TTIP? Nein danke!
10. Oktober 2015In der Straßenbahn, die am Samstagmorgen gemächlich durch die Berliner Innenstadt Richtung Hauptbahnhof rollt, glättet ein älterer Mann ein leicht zerknittertes Banner. Als er mit seiner Arbeit fertig ist, präsentiert er sie stolz den anderen Passagieren: "Stopp TTIP" ist in großen, fetten Lettern auf dem Transparent zu lesen. Ein junger Mann blickt auf und lächelt: "Oh, Sie gehen auch zu der Kundgebung. Wie schön!"
Angeregt unterhalten sich die beiden, um dann in der Schar Fahnen und Flaggen haltender Demonstranten zu verschwinden, die sich rund um den Hauptbahnhof unter der Berliner Sonne versammeln.
Den Cafés und Imbissbuden im Inneren des Bahnhofs gehen bald die Sandwiches aus: Hunderttausende Demonstranten aus ganz Deutschland sind gekommen - viele in Zügen oder in den rund 600 Bussen, die für diesen Anlass gemietet worden sind. Alle demonstrieren sie gegen TTIP, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, jenes Freihandelsabkommen, das derzeit von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ausgehandelt wird.
Weltweit größte Freihandelszone
Nach Informationen der Polizei sind 150.000, nach Angaben der Veranstalter sogar rund 250.000 Menschen dem Aufruf von Gewerkschaften, Umweltschützern, Anti-Globalisierungsgruppen und Parteien gefolgt, etwa den Grünen und der Linken. Alle protestieren sie gegen ein Abkommen, das aus ihrer Sicht vor allem die Interessen der multinationalen Konzerne berücksichtigt.
EU und USA wollen die 2013 begonnen Verhandlungen im Laufe des kommenden Jahres abschließen. Die nächste Verhandlungsrunde soll noch in diesem Jahr beginnen. Einmal vereinbart, wäre TTIP die weltweit größte Freihandelszone. In dieser lebten dann rund 800 Millionen Verbraucher.
Versprechen oder Lügen
Den Aktivisten macht vor allem eines Sorge: jene Bestimmung des Abkommens, die es Unternehmen ermöglicht, Regierungen vor Sondergerichten zu verklagen. Eine solche Vereinbarung, fürchten sie, würde den Arbeits- und Umweltschutz aushöhlen.
Die Unterstützer von TTIP halten nichts von solchen Argumenten. Sie behaupten, dass das Abkommen die europäische Wirtschaft durch die Aufhebung von Zöllen und durch gemeinsame Standards erst richtig in Schwung brächte.
Mehr noch: TTIP würde sogar helfen, Standards zu wahren, sagt Gerhard Handke, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), im Gespräch mit der DW. Europa würde absehbar von anderen Wirtschaftsmächten wie etwa Indien und China überholt. "Jetzt ist es an der Zeit, entsprechende Standards zu setzen. Sonst werden andere Länder sie uns später diktieren. Dann wird man sie in Asien festlegen und was wir davon halten, spielt dann keine Rolle mehr."
Diejenigen, die in Berlin zu Protesten zusammengekommen sind, vertreten eine ganz andere Sicht. "Wir haben diese Versprechen von Arbeitsplätzen und Wohlstand und Wachstum natürlich gehört", ruft Larry Brown, ein Gewerkschafter aus Kanada. Auch sein Land ist an den Verhandlungen über das Abkommen mit der EU beteiligt. Die Demonstranten klatschen und jubeln, als er ruft: "Es sind Lügen. Wir müssen sie stoppen."
Hoffnungen und Ängste
Martin Scherer trägt einen schwarzen Regenschirm voller "Stopp TTIP"-Sticker. Er ist für diesen Tag eigens aus Karlsruhe angereist. Er und alle anderen Versammelten wollen den Unternehmen eines zeigen: "Wir lassen euch das so nicht durchgehen." Eines mache ihm besondere Sorgen: "Wir werden uns mit der Einfuhr von genmanipulierten Waren aus den USA abfinden müssen." Seine Frau nickt zustimmend. "Wir wollen das einfach nicht", fügt er mit lauter Stimme hinzu, um die Reden aus mehreren Lautsprechern und das Stimmengewirr heranströmender Demonstranten zu übertönen.
Eine von ihnen ist die 15-jährige Clara aus Bayern. "Sie wollen unsere Zukunft zerstören", sagt sie und schüttelt nachdrücklich den Kopf. Nur wenige ihrer Freunde interessierten sich für TTIP. Das sollten sie aber tun, meint sie. Einmal beschlossen, fürchtet sie, "wird TTIP unsere Demokratie zerstören. Denn dann werden statt gewählter Politiker nur noch multinationale Konzerne die wichtigen Entscheidungen treffen."
Ihr Freund Louis nickt. "Sie müssen uns anhören", sagte er. "So viele Stimmen können sie nicht einfach ignorieren." Aber, fügt er hinzu, dass sie tatsächlich zuhören, da sei er sich nicht so sicher.