Entführungen als Geschäftsmodell
22. August 2014Steven Sotloff ist in der Gewalt der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS). In einem von IS im Internet veröffentlichten Video, das zuvor den enthaupteten amerikanischen Fotografen James Foley zeigt, ist offenbar auch der 2013 in Syrien entführte US-Journalist Sotloff zu sehen. Die sunnitischen Extremisten drohen damit, ihn umzubringen, sollten die Luftangriffe der USA gegen IS im Nordirak nicht aufhören. Der US-Geheimdienst FBI geht davon aus, dass die Aufnahmen echt sind.
Am Mittwochabend wurde bekannt, dass die USA erst kürzlich vergeblich versucht haben, mit Luft- und Bodentruppen eine Gruppe von Geiseln aus den Händen des IS in Syrien zu befreien. Nach Angaben der "Washington Post" sollen auch Foley und Sotloff zu dieser Gruppe gehört haben. Dem gescheiterten Befreiungsversuch gingen offenbar Verhandlungen mit den Terroristen voraus - Medienberichten zufolge hatte IS die Zahlung eines Lösegelds in Höhe von 100 Millionen Dollar für den entführten Journalisten gefordert. Die US-Regierung habe dies abgelehnt.
Todesurteil Reisepass?
Die USA zahlen prinzipiell kein Lösegeld für entführte Staatsbürger. Großbritannien lehnt derartige Deals mit radikalen Gruppierungen kategorisch ab. Auch die Bundesregierung versichert regelmäßig, man sei nicht erpressbar und zahle kein Lösegeld.
Medienberichten zufolge wurden allerdings in mehreren Fällen entführte Staatsbürger aus der Gewalt von Terroristen freigekauft: Für die Freilassung der im Irak entführten Deutschen René Bräunlich und Thomas Nitzschke soll die Bundesregierung im Jahr 2005 mehr als zehn Millionen Dollar gezahlt haben. Auch andere europäische Staaten tauschten in der Vergangenheit Geld für die Freiheit ihrer Staatsbürger. Die Zeitung "Le Monde" berichtete, dass der französische Auslandsgeheimdienst für die Freilassung von vier entführten Franzosen mehr als 20 Millionen Dollar gezahlt haben soll.
Öffentlich dementieren die Regierungen der betroffenen Staaten aber grundsätzlich, Geld an Terrororganisationen gezahlt zu haben - auch, um keinen Anreiz für weitere Entführungen zu bieten.
Geld und politisches Faustpfand
Das Erpressen von Lösegeld ist für Terrorgruppen wie Al-Kaida, den "Islamischen Staat" oder Boko Haram eine bedeutende Einnahmequelle. Das erpresste Geld nutzen sie, um ihren bewaffneten Kampf zu finanzieren. Die "New York Times" schätzt, dass beispielsweise Al-Kaida seit 2008 mindestens 125 Millionen Dollar Lösegeld erhalten hat. Der Großteil stammt demnach aus europäischen Staaten. Allein im vergangenen Jahr seien 66 Millionen Dollar gezahlt worden. Das US-Finanzministerium beziffert die Summe der Lösegelder, die zwischen 2008 und 2013 aus Europa an islamistische Terrorgruppen gezahlt wurden, auf insgesamt 165 Millionen Dollar.
Die Geiselnahmen dienen den Terrorgruppen zudem als Druckmittel für politische Zugeständnisse oder Zurückhaltung. Die Türkei lehnt beispielsweise eine Beteiligung an den US-Luftschlägen gegen IS ab - auch weil sich seit Juni 49 türkische Staatsbürger in der Hand der Dschihadisten befinden, unter ihnen auch der türkische Generalkonsul in Mossul, Öztürk Yilmay. Nach Angaben der "New York Times" haben auch die USA und Großbritannien wiederholt mit Terroristen über Gegenleistungen jenseits von Geld verhandelt.
Propagandazwecke
Wenn sich weder Lösegeld noch politische Zugeständnisse durch Geiselnahmen erpressen lassen, nutzen Gruppierungen wie IS die Entführten für ihre Propaganda. Im Fall Foley zwangen die Terroristen den US-Fotografen, eine Anklage gegen sein Heimatland zu verlesen, die die Gotteskrieger dann im Internet veröffentlichten.
"Das Enthauptungsvideo verfolgt den ganz rationalen Zweck der Abschreckung nach außen und der Konsolidierung nach innen", sagte der Islamwissenschaftler Christoph Günther im DW-Interview. IS wolle deutlich machen, dass man mit allen Mitteln zurückschlage. "Zur Not gehen wir gegen all eure Staatsbürger vor, derer wir habhaft werden können: Journalisten, Angestellte westlicher Firmen im Kurdengebiet, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen", beschreibt Günther die Denkweise der IS-Kämpfer.
Diane Foley, die Mutter des ermordeten Journalisten, richtete zuletzt einen Appell an die Terroristen: "Wir flehen die Kidnapper an, das Leben weiterer Geiseln zu verschonen." Nach Informationen von "Spiegel Online" sind derzeit alleine 30 bis 40 Europäer oder US-Amerikaner in der Gewalt von IS-Terroristen. Unter ihnen befindet sich auch die Frau des syrischen Fotografen Omar Alkhani. Er war Gefangener des IS und lernte in dieser Zeit auch James Foley kennen. Nach Monaten in Geiselhaft ist er inzwischen frei.