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Politik

"Israel wird ohne Sieg dastehen"

Dennis Stute1. August 2014

Der israelische Holocaust-Forscher Yehuda Bauer erklärt, warum er Israels Politik gegenüber der Hamas für falsch hält - und wie er es findet, wenn Deutsche Israel kritisieren.

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Yehuda Bauer
Bild: cc/Tzahy Lerner

Deutsche Welle: Wie hat der Gaza-Konflikt das Leben in Israel verändert?

Yehuda Bauer: Es hat sich sehr stark verändert, weil mehr als zwei Drittel des Landes Ziel von Raketenangriffen waren. Obwohl die Raketen keine gewaltigen Schäden angerichtet haben, wurde das ganze Land entscheidend in seinen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und anderen Aktivitäten behindert. Der Schaden war also beträchtlich, nicht in materieller Weise, aber in vieler anderer Hinsicht. Das ist ganz anders als bei früheren Anlässen.

Wie ist die Atmosphäre?

Nun, die Ansichten und Einstellungen haben sich leider polarisiert. Die gewaltige Mehrheit der israelischen Juden und eine ganze Menge israelischer Araber identifizieren sich mit der israelischen Reaktion in Gaza und das hat zu einer Stärkung von rechten Ansichten und Einstellungen geführt. Ein Teil der Opposition war und ist grundsätzlich gegen die israelische Reaktion, es gab Demonstrationen und so weiter.

Sind diese Demonstranten nicht eine winzige Minderheit?

Es gibt eine überwältigende Unterstützung für die Zerstörung der Tunnel, die offensichtlich und ganz ausdrücklich dafür gebaut worden waren, die Zivilbevölkerung auf der israelischen Seite der Grenze anzugreifen. Auch ich glaube, dass die Zerstörung der Tunnel sehr wichtig ist, und stehe voll dahinter. Aber es gibt eine wachsende Ablehnung weitergehender Schritte. Ich weiß, dass die Armeeführung Gaza nicht erobern will.

Galerie - Tunnel Gazastreifen
Bauer: "Auch ich glaube, dass die Zerstörung der Tunnel sehr wichtig ist"Bild: picture-alliance/dpa

Sie sagten, dass der Krieg die rechten Einstellungen stärkt.

Die Rechte ist gestärkt worden, kein Zweifel, aber diese Stärkung ist an Bedingungen geknüpft - sie hängt von der Situation und der israelischen Reaktion ab. Ich glaube, Israel wird am Ende ohne großen Sieg dastehen. Dann wird es Enttäuschung geben. Ein Teil dieser Enttäuschung wird die extreme Rechte stärken, weil es heißt: "Wir hatten die Gelegenheit, ohne sie zu nutzen, und jetzt sammeln sie erneut Kraft, um uns wieder anzugreifen." Ein Teil der Enttäuschung kann aber auch bewirken, dass sich die Menschen der politischen Mitte zuwenden, weil sie sagen: "Vielleicht war die ganze Herangehensweise falsch."

Warum wird es aus Ihrer Sicht keinen Sieg geben?

Die Hamas wird weiterhin Gaza kontrollieren. Die Hamas ist eine ideologische Bewegung, die offen gewalttätig, völkermörderisch und antisemitisch ist. Das Ziel der Hamas ist nicht die Verbesserung der Situation in Gaza, ihr Ziel ist es, Israel zu zerstören und alle zu töten, die nicht zum Islam übertreten. Es ist absolut unmöglich, eine solche Bewegung mit Waffengewalt zu besiegen. Das ist völliger Unsinn, tatsächlich stärkt man sie, wenn man sie nur mit militärischen Mitteln angreift. Ich bin nicht gegen militärische Mittel, aber sich nur darauf zu konzentrieren und das als Lösung zu betrachten, ist ein historischer Fehler. Eine Schwächung der Hamas-Ideologie könnte mit einer intelligenteren Politik Israels erreicht werden. Leider war die Politik Israels gegenüber der Hamas in der Vergangenheit völlig irregeleitet.

Wie sähe Ihrer Meinung nach eine intelligentere Politik aus?

Als erstes sollte Israel noch heute erklären, dass es bereit ist, mit der Hamas zu reden. Wenn Israel bereit ist, das dann auch zu tun, zerstört das bereits einige der ideologischen Wahrnehmungen der Hamas. Man schwächt sie damit ideologisch. Zweitens ist die Blockade des Gazastreifens ein grober Fehler - obwohl Israel bereits seit Jahren einen begrenzten Handel mit Gaza gestattet, einschließlich einige Zeit lang mit Zement, der dann von der Hamas für die Tunnel benutzt wurde. Wenn man seinen Gegner mit einer Wirtschaftsblockade unter Druck setzt, stärkt man damit nur die radikalen Kräfte.

Der Krieg verursacht eine furchtbare humanitäre Krise, wie wir alle wissen. Der einzige Weg, so glaube ich, dies zu überwinden, ist ein Zusammenschluss der wichtigsten Mächte, darunter vielleicht die USA, die EU, Russland, Ägypten und Saudi-Arabien, der die Palästinenser und Israelis zwingt, in ernsten Verhandlungen einen Kompromiss zu erreichen, der niemanden befriedigen mag, der uns aber ein Zusammenleben ermöglicht.

Kann es mit der Hamas Dialog geben?

Es kann momentan keinen Dialog geben. Aber es muss eine erklärte Bereitschaft geben, in den Dialog zu treten und es muss arabischsprachige Propaganda von moderaten Muslimen gegen die Hamas geben. Es gibt viele solcher Menschen, die in ihrem eigenen Interesse bereit wären, Radio, Fernsehen, Soziale Medien und so weiter zu benutzen, um nicht nur die politischen Positionen der Hamas anzugreifen, sondern auch ihre Fehlinterpretation des Islam. Bewegungen wie die Hamas und ISIS stellen in erster Linie für Muslime eine Gefahr dar.

Im Westen wendet sich die Stimmung zunehmend gegen die israelische Offensive. Glauben Sie, dass die Menschen im Westen den Konflikt verstehen?

Nein, sie haben keinerlei Vorstellung davon. Ich verfolge deutsche, französische und britische Medien, deshalb ist mir bewusst, dass sich die Stimmung ändert - und sehr verständlicherweise ändert. Aber es gibt überhaupt kein Verständnis davon, was hier tatsächlich passiert. Die Menschen im Westen haben keine Vorstellung, was die Hamas ist. Sie verstehen nicht, wer die verschiedenen Seiten sind. Es ist im Wesentlichen eine Konfrontation, wenn wir die Hamas einmal beiseitelassen, zwischen zwei Ethnien, Nationalitäten, Kulturen, Zivilisationen, die beide einen berechtigten Anspruch auf ein kleines Stück Land haben. Dann ist es aber auch eine religiöse und soziale Angelegenheit. In der israelischen Armee dienen auch Araber. Die Dinge sind nicht so einfach, wie die Menschen im Westen glauben.

Als jemand, der den Nazis knapp entkommen ist und der zu den wichtigsten Holocaust-Forschern gehört: Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Deutsche Israel kritisieren?

Wenn meine Freunde in Deutschland die israelische Politik kritisieren, tun sie das weniger harsch als ich selbst. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn ein Deutscher, ein anderer Europäer oder ein Amerikaner Israel kritisiert. Tatsächlich hilft uns das. Aber wenn Sie Kritik üben, nicht um eine bestimmte Politik zu verändern, sondern um Israel zu beseitigen; wenn Sie glauben, dass Israel ein Fehler war und Fehler korrigiert werden müssen: Dann sind Sie antisemitisch und völkermörderisch geworden.

Sie sprachen von falschen Vorstellungen in den europäischen Medien. Falsche Annahmen führen meist zu falschen Schlussfolgerungen. Was sind typische Trugschlüsse?

Nun, es gibt eigentlich keine wirklichen Schlussfolgerungen, außer der Forderung nach Frieden zwischen den beiden Seiten. Wenn ich die "Welt", die "Zeit", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" oder so etwas lese, ist die einzige Idee: "Wir wollen Frieden." Das ist sehr nett, wissen Sie (lacht) - anders als die Frage, wie Frieden zu erreichen ist. Es ist gibt viel Gerede. Und in meinem Alter habe ich genug von Gerede.

Yehuda Bauer ist emeritierter Professor für Geschichte und Holocaust-Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem und wissenschaftlicher Berater der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Er ist Autor zahlreicher Werke über die Judenverfolgung. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Israel-Preis, der höchsten Auszeichnung des Staates, und mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt. Im kommenden Jahr erscheint sein Buch "Das widerspenstige Volk", ein gegenwartsbezogener Blick auf die gesamte jüdische Geschichte. Yehuda Bauer wurde 1926 in Prag geboren, seine Familie wanderte 1939 nach Israel aus.

Das Gespräch führte Dennis Stute.