EX-General sieht Abzug skeptisch
12. April 2012Deutsche Welle: Herr Ramms, die Internationale Sicherheitstruppe für Afghanistan (ISAF) will bis Ende 2014 Afghanistan verlassen haben. Die genauen Pläne sollen auf den NATO-Tagungen in diesem Frühjahr abgestimmt werden. Wie organisiert man so einen Rückzug aus militärischer Sicht? Worauf kommt es besonders an?
Egon Ramms: Zunächst einmal kommt es bei diesem Rückzug oder Abzug aus Afghanistan auf eine Bestandsaufnahme an. Was haben wir überhaupt in Afghanistan? Das ist vielen Leuten gar nicht bewusst. Wir reden zu dem Zeitpunkt dann noch über 120.000 Soldaten, wir reden über 70.000 Fahrzeuge und wir reden über 100.000 Container. Die Masse des Materials und der Soldaten, die sich in Afghanistan befinden, ist ein Problem. Vor allem, wenn man sieht, wie sich Pakistan im letzten halben Jahr mit Blick auf die Nachschubrouten oder dann Abzugsrouten verhalten hat. Die haben die Routen vom letzten November bis heute faktisch gesperrt. Man wird aber nicht alles Material per Lufttransport aus Afghanistan herausschaffen können. Das bedarf also einer sehr genauen Planung und Abstimmung. Das muss in Linie gebracht werden mit den Provinzen, die schon in die Hände der Afghanen übergeben worden sind oder noch übergeben werden. Das ist eine eigene Operation, die militärisch durchgeplant werden und zwischen allen Ländern koordiniert werden muss.
Eine große logistische Herausforderung also, die ja auch nach Schätzungen mehrere Milliarden Euro kosten wird. Aber es ist auch eine Herausforderung, was die Sicherheit angeht. Wie werden die Truppen, die abziehen, gesichert? Wenn die USA ihre Kampftruppen abziehen, wer ist dann noch da, um für Sicherheit zu sorgen?
Das Konzept sieht vor, dass diese Aufgaben nach der Übergabe der Provinzen von afghanischen Sicherheitskräften übernommen werden. 350.000 Sicherheitskräfte sind inzwischen ausgebildet. Ob sie alle gleich gut ausgebildet sind, muss man sicherlich hinterfragen. Es gibt da unterschiedliche Qualitäten. Letztendlich muss es aber darauf hinaus laufen, dass die Aufgaben, die jetzt von der ISAF, von den Alliierten, von 49 Ländern wahrgenommen werden, dann von den afghanischen Kräften übernommen werden. Dann müssen die Afghanen in dieser Abzugsphase, die immer eine empfindliche Phase ist, für Sicherheit sorgen.
Können Ihrer Einschätzung nach die afghanischen Sicherheitskräfte diese Aufgabe tatsächlich meistern? Es gibt ja immer wieder Anschläge aus den Sicherheitskräften heraus auf die eigenen oder befreundete Streitkräfte. Der Feind im Innern?
Ich empfehle, diese Anschläge aus den Sicherheitskräften heraus nicht überzubewerten. Denn die Zahl ist im Vergleich zu der Zahl der Polizisten und Soldaten relativ niedrig, wobei man auch andere Zwischenfälle nie ausschließen kann. Ich erinnere an die Koran-Verbrennung, ich erinnere an den Amoklauf eines amerikanischen Soldaten und die Reaktionen darauf. Solche Ereignisse zerstören das Vertrauen zwischen unseren eigenen Soldaten und den afghanischen Kräften zu einem gewissen Grad. Das macht die Sache nicht einfacher. Das heißt, man muss sich selber weiter sichern beim Abzug. Aber nach außen hin, gegenüber den Taliban oder Aufständischen, muss das von Afghanen geleistet werden.
Empfinden Sie die Diskussionen über den Abzug und die Zeitpläne eigentlich als kontraproduktiv? Wenn ich Taliban wäre, würde ich doch jetzt einfach abwarten, bis alle weg sind und dann wieder losschlagen?
Das sehe ich auch so. Ich habe mehrfach schon öffentlich betont, diese Diskussion sendet falsche Botschaften in vier Richtungen: Eine falsche Botschaft an die eigenen Soldaten, eine falsche Botschaft an die eigene Bevölkerung, eine falsche Botschaft an die afghanische Bevölkerung und eine falsche Botschaft an die Taliban. Diese Situation ist schwierig, weil sie innenpolitisch aufgeschaukelt worden ist. Ich denke an die Reden von US-Präsident Obama. Ich denke aber auch an die Diskussion bei uns in Deutschland im Jahr 2010, als man das Abzugsdatum im Mandat festschreiben wollte. Das sind sicherlich wichtige innenpolitische Argumente, aber diese Innenpolitik hilft in Afghanistan nicht weiter.
In den USA ist Wahlkampf und der amerikanische Verteidigungsminister hat im Februar schon das Jahr 2013 als Abzugstermin ins Spiel gebracht. Auch der afghanische Präsident sagt, er könne bereits im nächsten Jahr die Sicherheitsverantwortung übernehmen. Ist diese Diskussion schädlich?
Diese Diskussion hat mich sehr betroffen gemacht, weil ich glaube, dass das Datum 2014 schon zu kurz gesetzt ist und die falsche Botschaft sendet. Den Abzug bis 2013 zu realisieren, halte ich für unmöglich. Es gibt mittlerweile Experten in der NATO und der Bundeswehr, die sagen, wenn wir Ende 2014 mit der Masse der ISAF-Truppen raus sein wollen, dann hätten wir im März 2012, also vor gut einem Monat, mit dem Abzug beginnen müssen. Das haben wir nicht. Deshalb habe ich an dem Datum 2014 - allein wegen der zeitlichen Abläufe - meine Zweifel.
Wer reingeht, muss auch einen Plan haben, wie er wieder rauskommt. So lautet, glaube ich, eine alte militärische Weisheit. Gibt es einen gemeinsamen Plan?
Es hat immer nationale Pläne gegeben bei den einzelnen Nationen. Das waren aber immer mehr oder weniger Notfallpläne, die zum Zuge gekommen wären, wenn bestimmte Entwicklungen in Afghanistan noch schlechter gelaufen wären, als sie tatsächlich gelaufen sind. Einen abgestimmten Plan in dieser Richtung hat es nicht gegeben, sondern die Nationen haben für sich und alleine geplant. Das ist die große Herausforderung jetzt, mit Blick auf das Abzugsdatum 2014, dass wir jetzt wirklich einen NATO-Plan brauchen.
General a.D. Egon Ramms war bis zu seinem Ruhestand im September 2010 Kommandeur des "Allied Joint Force Command" in Brunssum, Niederlande. Der Bundeswehrgeneral war einer der ranghöchsten Befehlshaber in der NATO und von 2007 bis 2010 für die gesamte Operation der internationalen Truppen in Afghanistan verantwortlich.