr Niedecken, Sie erhalten den diesjährigen Beethovenpreis "für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion". Der Preis wurde von Worten Ludwig van Beethovens inspiriert, die vielleicht auch seinen Lebensgrundsatz dargestellt haben: "Wohl tun, wo man kann, Freiheit über alles lieben." Was bedeutet der Preis für Sie?
Wolfgang Niedecken: Es ist die Ehre. Und das, was Sie gerade sagten: Da steht alles drin. Ich bemühe mich halt, mit meinen Liedern und Texten, dem zu entsprechen. Wenn das zunächst überhaupt gemerkt wird, dann freut man sich. Umso mehr, wenn es gewürdigt wird.
Haben Sie eine Beziehung zu der Musik Beethovens?
Eher eine laienhafte. Ich habe das Beethovenhaus besucht und habe auch Konzerte mitgekriegt. Ich kann mich kompetent über Bob Dylan, die Rolling Stones und die Beatles unterhalten, aber würde mir niemals anmaßen, kompetent über Ludwig van Beethoven zu sprechen.
Das war wohl auch keine Voraussetzung. Haben Sie sich überlegt, was Sie mit dem Preisgeld machen möchten?
Ich werde es in mein Projekt "Rebound" stecken. Der Begriff kommt aus der Basketballsprache und heißt, "eine zweite Chance bekommen". Da geht es um die Resozialisation ehemaliger Kindersoldaten. Wir haben in Uganda angefangen, als da noch Bürgerkrieg herrschte. Seit einigen Jahren geht es weiter im Ostkongo. Dort müssen entführte Kinder Furchtbares tun und furchtbar dafür leiden. In neunmonatigen Kursen lernen sie Lesen, Schreiben und Rechnen - und dann auch noch ein Handwerk, mit dem sie versuchen können, auf eigenen Beinen zu stehen. Die meisten wurden von ihren Familien verstoßen. Sie müssen irgendwie wieder in die Gesellschaft reinkommen.
Sie reisen auch selbst nach Afrika.
Ja, ich bin da so oft es geht. Momentan geht's eben leider nicht, weil die Gegend vor den Wahlen so unglaublich gefährlich ist, dass sich keiner hin traut. Auch die Leute, die für uns arbeiten, machen das unter Lebensgefahr. Ich finde momentan keinen Flieger, mit dem ich dahin kommen könnte. Wenn man in den Ostkongo fliegt, kommt man bis nach Goma. Aber dann nach Beni oder Butembo, wo wir unsere Einrichtung haben, fliegen nur noch ab und zu mal UN-Flugzeuge. Und die kleinen Fluglinien sind unsicher. Aber ich werde, sobald es irgendwie geht, wieder da sein.
Ihr Projekt fing in Uganda an. Heute ist Uganda fast ein Musterbeispiel für Integrationspolitik.
Mit unserem Außenminister war ich noch vor zwei oder drei Monaten in Norduganda, wohin die ganzen Menschen aus dem Südsudan fliehen. Und so zynisch es sich anhört: Es ist ein wunderbarer Effekt, glaube ich, dass das, was die Leute während ihres eigenen Bürgerkriegs erlebt haben, sie aufmerksam gemacht hat für das Leid der Menschen, die auf der Flucht sind. Im Südsudan sind unglaubliche Zustände. Die Menschen fliehen in Massen. Wir waren in einem Flüchtlingslager in der Nähe der südsudanesischen Grenze. Es ist vorbildlich gemacht, es ist nicht perfekt, aber man kann den Hut davor ziehen.
Vor 25 Jahren kamen hunderttausend Menschen zu der Veranstaltung "Arsch huh, Zäng ussenander" auf dem Kölner Chlodwigplatz. "Arsch huh, Zäng ussenander" ist auch der Titel eines Songs von Ihnen. Darin singen Sie gegen Rassismus an. Heute, ein Vierteljahrhundert später, scheint der Fremdenhass in Deutschland und anderen Ländern zugenommen zu haben. Ist die gesellschaftliche Entwicklung rückläufig?
Es hat sich vieles in diesen 25 Jahren entwickelt: die Medien, die ganze politische Landschaft. Damals waren es die Bürger, die sich für Flüchtlinge einsetzten, die aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg kamen. Jeden Tag ging irgendwo ein Asylantenheim in Flammen auf. Es war beschämend, furchtbar und machte mürbe. Man fing an, sich daran zu gewöhnen.
Mittlerweile ist das in eine andere Richtung gegangen. In vielen Ländern haben Populisten die Macht übernommen - eine ganz, ganz gefährliche Entwicklung. Man muss sich den Populisten entgegenstellen. Das ist aber nur mit großen gemeinsamen Kraftanstrengungen machbar. Das Einzige, was ich mit meinen Liedern und Texten konkret wirklich tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass bei den Leuten ihre Empathie nicht komplett versiegt. Wenn jeder nur an sich denkt, ist das das Ende unserer Zivilisation.
Hat die Initiative damals etwas Konkretes bewirkt?
Damals hat sie etwas konkret bewirkt und sie bewirkt in Köln immer noch was. Die Initiative "Arsch huh" ist mittlerweile so etwas wie eine Organisation geworden. Die Leute hören darauf. Man darf das allerdings nicht inflationär betreiben. Wenn du jeden Tag mit dem Thema ankommst, hören die Leute irgendwann nicht mehr zu. Und man muss über der Parteipolitik stehen. Aber da, wo es wirklich Sinn macht, etwas zu tun, da machen wir wieder solche Aktionen.
Auch in Ihren Liedern beziehen Sie Position, etwa gegen Armut oder Atomwaffen oder gegen Rechts. Es gibt die philosophische Position nach der die Musik sich selbst genüge und einfach da ist, um gehört zu werden, um zu unterhalten. Andere sagen dagegen, Musik diene einem höheren Zweck. Wie sehen Sie das?
Genau genommen, ist Musik die Sprache Gottes - und Kunst zu missbrauchen, ist ein großes Verbrechen. Wenn man schlechte Kunst macht, um irgendetwas zu transportieren, hat man der Kunst einen Bärendienst erwiesen.
Was ist aber, wenn man gute Musik macht, um etwas zu transportieren?
Ich würde aber keine Parteiprogramme oder Gewerkschaftsbeschlüsse vertonen. Bei mir geht mal etwas wirklich durch den Kopf, und dann merke ich irgendwann: Aha, da scheint ein Lied daraus werden zu wollen! Erst dann fange ich an zu schreiben. Ich mache keine Auftragsarbeiten.
Ich lege ganz viel Wert auf Authentizität. Man kann wirklich über alles singen und alles mahnen. Jeder Gegenstand eignet sich als Sujet für ein Lied. Aber es muss halt gut werden - und darf nicht aufgesetzt sein. Wenn ich mir beispielsweise den ganze sozialistischen Realismus angucke: grauenhaft! Da haben sie die Kunst wirklich vergewaltigt.
Musik handelt immer von Gefühlen. Und wir können vielleicht erreichen, dass die Leute nicht abstumpfen, dass ihre Gefühle wach bleiben, dass sie sensibel bleiben. Dann achten sie aufeinander.
Der Toleranzgedanke entsteht also bestenfalls auf natürliche, authentische Weise. Wie ist es denn bei Ihrem Publikum? Sind das Leute, die ähnlich wie Sie denken oder befinden sich vielleicht auch Pro-Köln-, Pro-NRW oder Pegida-Anhänger darunter?
Ich glaube nicht, dass sich Pro-Köln oder Pegida-Anhänger in unsere Konzerte verirren. Sie würden so viele Sachen hören, die sie nicht hören wollen, dass sie am besten zu Hause bleiben oder sich Helene Fischer anhören. Nichts gegen Helene Fischer übrigens!
Haben Sie es mal erlebt, dass Sie durch Ihre Kunst den einen oder anderen zu einer anderen Position bewegen konnten?
Das wäre natürlich fantastisch, wenn man mir sagen würde: Wunderbare Lieder, Herr Niedecken, wir haben es uns anders überlegt! So läuft es aber nicht.
Ich rede mit vielen Menschen, aber ich bin nun wirklich kein Rattenfänger. Wer meine Sachen hören oder sehen will, der soll sie hören und seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Das ist auch das Schöne dabei. Das Denken muss man den Menschen überlassen.
Sind Sie auch angefeindet worden wegen Ihrer Musik?
Ja, natürlich, aber das gehört dazu. Die Welt ist rau und nicht widerspruchslos.
BAP war eine der frühen Gruppen, die im kölschen Dialekt gesungen hat, ohne dass es folkloristisch oder volkstümlich wurde. Waren Sie von dem Erfolg von BAP überrascht?
Wir haben es nie angestrebt, mit dem, was wir tun, Erfolg zu haben. Es hat sich aus einer Hobbyband heraus entwickelt. Irgendwann wollten das dann mehr Leute hören. Aber keiner konnte damit rechnen, dass das jetzt vier Jahrzehnte laufen würde.
Ich singe auf Kölsch, weil ich das als meine Muttersprache bezeichne. Auch in den 1960er Jahren gab es britische Bands, die mehr oder weniger im Dialekt gesungen haben. Ich fand das auch immer eine Form von Authentizität. Und natürlich eignet sich, wenn man es mal abfällig bezeichnen würde, so eine Gossensprache viel besser für Rock 'n' Roll.
Das Gespräch führte Rick Fulker.