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Neues Wahlrecht - was ändert sich bei der Bundestagswahl?

18. Dezember 2024

Im Februar wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt – dieses Mal mit weniger Abgeordneten. Das Parlament hat das Wahlrecht nach langem Ringen reformiert. Das wird Folgen haben - wohl auch schon im Wahlkampf.

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Umbau des Plenarsaals im Deutschen Bundestag, einige blaue Abgeordnetensessel liegen abmontiert auf dem Boden
Mehr als 100 Sitze im Bundestag können nach der nächsten Wahl demontiert werden, ArchivfotoBild: Florian Gaertner/photothek/picture alliance

Nicht alles ist neu bei der anstehenden Bundestagswahl im kommenden Februar: Der Wahlzettel bei der Bundestagswahl wird aussehen wie immer. Jede Wählerin und jeder Wähler hat zwei Stimmen. Eine für die Kandidatin, oder den Kandidaten aus den Wahlkreisen. Die zweite Stimme für eine Partei. Die sogenannte Zweitstimme war schon immer die wichtigere. Doch nach der Wahlrechtsreform, die kürzlich beschlossen und vom höchsten deutschen Gericht - dem Bundesverfassungsgericht - gebilligt wurde, wird die Zweitstimme noch wichtiger.

Von der Bedeutung her ist die Zweitstimme also die erste Wahl, denn mit ihr wird eine Parteienliste gewählt. Wer darauf in welcher Reihenfolge steht, legen die Parteien in den Bundesländern fest. Mit der Erststimme wählt man einen Kandidaten oder eine Kandidatin einer bestimmten Partei aus den insgesamt 299 Wahlkreisen. So soll sichergestellt werden, dass alle Regionen Deutschlands auch im Parlament vertreten sind. Neu ist, dass die Zahl der Abgeordneten im Deutschen Bundestag gesetzlich beschränkt wird. 

Die Zeiten, in denen das Parlament fast nach jeder Wahl größer wurde, sind vorbei. Nach zähem Ringen ist der letzten Regierung aus SPD, Grünen und FDP eine Reform des Wahlrechts gelungen. Lange bevor die Koalition auseinanderbrach. Statt wie derzeit 733 Parlamentarier, wird der nächste Bundestag nur noch 630 Abgeordnete haben. Viele Regierungen hatten sich zuvor die Zähne an einer Reform des Wahlrechts ausgebissen. 

Politikwissenschaftler Jörg Siegmund von der Akademie für Politische Bildung Tutzing hält die Wahlrechtsreform für gelungen. Die Zweitstimme werde künftig noch wichtiger. Die Erststimme hingegen verliere an Bedeutung, erklärt er im DW-Interview: "Im Kern geht es um die Stärkung des Charakters als Verhältniswahl, wodurch die Bedeutung der Personenwahl mit der Erststimme, mit der über die Vergabe der Direktmandate in den Wahlkreisen entschieden wird, sinkt."

Der deutsche Bundestag ist das größte frei gewählte nationale Parlament weltweit. 733 Abgeordnete hat er derzeit. In der 15. Legislaturperiode - von 2002 bis 2005 - waren es noch 603 Abgeordnete. In den darauffolgenden vier Jahren schon 614. Deutschland sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, es habe ein Blähparlament. Nur der nicht demokratisch gewählte Nationale Volkskongress in Peking ist noch größer. Dort sitzen rund 3000 Delegierte. Sie repräsentieren jedoch rund 1,4 Milliarden Menschen und nicht 84 Millionen wie in Deutschland.

Spar- statt "Blähparlament"

Der Bundesrechnungshof hat ermittelt, dass der Deutsche Bundestag mit Abgeordneten, Mitarbeitern und Büros den Steuerzahler pro Jahr rund ein Milliarde Euro kostet. Der um rund 100 Abgeordnete kleinere Bundestag könnte für die Deutschen rund 125 Millionen Euro pro Jahr billiger werden. Das hat das Wirtschaftsforschungsinstitut (IW Köln) errechnet. Politikwissenschaftler Jörg Siegmund hält die Frage der Kosten jedoch für eher unbedeutend. "Demokratie darf uns auch etwas wert sein", argumentiert er.

Jörg Siegmund Politikwissenschaftler, mittelalter Mann ohne Brille schaut in die Kamera
Politikwissenschaftler Jörg Siegmund hält die Reform des Wahlrechts für demokratisch und gelungenBild: APB Tutzing

Wie haben es die Wahlrechtsreformer geschafft, den Bundestag zu stutzen? Die einfache Antwort: Sie haben die sogenannten Überhang- und Ausgleichmandate rigoros gestrichen. Bislang war es so: Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate (Erststimmen), als ihr aufgrund der Zweitstimmenergebnisse zustehen, durften zusätzliche Abgeordnete ins Parlament einziehen. Bei den letzten Wahlen waren es insgesamt 138 Sitze extra.

Der Trick: Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg 

Die Reform wird auch zur Folge haben, dass nicht alle Direktkandidaten, die mit der Erststimme gewählt wurden, ins Parlament einziehen. Denn die Wahlkreisgewinner erhalten ihr Mandat nur dann, wenn auch das Ergebnis der Zweitstimmen für ihre Partei entsprechend hoch ist. Übersteigt die Zahl der Direktkandidaten den Stimmanteil bei den Zweitstimmen, entfallen die Direktmandate mit den niedrigsten Stimmenanteilen. In der Wahlreform heißt das "Zweitstimmendeckung".

Das könnte Konsequenzen haben, glaubt Wissenschaftler Siegmund. "Es kann dazu führen, dass in einzelnen Wahlkreisen kein Direktmandat vergeben wird, wovon vor allem Wahlkreise in Großstädten betroffen sein werden. Das mindert deren Repräsentation im Bundestag."

Ausnahmen von der Fünf-Prozent-Hürde gelten weiter

In Deutschland gilt für Bundestags- und Landtagswahlen generell die sogenannte Fünf-Prozent-Klausel. Ins Parlament kommt eine Partei, wenn sie über dieser Hürde liegt. Die Grenze soll dafür sorgen, dass nicht zu viele Kleinst- und Splitterparteien in die Parlamente einziehen; eine Lehre aus dem Versagen der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik.

Es gibt aber eine Ausnahme: Holt eine Partei mindestens drei Direktmandate, aber keine fünf Prozent der Zweitstimmen, darf sie dennoch als Fraktion in den Bundestag einziehen. Die Regierung wollte diese Grundmandatsklausel eigentlich streichen. Das Verfassungsgericht entschied jedoch, dass diese Ausnahme weiter gelten solle. Begründung: Sonst würden möglicherweise zu viele Wählerstimmen gar nicht gewertet.

Nach dem Ampel-Aus: Der Weg zu Neuwahlen

Freuen können sich darüber vor allem kleinere Parteien, sagt Politikwissenschaftler Siegmund: "Insbesondere die Linke, aber auch die Freien Wähler, werden versuchen, über einen konzentrierten Wahlkampf in einigen ausgewählten Wahlkreisen mindestens drei Direktmandate zu gewinnen und somit die Sperrhürde zu überwinden."

Die Wahl am 23. Februar des kommenden Jahres wird spannend. Wie sie ausgeht? Unklar. Wie gewählt wird? Klar nach einem reformierten Verhältniswahlrecht, das den Bundestag schrumpfen lassen und der Zweitstimme noch mehr Gewicht verleihen wird.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online