Lindner wirbt für Europa
6. Januar 2014Vier Wochen nach seiner Wahl zum neuen Bundesvorsitzenden der Freien Demokraten hat Christian Lindner der politischen Konkurrenz den Kampf angesagt. Auf dem Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart hielt er seine erste große Rede nach der Bildung der großen Koalition aus Konservativen (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) kurz vor Weihnachten. Dabei legte Lindner den Fokus auf die Rolle Europas in der globalisierten Welt und betonte die Eigenständigkeit der Liberalen, die seit der verlorenen Bundestagswahl im vergangenen September erstmals nicht mehr im Parlament vertreten sind.
Lindner erneuerte seinen Appelle vom Berliner Bundesparteitag im Dezember, sich selbstbewusst und kritisch in und für Europa zu engagieren. Die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) bezeichnete der knapp 35-Jährige als "Bauernfängerpartei" und nannte sie einem Atemzug mit der rechtsextremen Partei Front National von Marine Le Pen in Frankreich. Der AfD war es bei der Bundestagswahl gelungen, mehrere hunderttausend Stimmen von früheren FDP-Wählern zu holen. Am Ende scheiterten beide Parteien knapp an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins deutsche Parlament.
Bessere Aussichten bei der Europa-Wahl
Bei der Europa-Wahl Ende Mai würden schon drei Prozent reichen. Dass diese Marke erreicht wird, daran zweifelt in der FDP niemand. Partei-Chef Lindner warb für ein "klares Bekenntnis zu Europa und Mut, seine Probleme anzugehen". Nachdrücklich sprach er sich gegen eine finanzielle Transfer-Union aus, in der die Schulden anderer Länder verpflichtend übernommen werden müssten. Damit würden Wachstumskräfte "stranguliert", begründete Lindner die alt bekannte FDP-Position.
Von den Euro-Ländern, die am stärksten unter der Staatsschulden-Krise leiden, erwartet Lindner weitere Schritte auf dem Weg zu mehr Währungsstabilität. Vor allem sorgt er sich, dass Griechenlands Anstrengungen zur Reform der Staatsfinanzen nachlassen könnten. Die FDP sei in der Vergangenheit der Garant dafür gewesen, dass Deutschland nicht für angeschlagene Euro-Länder in Form sogenannter Euro-Bonds habe haften müssen. Dass die große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten an diesem Kurs festhält, daran zweifelt Lindner. "Man riskiert Europa, wenn man die Reformbereitschaft unterfordert und die Solidarität überfordert", warnte der liberale Hoffungsträger.
Deutliche Worte zur Freizügigkeit für Arbeitnehmer
Kritik übte der FDP-Vorsitzende an der aktuellen Diskussion über die Regelungen zur Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union. Auslöser der Debatte war die seit Jahresbeginn auch für Bulgaren und Rumänen geltende uneingeschränkte Niederlassungsfreiheit. Vor allem aus der Regierungspartei CSU sind dazu aus Angst vor angeblicher "Einwanderung in die Sozialsysteme" kritische Töne zu hören. Lindner räumte ein, dass es "objektive Probleme" wie verwahrlosten Wohnraum, kaum beschulbare Kinder und mancherorts steigende Kriminalität gebe. "Damit dürfen die Menschen nicht allein gelassen werden."
Nach europäischem Recht sei es aber möglich, den Missbrauch der Sozial-Systeme zu verhindern. Wer Bulgaren und Rumänen pauschal diffamiere, opfere die "Weltoffenheit unseres Landes". Er vermisse ein klares Wort der Bundeskanzlerin, wichtig sei eine Willkommenskultur. Die FDP frage nicht danach, "wo einer herkommt, sondern wohin er mit uns will".
NSA-Affäre: Wo die Freundschaft endet
Klare Worte fand Lindner auch zur Affäre um den US-Geheimdienst NSA, der weltweit die elektronische Kommunikation ausspioniert und sogar vor Regierungschefs wie Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht halt macht. Darauf müsse Europa eine "gemeinsame politische Antwort" formulieren, forderte Lindner. Die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten ende dort, "wo unsere Bürger ausgespitzelt werden und wo es offenbar auch Wirtschaftsspionage gibt".
Im Zusammenhang mit der NSA-Affäre lobte Lindner den neuen sozialdemokratischen Bundesjustizminister Heiko Maas. Der hatte vor wenigen Tagen angekündigt, er werde keinen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen, solange es kein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) dazu gebe. Damit wird in diesem Frühjahr gerechnet. Lindner wünschte Maas "die gleiche Standhaftigkeit" gegenüber der Union, die seine liberale Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die ganze FDP vier Jahre lang in der Koalition mit der CDU/CSU bewiesen hätten.
Der eigene Kompass
Dass der FDP nach dem Rauswurf aus dem Bundestag die wichtigste politische Bühne fehlt, sieht Lindner bei allem Bedauern auch als Chance. Noch nie sei die Partei so unabhängig von anderen politischen Parteien, Interessengruppen und einzelnen Berufsgruppen gewesen. "Für uns zählt jetzt unser eigener Kompass."