EFSM, Rettungsschirm, Bundestag, Euro
26. September 2011Carsten Schneider ist Bundestagsabgeordneter der SPD. Der Erfurter ist Spezialist für Etat-Fragen und haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Bei den Bundesfinanzen geht es um Millionen und Milliarden, Schneider ist es also gewohnt, mit hohen Summen umzugehen. Doch die jetzt anstehende Aufstockung der Europäischen Finanz-Stabilisierungs-Fazilität (EFSF), wie der Euro-Rettungsfonds offiziell heißt, hat eine bislang ungekannte Dimension.
Die deutschen Garantien sollen von 123 auf 211 Milliarden Euro erhöht werden. Deutschland steht dann für fast die Hälfte des gesamten Rettungsfonds gerade. Aber wird das reichen? Was passiert, wenn Griechenland noch mehr Geld braucht? Wenn auch Italien Hilfe anfordert? Der Abgeordnete Schneider spricht aus, was sich wohl viele seiner Kollegen in diesen Tagen fragen: "Womit haben wir volkswirtschaftlich zu rechnen? Was wird an den Märkten passieren, wenn wir kein weiteres Kreditpaket für Griechenland genehmigen und das Land pleite gehen lassen?"
Ungeklärte Fragen
Eine entscheidende Frage, denn von ihrer Beantwortung hängt ab, ob die Abgeordneten am 29. September überhaupt eine Wahl haben. Könnten sie die Aufstockung des Rettungsschirms ablehnen?
Carsten Schneider richtete die Frage in einer Sitzung des Haushaltsausschusses an Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Zehn Tage vor der Abstimmung im Bundestag hatte sich der Ausschuss in aller Eile eine Reihe von Experten eingeladen, um noch offene Fragen zu klären.
Doch auf die alles entscheidende Frage hat auch der oberste deutsche Notenbanker keine Antwort. "Ich glaube, dass ihnen keiner ein verlässliches Szenario aufmalen können wird, was in diesem Fall passieren wird", sagt Weidmann. "Man muss aber wissen, dass das sicherlich ein relativ unangenehmes Szenario nicht nur für Griechenland, sondern auch für die anderen Beteiligten sein wird."
Bundesbank ist gegen Rettungsschirm
Weidmann sagt den Abgeordneten allerdings in aller Deutlichkeit, wie wenig er als Bundesbankchef grundsätzlich von der Ausweitung des Rettungsschirms EFSF hält. Damit erfolge ein weiterer großer Schritt in Richtung gemeinschaftlicher Haftung und geringerer Disziplinierung durch die Kapitalmärkte, ohne dass im Gegenzug die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf die nationalen Finanzpolitiken spürbar verstärkt würden.
"Wie glaubwürdig können die Regeln im neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt sein", fragt Weidmann rhetorisch, "wenn ich klarmache, dass ich bei mehrfacher Verfehlung dieser Regeln am Ende mit einem Hilfsprogramm rechnen kann und noch nicht einmal die Verabredung in diesem Hilfsprogramm einhalten muss?"
Wirtschaftliche Fakten versus Politik. Zwischen diesen beiden Polen stehen die Abgeordneten. Folgen sie der Bundesregierung, die den unbedingten politischen Willen hat, Griechenland in der Währungsunion zu halten? Oder treten sie auf die Bremse, weil sie wissen, dass auch die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft nicht unbegrenzt ist?
Grenzenlose Haftung
Der Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest von der University of Oxford prophezeit den Parlamentariern, dass sie nicht zum letzten Mal vor dieser Entscheidung stehen werden. "Bei allem Respekt vor den Beschlüssen des Bundestages, aber die Begrenzung der Haftung auf 211 Milliarden Euro wird an dem Tag hinfällig, an dem die Kapitalmärkte das Vertrauen in Italien verlieren", so Fuest. Dann werde es zunächst einen Eilbeschluss geben, dass die Europäische Zentralbank interveniert. Später werden dann Deutschland wieder die Haftung übernehmen. Diese Zwangslage könne sich noch dramatisch verschärfen, so Fuest: "Die Kapitalmärkte rechnen nüchtern damit."
Auf den Kapitalmärkten gehe es gar nicht mehr um die Höhe der Haftungssumme, sondern nur noch um die Frage, ob die Politik die Währungsunion erhalten will. Solange der politische Wille da ist, so kalkulieren die Kapitalmärkte, wird es immer größere Rettungsschirme geben. Es sei denn, der Bundestag widersetzt sich.
Widerstand zwecklos?
Das ist durchaus möglich, denn das Bundesverfassungsgericht hat erst vor kurzem entschieden, dass das Parlament das letzte Wort haben muss, wenn Steuergelder in Rettungsmaßnahmen fließen. Wie das aber ganz praktisch funktionieren soll, wenn beispielsweise Italien kurzfristig Hilfen braucht, darüber macht sich nicht nur EFSF-Geschäftsführer Klaus Regling Gedanken.
Wenn an den Börsen Staatsanleihen aufgekauft werden müssen, habe man sehr wenig Zeit, so Regling. "Da wird es vielleicht um ein zwei Tage gehen, da sollte man sich keine Illusionen machen." Aber vielleicht, so Regling, könnten sich die Mitglieder des Haushaltsausschuss in diesem Fall telefonisch absprechen, "damit man sehr rasch zu Ergebnissen kommt."
So wird am Donnerstag im Bundestag nicht nur über die Ausweitung des Rettungsschirms entschieden, sondern das Parlament wird auch gesetzlich festlegen, wie seine Mitspracherechte in Zukunft geregelt sein sollen. Bei Grundsatzbeschlüssen, wie die Gewährung von Hilfen an einen weiteren Euro-Staat, soll das Plenum entscheiden. Stimmen die Abgeordneten nicht zu, muss auch der deutsche Vertreter in der EFSF mit Nein stimmen. Eine Enthaltung wird explizit verboten.
Wachsende Verantwortung
Bei Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit werden die Rechte des Bundestages von einem neuen Untergremium des Haushalts-Ausschusses wahrgenommen, in dem Mitglieder aller Fraktionen sitzen sollen. Doch auch sie sind nur ganz normale Abgeordnete, auf denen in Zukunft eine noch größere Verantwortung lasten wird.
Wie lange soll das gut gehen, fragt der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Universität Bremen. Er und andere Wissenschaftler versuchten zwar, die Abgeordneten bestmöglich zu informieren, so Hickel. Trotzdem müssten diese "leider mal wieder ohne Blaupause arbeiten und können sich nur an das Thema herantasten". Trotz wissenschaftlicher Unterstützung gebe es keine verlässliche, modellhafte Lösung. Der Politik müsse es gelingen, die Finanzmärkte zu bändigen. "Dann bekommt das Parlament auch wieder ein Stück Handlungsfähigkeit, die ihm zurzeit von den Finanzmärkten genommen ist."
Hickel pocht auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die das Spekulieren teurer und damit vielleicht unattraktiver machen würde. Noch kann auf den Finanzmärkten mit dem Absturz der Euro-Länder viel Geld verdient werden. Je besser die Politik die Finanzmärkte kontrolliert und reformiert bekomme, damit sie ihre normale, ihre dienende Funktion wieder wahrnehmen, um so weniger Probleme gebe es mit der Rettung notleidender Euro-Länder, so Hickel.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Andreas Becker