Christine Lagarde: Erste Frau an der EZB-Spitze
3. Juli 2019Eigentlich ist noch ein wenig Zeit, den Posten des obersten Währungshüters in der Eurozone neu zu besetzen. Erst Ende Oktober scheidet der Italiener Mario Draghi aus dem Amt. Nun aber einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU nach ihrem tagelangen Personalpoker um die europäischen Spitzenjobs gleich auch noch, wer denn nach Draghi die Europäische Zentralbank (EZB) führen soll. Dass die Wahl auf die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, fiel, dürfte manchen überraschen. Enttäuscht dürfte der Chef der Bundesbank, Jens Weidmann, sein, den viele schon als Draghis Nachfolger sahen.
Lagarde sprach via Twitter von einer "großen Ehre" und kündigte an, bis zur endgültigen Berufung ihr Amt als IWF-Chefin ruhen zu lassen.
Der IWF teilte mit, das Vizechef David Lipton kommissarisch die Leitung des Währungsfonds übernehmen soll.
Eine Bilderbuch-Karriere
Schon mit 18 Jahren kam die gebürtige Pariserin den Zirkeln der Macht ganz nah: Als Austauschschülerin an einer exklusiven Privatschule vor den Toren der US-Hauptstadt Washington hospitierte Christine Lagarde im Büro des prominenten US-Republikaners und späteren amerikanischen Verteidigungsministers William Cohen. Zurück in Frankreich studierte die Tochter eines Hochschulprofessors der Anglistik und einer Lehrerin für alte Sprachen an der Elite-Universität Science Po in Aix-en-Provence und der Universität Paris-Nanterre. Lagarde schloss ihr Studium mit Magister-Examen in Wirtschaftsrecht und Anglistik ab und verfügt nach einem Aufbaustudium in Sozialrecht auch noch über ein Diplom.
Prägende Jahre als Wirtschaftsanwältin
Bei der US-Wirtschaftskanzlei Baker & McKenzie aus Chicago spezialisierte sie sich seit Anfang der 1980er Jahre auf Wettbewerbs- und Arbeitsrecht. 1987 rückte sie in den Kreis der Teilhaber auf und leitete ab 1991 die Pariser Filiale. Ab 1995 Vorstandsmitglied, wurde sie 1999 als "Madame Chairman" an die Spitze der inzwischen weltweit zweitgrößten Kanzlei für Wirtschaftsrecht berufen und zog nach Chicago. Sie war die erste Frau auf dem Chefsessel der Firma, der es nach Lagardes Aussage damals so schlecht ging, dass kein Mann den Job machen wollte. Sie sanierte die Firma, die unter ihrer Leitung 2002 erstmals weltweit über eine Milliarde US-Dollar umsetzte. 2004 wurde Lagarde Vorsitzende des Global Strategy Committee in der Firmenzentrale. Daneben war sie 1995-2002 Mitglied im Center for Strategic and International Studies, einer Denkfabrik in der US-Hauptstadt Washington.
Krisenmanagerin auf der Weltbühne
Bei ihren Stationen in der französischen Politik seit 2005 - unter anderem als Wirtschafts- und Finanzministerin unter den Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy - machte sie sich einen Namen als Krisenmanagerin während der Weltfinanzkrise und bei der Rettung des von der Staatspleite bedrohten Griechenland. Auf den G8- und G20-Gipfeln war sie damals die einzige Frau unter ihren männlichen Minister-Kollegen. Zusammen mit dem damaligen deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble setzte sie im Mai 2010 den ersten provisorischen Krisenfonds durch, der vor allem aus Garantien der Euro-Länder bestand. Bis heute ist die IWF-Chefin eines der in der griechischen Bevölkerung verhassten Gesichter der Gläubiger-Troika.
Als der damalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn nach Vergewaltigungsvorwürfen zurücktrat, wurde Christine Lagarde Ende Juni 2011 als erste Frau auf den Chefsessel des Weltwährungsfonds berufen.
Seit dem Amtsantritt von Donald Trump hat die IWF-Chefin kaum eine Gelegenheit ausgelassen, für den freien Welthandel einzutreten und vor Protektionismus zu warnen. Seit ihrer Zeit in der Regierungszentrale in Paris gilt Lagarde aber auch als knallharte Verfechterin der Interessen Frankreichs. Kritiker werfen ihr vor, bei den Griechenland-Hilfspaketen vor allem die Interessen französischer Banken im Auge gehabt zu haben. Denn vor allem Großbanken aus Frankreich hatten riesige Bestände griechischer Staatsanleihen in ihren Depots. Eine Pleite Athens hätten sie - wenn überhaupt - nur schwer angeschlagen überlebt.
Tapie-Affäre und Gerichtsverfahren
In Frankreich verbinden viele Menschen den Namen Lagarde allerdings auch mit der so genannten Tapie-Affäre. Sie war als Ministerin dafür verantwortlich, dass der enge Freund des damaligen Staatspräsidenten Sarkozy, Bernard Tapie, 2008 eine Entschädigung in Höhe von rund 400 Millionen Euro auf Kosten der französischen Steuerzahler erhielt. Die Begründung: Tapie sei beim Verkauf der Sportartikelfirma Adidas 1993 von der damaligen französischen Staatsbank Crédit Lyonnais übervorteilt worden. Einer Anklage wegen Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder entging Lagarde nur knapp. Ende 2016 wurde sie allerdings vom "Gerichtshof der Republik" wegen "Fahrlässigkeit im Amt" für schuldig befunden. Auf eine Strafe verzichteten die Richter aber aufgrund "ihrer internationalen Reputation".
Sportliche Vegetarierin
Christine Lagarde ist Vegetarierin, trinkt keinen Alkohol, treibt Yoga, schwimmt und taucht leidenschaftlich gern. Entspannung findet die 63-Jährige bei der Gartenarbeit. Es ist kein Zufall, dass die deutsche Illustrierte "Stern" der hochgewachsenen, stets elegant gekleideten Juristin vor Jahren das Etikett "Preußin in Chanel" verpasste.
Spätestens seit ihren Jahren als Wirtschaftsanwältin in Chicago spricht die Mutter zweier Söhne Englisch so perfekt wie ihre Muttersprache Französisch. Außerdem ist sie eng mit Entscheidungsträgern in der US-Politik und an der Wall Street verdrahtet - für eine Europäerin ein Alleinstellungsmerkmal.
Als sie bei einer Buchvorstellung in Brüssel im Februar 2014 von einem Journalisten der französischen Tageszeitung "Le Figaro" gefragt wurde, ob sie sich einmal einen Top-Job in der EU vorstellen könne, antwortete sie damals knapp: "Ich werde auf Ihre Frage nicht eingehen, weil das nicht unser Fokus ist, es ist nicht mein Fokus." Ein Dementi hörte sich schon damals anders an.
Andere Geldpolitik?
In den kommenden Monaten - sollte das Personalpaket nicht vom Europäischen Parlament abgelehnt werden - dürfte sich eine Diskussion um die künftige Geldpolitik der EZB unter der Führung von Christine Lagarde entwickeln. Den ultralockeren Kurs Draghis hat sie stets unterstützt, auch wenn sie selbst keine Geldpolitikerin ist. Erst vor wenigen Tagen, als Mario Draghi seinen Kurs einmal mehr bekräftigte, trat Lagarde ihm zur Seite und riet den Zentralbanken, gegen die sich abschwächende Konjunktur mit "unterstützender Geldpolitik" zu kämpfen. Eine Änderung des Draghi-Kurses ist also nicht zu erwarten.
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