Zwischenhoch oder Durchbruch?
7. Mai 2003So schnell kann das gehen: Anfang April stritten Indien und Pakistan noch darum, welches der beiden Länder ein geeigneter Kandidat für den nächsten Präventivkrieg nach dem Irak-Modell sein könnte: Pakistan, weil es Massenvernichtungswaffen besitze, Terroristen unterstütze und keine richtige Demokratie sei - so erklärten jedenfalls die Inder. Dagegen hieß es aus Islamabad: Nein, Indien gehöre an den Pranger. Schließlich halte sich der Nachbar schon seit einem halben Jahrhundert nicht an UN-Resolutionen, die ein Referendum über den Status von Kaschmir fordern.
Plötzlicher Sinneswandel
Und seit einigen Tagen ist plötzlich alles anders. Indiens Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee fordert Pakistan bei einem Besuch in Srinagar zum Dialog auf. Sein pakistanischer Amtskollege Mir Zafarullah Khan Jamali telefoniert ein paar Tage später mit ihm – das hat es seit anderthalb Jahren nicht gegeben. Indien erklärt, wieder einen Botschafter nach Islamabad entsenden zu wollen und die Flugverbindungen wieder aufzunehmen. Eine pakistanische Parlamentarierdelegation will Indien in dieser Woche besuchen. Woher kommt plötzlich dieser Sinneswandel?
Ein Großteil des diplomatischen Theaters in Südasien wird für ein globales Publikum inszeniert. Für die US-Administration ist dabei die Ehrenloge reserviert. Diese Woche wird US-Vizeaußenminister Richard Armitage in Neu-Delhi und Islamabad erwartet. Sind die freundlichen Worte aus beiden Hauptstädten also vor allem amerikanischem Druck zu verdanken? Zumindest hat es den Anschein, dass es diesen Druck gibt. Er lässt sich aus einer ganzen Reihe kleiner Schritte in den vergangenen Tagen ablesen.
Zeit für politische Lösung
In Pakistan werden zum Beispiel auffällig viele El-Kaida-Kämpfer festgenommen. US-Außenminister Colin Powell hat im indischen Fernsehen relativ deutlich gesagt, dass Pakistan nicht entschlossen genug gegen die Infiltration separatistischer Kämpfer ins indisch kontrollierte Kaschmir-Tal vorgeht. Und die USA haben die seit Jahren vermutlich wichtigste Gruppe separatistischer Kämpfer in Kaschmir, die von Pakistan unterstützte Hizbul Mujahedin, auf ihre Liste terroristischer Gruppierungen gesetzt. Man kann über diese Einordnung streiten. Dennoch gilt: Die USA engagieren sich diesmal relativ früh. Sie warten nicht die große Eskalation ab.
Es gibt auch interne Faktoren, die für eine Aussöhnung sprechen: Wirtschaftliche Chancen durch verbesserte Handelsbeziehungen zum Beispiel. Erstaunlich ist, wie viel Euphorie und Optimismus die Phasen der Annäherung jedes Mal wieder auslösen können. Für Indiens Ministerpräsident Vajpayee ist die Aussöhnung offensichtlich ein persönliches Anliegen. Damit ist also durchaus denkbar, dass auf Anstoß von außen hin in Südasien eine Eigendynamik für ein friedliches Miteinander entsteht. Auch im Kaschmir-Tal selber ist die Zeit längst reif für eine politische Lösung. Die Kaschmiris sind kriegsmüde und haben nicht zufällig im Herbst eine neue Regierung gewählt, die sich dem Frieden verpflichtet hat.
Populistische Scharfmacher gefährden Frieden
Aber zugleich gibt es noch zu viele innenpolitische Kräfte in beiden Ländern, die den Konflikt am Leben halten wollen. Populistische Scharfmacher in der indischen Regierungspartei BJP (Bharatiya-Janata-Partei) haben den Terrorismus und Pakistans vermeintliche Unterstützung von Terroristen als Wahlkampf-Thema entdeckt. Pakistans Islamisten sind für Präsident Pervez Musharraf gefährlich genug, um ihn über jedes Zugeständnis an Indien gründlich nachdenken zu lassen. Das gleiche gilt für die Streitkräfte: Die einflussreiche pakistanische Armee ist natürlich daran interessiert, dass sie die hohen Rüstungs-Ausgaben weiterhin durch permanente Spannungen mit Indien rechtfertigen kann.
Auch den indischen Truppen, die in Kaschmir mit Sondervollmachten operieren, ist es ein leichtes, die Aussöhnungsbemühungen der kaschmirischen Politiker zu torpedieren. Bei dieser Konstellation ist es äußerst wahrscheinlich, dass dem Tauwetter wieder Eiszeiten folgen werden, weil Anschläge und Eskalationen nicht ausbleiben. Entscheidend bleibt damit die Kontinuität des amerikanischen Engagements - denn ein anderer Vermittler oder zumindest diplomatischer Eisbrecher ist weit und breit nicht in Sicht.