Zentralafrika auf der Suche nach Versöhnung
4. Mai 2015Gerechtigkeit und Versöhnung, Frieden und Sicherheit, gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit, Entwicklung und Wiederaufbau - lang ist die Liste der Themen, die bei dem nationalen Versöhnungsforum behandelt werden sollen. Seit Montag (04.05.2015) diskutieren in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui knapp 700 Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft. Die einwöchige Konferenz gilt als Meilenstein auf dem Weg zu nationalen Wahlen, die im August stattfinden und das Land aus der Krise führen sollen. Auch der Entwurf für eine neue Verfassung steht auf der Agenda.
"Es geht darum, die schlechte Regierungsführung, die blutigen Verbrechen, die Plünderungen und die Demütigung zu vergeben - und die Bedingungen dafür auszuhandeln", fasst Antoinette Montaigne, Beraterin und Sprecherin der Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza, das Ziel des Treffens zusammen.
Boykottiert die Séléka das Treffen?
Im März 2013 war in der Zentralafrikanischen Republik ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Nach einem Putsch der muslimischen Séléka-Bewegung hatten sich christlich-animistische Bürgerwehren gegründet, die Anti-Balaka. In einer regelrechten Gewaltorgie töteten beide Rebellengruppen im ganzen Land Angehörige der jeweils anderen Glaubensgruppe, darunter tausende Zivilisten. Beide Seiten werfen sich vor, Kriegsverbrechen begangen zu haben.
"Wir möchten an dem Forum teilnehmen, um unsere Rechte einzufordern", sagt Hadja Aïssatou Saada Moukadas, die Frau des Imams der Atik-Moschee in Bangui. 13 Plätze bei dem Forum sind für zivile Vertreter der Muslime reserviert. Zu wenig,klagen diese.
Die Rebellengruppe Séléka sagtelaut einem Kommuniqué, das im Internet kursiert, ihre Teilnahme an dem Forum offenbar ab. Sie moniert Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung des Forums und die Festnahme eines hochrangigen Séléka-Führers.
Kaum humanitäre Hilfe
Das Versöhnungsforum beginnt zu einer Zeit, in der angespannte Ruhe im Land herrscht. Immerhin: Die Präsenz der internationalen Truppen hat dazu geführt, dass es zumindest in Bangui inzwischen weitgehend friedlich ist. 8500 Blauhelmsoldaten sind in der Zentralafrikanischen Republik im Einsatz, unterstützt durch die französische Sangaris-Mission. Diese ist allerdings erst vor wenigen Tagen in die Schlagzeilen geraten, weil französische Soldaten zentralafrikanische Kinder vergewaltigt haben sollen.
Doch von einem stabilen Frieden ist das Land noch weit entfernt: Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen und Gewalt gegen Zivilisten. Rund 460.000 Menschen sind UN-Berichten zufolge in die Nachbarländer der Zentralafrikanischen Republik geflohen. Innerhalb des Landes befinden sich knapp 440.000 Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht. Rund 195.000 Kinder drohen laut UN in diesem Jahr zu verhungern. Vor wenigen Tagen appellierten die Vereinten Nationen an die Weltgemeinschaft, den Millionen notleidenden Menschen in der Zentralafrikanischen Republik zu helfen. Die Geberländer hätten bislang erst 76 Millionen Euro der insgesamt benötigten 550 Millionen Euro für humanitäre Hilfe bereitgestellt.
Konkrete Handlungen gefordert
David Smith glaubt, dass das Versöhnungsforum an der prekären Situation im Land wenig ändern wird. Er leitet Okapi Consulting, ein südafrikanisches Forschungs- und Beratungsunternehmen. Als Analyst und Kenner des Landes berät Smith internationale Organisationen zur Zentralafrikanischen Republik. "Zum Ende des Forums wird man wohl viele gute Absichten bekanntgeben. Die internationale Gemeinschaft wird sagen, dass das Land auf dem richtigen Weg ist." Gespräche über Frieden und Stabilität seien zwar immer gut, so Smith. "Das Problem ist aber, dass nie konkrete Handlungen folgen."
Deswegen sei es wichtig, so schnell wie möglich Wahlen im Land durchzuführen - selbst, wenn nicht garantiert werden könne, dass sie vollständig frei und fair abliefen. "Momentan haben wir eine Übergangsregierung. Und eine Übergangsregierung ist immer schwach und kann keine langfristigen Projekte auf den Weg bringen, weil sie nicht lange an der Macht ist", so Smith. Zudem brauche das Land einen konkreten Plan, wie Armee, Polizei, das Gesundheits- und das Bildungssystem aufgebaut werden könnten: "Institutionen, die jeder normal funktionierende Staat hat."
Ohne Gerechtigkeit keine Versöhnung
Andernfalls drohe sich die Geschichte zu wiederholen, so Smith. Seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 befindet sich das Land in einer steten Abfolge von Staatsstreichen, internationalen Friedensmissionen und Versöhnungsforen. Ein Leben in einem Rechtsstaat, der Frieden und Stabilität garantiert - diesen Zustand haben die meisten Zentralafrikaner noch nie erlebt.
Einen ersten konkreten Schritt hin zu Versöhnung und Gerechtigkeit ist das Land immerhin schon vor dem offiziellen Beginn des Forums gegangen: Der Nationale Übergangsrat hat vor wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet, das den Aufbau eines speziellen Strafgerichtshofs regelt. An ihm sollen zentralafrikanische und internationale Richter gemeinsam über Fälle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit urteilen. Das Problem: Der aktuelle Verfassungsentwurf könnte amtierende und ehemalige Präsidenten von der Strafverfolgung ausnehmen. Das kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI): Die neue Verfassung dürfe keinen Raum für Straffreiheit lassen, so AI. Ohne Gerechtigkeit sei keine Versöhnung möglich.
Mitarbeit: Jeff Murphy Barès (Bangui)