Aung San Suu Kyi: Königin der Herzen
6. November 2015Zehntausende kommen, um sie zu sehen. Aung San Suu Kyi reist seit Wochen durch Myanmar, um ihre Anhänger auf die anstehenden Parlamentswahlen (08.11.2015) einzustimmen und weitere Wähler für ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), zu mobilisieren. Sie versichert ihren Anhängern, dass sie das Land nach dem Wahlsieg führen wird, obwohl sie aufgrund einer Klausel in der Verfassung vom Präsidentenamt ausgeschlossen ist. Ihren absoluten Führungsanspruch wiederholte sie auch auf einer Pressekonferenz im Garten ihres Hauses in Yangon gegenüber der internationalen Presse: "Wer sagt, ich würde Ministerpräsidentin werden? Dann wäre ich unter dem Präsidenten, aber ich werde über ihm stehen."
Die Aussage der oft als Demokratie-Ikone bezeichneten Friedensnobelpreisträgerin ruft bei einigen westlichen Beobachtern Befremden aus. Ebenso wie das vage Wahlprogramm der NLD. Es wiederholt eine Reihe von Schlagworten - Transparenz, Herrschaft des Rechts, Demokratie -, unterbreitet aber keine konkreten politischen Vorschläge. Beharrlich verweigert die NLD auch jede Auskunft darüber, wen sie bei einem Sieg für das Präsidentenamt vorschlagen wird. Kurz vor dem Wahltermin wird immer deutlicher: das Wahlprogramm der NLD heißt einzig und allein Aung San Suu Kyi.
Mutter Suu
Für die meisten Birmanen ist das keineswegs problematisch, sondern weise. So äußerte sich zumindest eine Wählerin der NLD, die namentlich nicht genannt werden wollte, gegenüber der Deutschen Welle auf der Fahrt nach Kawhmu. Das sechzig Kilometer südwestlich von Yangon gelegene Township (aus mehreren Dörfern bestehende Gemeinde) ist Aung San Suu Kyis Wahlkreis und insofern besonders geeignet, dem besonderen Verhältnis der Birmanen zu ihrer "Mutter Suu" auf die Spur zu kommen. Denn während in der Stadt und den Minderheitenregionen zuweilen Kritik an Aung San Suu Kyi zu hören ist, ist die Begeisterung auf dem Land ungebrochen, wo immerhin etwa 70 Prozent der Birmanen leben.
Kawhmu ist ein typisch birmanisches Township der Deltaregion. Sanfte Hügel prägen die von Flussarmen durchzogene Gegend. Die Hauptstraße ist über längere Abschnitte von Schlaglöchern übersät und manchmal ganz ohne Teerdecke. Strom gibt es im Hauptort, aber nur stundenweise. Die wirtschaftliche Grundlage bildet allein die Landwirtschaft. Es gibt keine Industrie, aber seit kurzem einige kleine Gummibaumplantagen.
"Wir lieben sie"
Um überhaupt in dem Wahlkreis kandidieren zu können, musste sich Aung San Suu Kyi in der Gemeinde anmelden. Ihre Wahl fiel auf dabei ein Dorf der ethnischen Minderheit der Karen, womit sie ihre Verbundenheit mit den Minderheiten des Vielvölkerstaates Myanmar symbolisch zum Ausdruck bringen wollte. Das Dorf Wa Thin Kha liegt in einem Bambuswald. Über eine einspurige Betonstraße erreicht man das Haus von Aung San Suu Kyi. Sie ließ es 2012 dort errichten. Es ist im Gegensatz zu vielen anderen Häusern der Gegend aus Stein, geräumig, aber vom tropischen Klima angegriffen.
Im Haus ist Aung San Suu Kyi zwar gemeldet, aber es lebt dort die neunköpfige Familie von Than Than Lay. Nach Auskunft der Bewohner war die verehrte Landesmutter erst zwei Mal bei ihnen. Das habe aber keine Bedeutung. In jedem Fall werde man die NLD wählen. Auf die Frage, was sie von Aung San Suu Kyi und der Partei im Falle eines Sieges erwarten, kommt die Antwort: "Nichts. Wir wollen einfach, dass Daw Aung San Suu Kyi gewinnt. Wir lieben sie." Die Nachfrage, ob sich denn seit der Nachwahl von 2012, bei der Aung San Suu Kyi mit überragender Mehrheit für Kawhmu ins Parlament eingezogen ist, etwas geändert habe, fällte den Bewohnern erst nach geraumer Zeit ein, dass die Schule einen neuen Anstrich bekommen hat.
Kleine Projekte und großes Vertrauen
Konkreter wird da schon U Aye Thein, der Leiter des NLD-Büros und Kawhmu und Oppositioneller seit den Protesten von 1988. In Kawhmu sei ein neues Entwässerungssystem gebaut worden, was die regelmäßigen Überflutungen beendet habe. Außerdem gebe es eine mobile Bibliothek und eine Hotelfachschule. Bibliothek und Hotelfachschule werden komplett von der Daw Khin Kyi-Stiftung Aung San Suu Kyis finanziert. Die Schule bietet etwa 90 jungen Leuten eine nach Angaben des Direktors einzigartige Ausbildung. Neben dem theoretischen Unterricht können die zukünftigen Rezeptionistinnen, Köche und Zimmermädchen in Übungsräumen auch praktische Erfahrungen sammeln.
Derartige Initiativen, betont U Aye Thein, bräuchte es mehr in der Region, denn es fehle vor allem an Jobangeboten. Vielleicht könne man eine Fabrik für Reifen auf Grundlage der Gummibäume bauen. Konkrete Pläne der NLD kenne er aber nicht. Zugleich ist er überzeugt, dass Aung San Suu Kyi einen Plan habe. "Wir vertrauen ihr."
Tiefer Graben zwischen NLD und Regierungslager
Dem großen Vertrauen in die politische Führerin der NLD steht ein tiefes Misstrauen gegen die regierende USDP und dem Militär gegenüber. Natürlich spreche er mit dem Kandidaten der USDP. In einem kleinen Ort wie Kawhmu begegne man sich zwangsläufig im Teehaus. "Aber es gibt nicht einen einzigen Punkt, bei dem wir übereinstimmen." U Aye Thein ist auch überzeugt, dass die Wahlen manipuliert würden. Wieso er dennoch fest glaubt, dass die NLD 80 Prozent der Stimmen in Kawhmu gewinnen wird, bleibt eine offene Frage.
Für U Aye Thein wie für die meisten Einwohner steht fest, dass die NLD im März 2016 - so lange dauert es voraussichtlich, bis der Übergang der Regierungsverantwortung nach den Wahlen abgeschlossen ist - das Land regieren wird. Und Aung San Suu Kyi wird an der Spitze der Regierung stehen. "Dann werden wir einfach glücklich sein." Ein Satz, der in Kawhmu mehrfach geäußert wurde.