Stürmische Zeiten im Weltsicherheitsrat
8. Juni 2018Erst vor wenigen Wochen hatte Deutschlands Chefdiplomat noch mal kräftig die Werbetrommel für einen Sitz im Weltsicherheitsrat gerührt. Bei zwei US-Besuchen betonte Außenminister Heiko Maas, "dass Deutschland insbesondere bei Fragen der Krisenprävention, der Friedenssicherung und der Stabilisierung eine wichtige Rolle einnehmen will und auch kann". Maas erinnerte daran, dass Deutschland viertgrößter Beitragszahler und weltweit zweitgrößter Geber humanitärer Hilfe sei.
Deutschland genieße in den UN großes Vertrauen. "Es ist nicht nur so, dass viele Staaten unsere Kandidatur für den Sicherheitsrat unterstützen. Wir werden geradezu aufgefordert, unseren Einfluss einzubringen", sagte Maas Ende April. Seine Rede vor der Vollversammlung in New York war dann die öffentliche Bewerbung um einen Sitz im höchsten UN-Gremium. Die Botschaft des Außenministers: "Abrüstung statt Aufrüstung" und "Dialog statt Konfrontation".
An diesem Freitag, dem 8. Juni, fällt die Entscheidung. Wie jedes Jahr wählt die UN-Generalversammlung die neuen fünf nicht-ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats für die Dauer von zwei Jahren. Es geht um den Zeitraum 2019 bis 2020. Für Deutschland sieht es mehr als gut aus, seitdem Mitbewerber Israel seine Bewerbung zurückzog. Israel hatte wegen des absehbaren Widerstands arabischer Staaten nur sehr geringe Chancen gewählt zu werden. Damit sind nur noch Belgien und Deutschland im Rennen um die beiden für westliche Staaten vorgesehenen Plätze. Beide Kandidaten benötigen jeweils eine Zweidrittel-Mehrheit, die als so gut wie sicher angesehen wird. Neben ihnen können Südafrika und die Dominikanische Republik mit ihrer Wahl rechnen. Als Favoriten für die Sitze der asiatisch-pazifischen Regionalgruppe gelten Indonesien und die Malediven.
Am Puls der Weltpolitik
Es geht um einen Platz im diplomatisch-politischen Herzstück der Vereinten Nationen: Im Weltsicherheitsrat der Organisation mit Sitz im New Yorker Stadtteil Manhattan am East River werden die wichtigsten Entscheidungen gefällt, werden Weichen gestellt, wird über Sanktionen und auch den legitimen Einsatz militärischer Mittel entschieden. Er besteht aus den fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht - Frankreich, Russland, den USA, China und Großbritannien - sowie zehn nicht-ständigen Mitgliedern ohne Vetorecht. Wer zu diesem exklusiven Kreis gehört, sitzt am Puls der Weltpolitik. Bisher war die Bundesrepublik sechsmal im mächtigsten UN-Gremium vertreten; zuletzt war das 2011/12.
Spannender als die Wahl selbst ist die Frage, wie Deutschland UN-Politik mitgestalten will. Bundeskanzlerin Angela Merkel will unter anderem europäische Gemeinschaftspositionen stärken. Sie befürchtet einen schwindenden Einfluss der EU in den Vereinten Nationen. Nach dem Brexit Großbritanniens würde die Europäische Union mit Frankreich nämlich nur noch über ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat verfügen. Deshalb schlägt Merkel eine "Europäisierung" der Weltsicherheitsratssitze vor, wie zuletzt am Mittwoch im Bundestag. Davon würden vor allem auch die kleinen EU-Staaten profitieren. Einzelheiten nannte die Kanzlerin nicht, aber offenbar strebt sie engere Absprachen der europäischen Vertreter im Weltsicherheitsrat an.
Immense finanzielle Leistungen
Für den Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich steht im Vordergrund, dass sich Deutschland für die Beachtung von Regeln und Normen in der internationalen Politik im Sicherheitsrat einsetzt. "Abrüstung und die Fortentwicklung des Völkerstrafrechts sollten dabei im Mittelpunkt stehen", sagt der SPD-Außenpolitiker der Deutschen Welle. Sein CDU-Kollege Roderich Kieswetter schlägt vor: "Deutschland kann als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat seine immensen finanziellen Leistungen an die Vereinten Nationen politisch unterfüttern." Wie der Außen- und Sicherheitsexperte weiter erläutert, sollte der Einsatz Deutschlands dabei zunehmend "der intensiven Beratung schwieriger Themen wie Friedenskonsolidierung und Konfliktbeilegung dienen".
Schwierige Themen gibt es haufenweise: Im Umgang mit dem Ukraine-, Nah-Ost, Syrien-, dem Iran- sowie dem Nordkorea-Konflikt trennen die Sicherheitsratsmitglieder Welten, nicht zuletzt auch in Fragen der Menschenrechte. Ständige gegenseitige Blockaden im Sicherheitsrat lähmen das 15-köpfige Gremium. Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten fallen zudem die USA als einende Kraft weg. Unter Trumps Präsidentschaft verkümmern multinationale Handelsabkommen mit US-Beteiligung zu Pflegefällen; der internationalen Klimapolitik droht der Kollaps. Befürchtungen werden immer lauter, wonach sich die internationale Gemeinschaft wegen Trumps "America-First-Politik" in eine Welt nationaler Eigeninteressen verwandelt, in der Willkür und das Recht des Stärkeren vorherrschen.
Heißer Stuhl der Weltpolitik
Kaum Gemeinsamkeiten, dafür viel Streit. Angesichts dieser Zerrissenheit ist es unwahrscheinlich, dass Berlin die zwei Jahre als nicht-ständiges Sicherheitsratsmitglied ohne Auseinandersetzungen mit Peking, Moskau oder Washington hinter sich bringen würde. Ein Sitz im höchsten UN-Gremium könnte damit für Deutschland schnell zum ‘heißen Stuhl‘ werden. Wobei Deutschland den Vorteil habe, "dass es nicht als politisch expansiv wahrgenommen wird - wie auch Europa insgesamt", sagt Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik der DW. Es gehe Deutschland nicht um "Positionskämpfe und Machtbalancen wie beispielsweise zwischen China und den USA oder Russland und den USA, sondern Deutschland hat eher ein eigenständiges Interesse an einer regelbasierten internationalen Ordnung." Dies sei ein Bonus. Insofern sieht Riecke Deutschland als Vermittler zwischen den Großmächten, der helfen kann, spalterische Tendenzen zu stoppen.
Damit hätte Deutschland gute Chancen, seinen aufgewerteten Status durch einen nicht-ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat auf internationalem Parkett zu festigen. "Ich denke, die Chance ist, das man konkret zeigen kann, was es bedeutet, wenn Deutschland Verantwortung übernimmt und Führung übernehmen möchte", sagt UN-Experte Riecke. Die Diskussion darüber sei in den langen Monaten der deutschen Regierungsbildung vernachlässigt worden. Nun müsse man "auch mal konkret sagen, wie wir das vorhaben. Wie viel Geld wir in die Hand nehmen, wo wir uns engagieren wollen. Und der Sicherheitsrat wäre dafür eine gute Gelegenheit."