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Große Erleichterung, Reste von Skepsis

9. November 2020

Manchmal drückt sich Erleichterung in Zahlen aus. So an diesem Montag nach ersten Auftritten von Joe Biden als gewählter US-Präsident. Die Börsen reagieren: positiv. Die Stimmen der deutschen Wirtschaft: optimistisch.

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Symbolbild Amerikanische Produkte
Bild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Der deutsche Aktienindex Dax eröffnete die Woche nach der amerikanischen Hängepartie mit zwei Prozent im Plus. Die Aussicht auf ein vernünftiges Verhandlungsklima bei Handelsfragen lasse die deutsche Exportwirtschaft frohlocken, sagte Thomas Gitzel, Chef-Volkswirt der VP Bank.

Noch ausgeprägter zeigte sich die Erleichterung in den Zahlen der Börsen in Asien. Die südkoreanische Börse stieg auf ein Zweieinhalb-Jahres-Hoch, der Leitindex für die Aktienmärkte in Schanghai und Shenzhen markierte den höchsten Stand seit fünfeinhalb Jahren, und der japanische Nikkei-Index notierte so hoch wie zuletzt vor fast 30 Jahren. Im Dax in Frankfurt legten am Montag früh insbesondere exportorientierte Titel zu.

US Wahl 2020 | Japan Börse in Tokio
Börsianer in Tokio verfolgen die Stimmenauszählung in den USABild: Behrouz Mehri/AFP/Getty Images

Die Exporte hatte auch der deutsche Wirtschaftsminister im Blick, als er sich am Morgen zum US-Wahlausgang äußerte. Er hoffe nun auf "geordnete Bahnen" in der internationalen Handelspolitik, sagte Peter Altmaier dem Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass es unter dem künftigen Präsidenten Biden eine Rückkehr zu einem stärker multilateralen Ansatz und weniger einseitige Entscheidungen geben werde, so Altmaier.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten habe in der Vergangenheit, etwa durch Strafzölle, gelitten, sagte der Minister. Er sehe er nun "die Chance, dass es zu keinen weiteren Verschärfungen mehr bei den Zöllen kommt". Nötig sei ein Industrie-Zollabkommen zwischen der EU und den USA.

Richtungsentscheidung für alle

"Die Wahl war nicht nur eine Richtungsentscheidung für die USA, sondern auch für Amerikas Handelspartner", befand Holger Bingmann, Präsident der Internationalen Handelskammer (ICC) in Deutschland. Für Unternehmen habe schließlich Planbarkeit die oberste Priorität. Das Stichwort "Berechenbarkeit" nimmt auch der Chef des Branchenverbandes der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer VDMA auf: "Wir erwarten vom neuen US-Präsidenten Joe Biden eine besser berechenbare Politik, die auch die transatlantischen Partner in Europa wieder stärker einbindet", sagte Karl Haeusgen. Es sei ein guter Tag für die transatlantischen Beziehungen.

US-Präsidentschaftskandidat Biden im Gespräch mit Arbeitern in einem Werk in Detroit
Wahlkämpfer Biden mit ArbeiternBild: Reuters/B. McDermid

Hoffnung auf einen Neustart in der politischen Kultur und Sprache im Weißen Haus äußerte die Geschäftsführerin der Trumpf-Gruppe, Nicola Leibinger-Kammüller. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte die Chefin des schwäbischen Maschinenbauers, natürlich spiele auch die nunmehr aufgehellte Sicht auf die transatlantischen Beziehungen und die multilateralen Abkommen eine Rolle. "Dies gilt insbesondere für die Ausgestaltung des weltweiten Freihandels und der Abschottung gegenüber China und der EU."

Siemens-Chef Joe Kaeser hatte der DW am Freitag noch vor den entscheidenden Wahlergebnisse gesagt: "Wir würden uns natürlich wünschen, dass es zu einer Verbesserung der Beziehung zwischen Europa und den Vereinigten Staaten kommt." Das wäre hilfreich für die ganze Welt, insbesondere auch mit Blick auf den "chinesisch-amerikanischen Dialog".

Hoffnung für das Klima

Kaeser - wie am Montag dann auch Wirtschaftsminister Altmaier - hob dabei die besondere Bedeutung des Pariser Klimaschutzabkommens hervor, das die USA unter Trump gekündigt hatten. "Wir hoffen sehr, dass die neue Regierung dem Pariser Abkommen wieder beitritt." Die Welt habe ein Klima-Problem, und eine gemeinsame Suche nach Lösungen sei unverzichtbar, so Kaeser zur DW. 

USA Washington | Rede von Joe Biden auf TV im Weißen Haus
Joe Biden als "President-Elect"Bild: Chris Kleponis/RS/MPI/Capital Pictures/picture alliance

Auf einen "Neustart auf Augenhöhe" nach der Trump-Ära hofft auch der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. Er sagte laut einer Mitteilung des Verbandes: "Es muss darum gehen, unsere Beziehungen wiederzubeleben und das beschädigte Vertrauen neu aufzubauen." Schließlich gebe es ein "riesiges Potenzial" für den transatlantischen Markt: "EU- und US-Unternehmen handeln Tag für Tag miteinander Waren im Wert von rund 1,7 Milliarden Euro. Ein Industriegüterabkommen und stärkere Zusammenarbeit in Regulierungsfragen würden beiden Seiten dringend benötigte Wachstumsimpulse geben."

Skepsis bleibt

Wir groß der Druck durch die abgewählte US-Administration ist, machte der Volkswirt Holger Schmieding am Montag in einem Zeitungsbeitrag deutlich: "Der Schock der Pandemie überdeckt, wie sehr Trump die europäische Wirtschaft bereits 2019 mit seiner erratisch-konfrontativen Handelspolitik geschwächt hat." Auch deshalb, so der Chefökonom der Berenberg-Bank, habe das Wachstum in der Eurozone im vergangenen Jahr nur noch ein Prozent betragen, halb soviel wie Jahr zuvor.

Dennoch bleiben die USA Deutschlands größter Exportpartner, 2019 flossen deutsche Waren im Wert von 119 Milliarden Euro in die USA, ein Viertel davon Autos. Neben aller Erleichterung bleibt Skepsis bei deutschen Beobachtern: "Die knappen Mehrheitsverhältnisse im US-Senat und die konservative Dominanz am Obersten Gericht", so etwa die Befürchtung von Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, werde "weitreichende Reformen" ebenso wie die Umsetzung der von Biden angekündigten gigantischen Ausgabenprogramme verhindern.     

ar/hb (dpa, afp, rtr – Archiv)